Ein Wahllokal ist ein öffentlicher Raum und natürlich kann dieser Raum nicht ansatzweise so gestaltet werden, dass er irgendwie als Savespace bezeichnet werden kann. Aber grundsätzlich sollte dies schon so gestaltet werden, dass es einzelnen Personen nicht besonders erschwert wird.
Dies wurde es mir aber. Ich habe mich dort vorgeführt und ausgelacht gefühlt. Dies geht gar nicht. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, wenn ich einen öffentlichen Raum betrete. Es kann nicht sein, dass winzelne Menachen sich zu wichtig nehmen und ihre „Macht“ ausspielen. Dies kann ganz leicht verhindert werden, wenn eine der eingesetzten Personen ein wenig Empathie besitzt und ein klein wenig geschult wurde. Es darf kein „wir gegen die“-Gefühl aufkommen. Das kann sehr schädlich werden.
Zuerst veröffentliche ich meine dazugehörigen Postings, die ich gestern auf Mastodon getätigt habe. Darauffolgend schreibe ich die Situation auf und gehe zuguterletzt genauer darauf ein.
Die Postings: https://lsbt.me/@anny, 23.Feb. 2025, 10.47 Uhr
Ich werde morgen mit meiner dgti-Adresse eine Beschwerde an die Wahlleitung für Bochum schicken, da ich soeben im Wahlbüro in einer Grundschule in Bochum trans*Feindlichkeit, ob bewusst oder unbewusst, erfahren habe.
Wer sonst irgend etwas erfahren oder gehört hat, kann sich gerne (auch anonym) bei mir melden. Ich mache das auch sehr gerne für andere Städte, erledige aber zuerst Bochum. Da wir das „nur“ Ehrenamtlich machen, werde ich bei Bedarf den dgti-Vorstand mit ins Boot holen. Passt auf euch auf! Ihr seid nicht alleine.
Die dgti bietet heute von 17.30 Uhr bis 21.00 Uhr ein Onlineevent an. Um das Ganze ein wenig sicherer zu machen, muss Mensch sich dort vorher anmelden. https://dgti.org/2025/02/20/queer-gewaehlt-event-bundestagswahl-2025/ Niemand muss da alleine durch.
Das Kontaktformular für Nachrichten an mich gibt’s hier: https://dgti.org/beratungsstellen/beratungsstelle-nrw-bochum/
Oder ihr benachrichtigt sofort die Person in eurer Stadt oder Nähe. https://dgti.org/peerberatung-fuer-trans-und-inter/
#transfeindlichkeit #dgti #wahlen #BTW25
11.24 Uhr
Macht euch auf jeden Fall Notizen. Auch, wenn ihr denkt, ihr wollt nicht darüber reden. Vielleicht denkt ihr später doch anders darüber und ärgert euch, dass ihr es nicht mehr richtig wiedergeben könnt. Je mehr Details wir angeben können, umso besser.
11.27 Uhr
Ich habe soeben recherchiert und aufgeschrieben, in welchem Wahllokal ich war und welche Personen (Schriftführende und Wahlvorstand) mir besonderes und in welcher Form aufgefallen sind.
Das Erlebte:
Normalerweise wähle ich grundsätzlich per Brief. Leider hat es dieses Jahr nicht sollen sein. Somit musste ich zum ersten Mal, seit meiner Personenstandsänderung 2020, in ein Wahllokal gehen.
Die Augenschminke habe ich natürlich weggelassen und musste „nackt“ nach draußen.
Auf dem Weg zum Wahllokal habe ich mich schon ein wenig vor mir selbst geekelt. Ich war aufgeregt. Das ist mir zuviel des Guten. Ich bin nicht demokratiefeindlich aufgestellt, aber kritisch. Trotzdem bin ich dankbar dafür, (noch) in einer „Demokratie“ leben zu dürfen. Auch nutze ich meine demokratischen Möglichkeiten, wie ich kann. Aber allein aus der Wissenschaft wissen wir, dass wir vorsichtig sein sollten, wenn uns jemand etwas, als die einzige „Wahrheit“ verkaufen möchte. Ich verstehe Menschen nicht, die so demokratiehörig sind. Nachvollziehen kann ich es allerdings schon. Ich möchte kritischsolidarisch sein und bleiben.
Im Wahllokal habe ich meinen Ausweis und die Wahlbenachrichtigung bei einer der beiden Beisitzenden abgegeben und meinen Wahlzettel erhalten. R. brauchte ihren Ausweis nicht vorzeigen und hat ihn der Beisitzenden regelrecht aufzwingen müssen. Dies ist wohl ein Privileg, wenn dein gelesener Geschlechtsausdruck zum Vornamen passt.
Nach dem ankreuzen bin ich zur Schriftführenden gegangen. Nachfolgend mein Gedächtnisprotokoll.
Schriftführende zur Beisitzenden: „Hast du den Ausweis kontrolliert?“
Beisitzende: „Ja.“
Ich: „Der Vorname sagt nichts über das Geschlecht aus!“
Schriftführende: „Das ist Pflicht, dass wir die Ausweise kontrollieren….“
Ich: „Und ich muss darunter leiden?“ Schriftführende lacht und schaut genervt nach unten. Der Wahlvorstehende grinst und mindestens eine der Beisitzenden lacht laut.
Ich: „Das ist also lustig für Sie?“
Schriftführende: „Nein, aber es gibt nunmal Menschen, die für andere wählen…“
Ich unterbreche sie und werde lauter: „Aber sie hat’s doch schon am Anfang kontrolliert!“
Ich schau genervt und überfordert den Wahlvorstehenden an und gehe auf ihn zu: „Komm, mach fertig da!“. Er macht den Briefschlitz frei, ich werfe meinen Wahlzettel dort rein und stürme raus.
Mein Fazit:
Für viele ist meine Handlung in dieser Situation wahrscheinlich unverständlich und übertrieben. Aber ist sie das wirklich? Schauen wir mal genauer hin.
Für mich ist es ein großes Ding und dies seit Jahren. Seit 2020 bin ich vom Staat legitimiert (sic) als divers geführt und mein Vorname lautet Anny. Das sind fast 5 Jahre und ich würde es immer wieder tun. Trotzdem waren diese 5 Jahre auch eine ganz schöne Tortur.
Ich musste fast 3 Jahre mit meiner Krankenkasse darum kämpfen, angemessen angesprochen zu werden. Und dabei geht’s einzig und alleine um den Briefverkehr. Wenn ich dort anrufen oder sogar persönlich erscheinen muss, muss ich mich immer erklären.
Dies ist der Satz, den ich immer hören darf: „Das sind aber nicht Sie.“
Es wird also sofort davon ausgegangen und ausgesagt, dass ich nicht ich bin. Das bin ich mittlerweile gewöhnt. Trotzdem tut es immer wieder weh.
Und es nervt einfach. Und es ist diskriminierend. Und es ist nur ein Fall von vielen, die jeden Tag mehrmals passieren. Ich schreibe nicht „passieren können“. Es passiert mehrmals täglich. Aber gehen wir mal davon aus, dass es jeden zweiten Tag vorkommt, dass ich mich für mein Sein erklären muss.
Als Anfang nehmen wir den 21.10.2020 und als Enddatum den 31.12.2024. Dies sind genau 1532 Tage. Die Hälfte davon sind 766 Tage. In 4 Jahren musste ich mich nach dieser viel zu großzügigen Rechnung an 766 von 1532 Tagen mehrmals für mein Sein erklären. Das kostet Kraft, die ich oft gar nicht habe. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies ist ein einziges runtergerechnetes Modell ist. Dazu habe ich noch andere Probleme und Herausforderungen zu überstehen.
Ich leide seit meiner Kindheit unter Depressionen und seit meiner Jugend unter so einigen Zwängen. Zudem begleitet mich auch noch eine Persönlichkeitsstörung und es fällt mir unglaublich schwer, unter (fremden) Menschen zu sein.
Alleine der gestrige Vorfall hat mich Stunden gekostet und das wird es auch noch weiterhin. Auf dem Nachhauseweg sind wir noch eine größere Runde durch den dortigen Wald gegangen. In dieser Zeit konnte ich mich kaum konzentrieren und musste immer wieder das zuvor Erlebte durchgehen und mein Handeln hinterfragen. Ich bin sämtliche Eventualitäten durchgegangen und musste ein Gefühlschaos nach dem anderen durchleben.
In den schlimmsten imaginären Fällen hätte ich entweder Stühle durch die Gegend geschmissen oder eine Sitzblockade vor der Eingangs-/ Ausgangstür veranstaltet. Und jedesmal ging’s von vorne los und ich musste immer wieder durch diese Situationen und Gefühle.
Zu Hause habe ich mich dann sofort an Mastodon gesetzt, um schonmal einen kleinen Schlußstrich ziehen zu und diese Situation ein klein wenig loslassen zu können. Der Tag war für mich also schon vor dem Wahlergebniss hinüber.
Und heute, einen Tag später, geht’s natürlich weiter. Ich muss jetzt eine Email aufsetzen und die Mailadressen des Wahlvorstands und der Stadt Bochum recherchieren. Zeit, die ich eigentlich anders verplant habe, was auch wieder meine Zwänge beeinflusst. Mein Tages-/Wochenplan wird daurch zerstört. Nicht verändert und auch nicht angepasst. Er ist einfach kaputt!
Diese „kleine“ Situation kostet mich mindestens 24 Stunden. Ganz abgesehen von den Zwangsgedanken, die mich Wochenlang verfolgen und immer mal wieder hervorkommen, wenn gerade keine Anderen stärker sind.
Darauf kann Mensch natürlich antworten: „Das können die Diskriminierenden ja nicht wissen, dass du auch noch andere Probleme hast.“ Das stimmt. Das sind meine persönlichen, ganz individuellen Probleme. Nichts destotrotz nehme ich das nicht mehr an und gebe alles weiter, was ich weitergeben kann. wenn ich die Kraft dafür habe.
Und auch, wenn es nichts persönliches war und die Leute einfach überfordert waren, war und ist es für mich etwas persönliches und hat für mich weitreichende Folgen. Dies hätte verhindert werden können, wenn alle einfach nur ihren Job gemacht und etwas Empathie besessen hätten.
Allerdings glaube ich auch mittlerweile leider, dass die Schriftführende mich absichtlich diskriminiert hat. Und leider gehe ich davon aus, dass meine Beschwerde nicht bis zu ihr durchdringt und ihr Handeln somit auch noch bestätigt wird.
Aber ich habe alles demokratische getan, was ich tun konnte und bin stolz auf mich, dass ich diese Kräfte gerade mobilisieren kann. Mein Wunsch verlangt eigentlich nicht viel und tut niemand anderes weh.
Ich möchte einfach nur eines: Ich möchte in der Masse untergehen und einfach so sein können, wie ich bin.
Zum Schluß darf auf meinem Blog natürlich keine „Musik des Tages“ fehlen. Zuerst einmal Creep von Radiohead, um mich runterzuholen und danach Converge mit Phoenix in Flames, um so richtig auszurasten, den Dreck abzuschütteln und weiterzumachen!
(Mir ist bewusst, dass die beiden Bands eine reine Typensuppe sind. Normalerweise achte ich auch immer darauf, auch andere Musikmachenden zu empfehlen, aber diese beiden Lieder haben mir gestern am meisten Kraft gegeben.