Tag Archives: behinderung

Tag 51

Mittwoch, 31.05.2023 – Kulturtaschen-Punk

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Können Punks Kulturtaschen besitzen? Ist das dann noch true? Also, wegen Kultur und Punk. Das verträgt sich doch gar nicht. Ich habe keine Ahnung, aber seit gestern weiss ich auf jeden Fall, wie wichtig mir meine Kulturtasche ist. Diese habe ich nämlich am Montag zu Hause vergessen und konnte mir gestern Morgen nicht die Zähne putzen und mich rasieren. Oh! Putzen Punks sich überhaupt die Zähne? Oder geben es offiziell zu, dass sie es tun? Also putzen Punks sich heimlich die Zähne? Oder gar nicht? Bis zu welchem Schritt ist Punk dann noch Punk? Seitdem ein sehr guter Freund von mir, der Punk durch und durch ist, einen Golfarm hatte, glaube ich eigentlich auch mittlerweile an gar nichts mehr… Das ist Punk, das raffste nie!

6.00 Uhr Wir sind am Samstag umgezogen und haben so reingehauen, dass wir Fussball um 15.36 Uhr anmachen und schauen konnten. Dies steckt mir aber noch ganz schön in den Knochen. Ich will nicht aufstehen. Ich will pennen! Essen und trinken wäre auch noch akzeptabel. Kommt natürlich auch drauf an, um welche Speisen und Getränke es geht, aber ich gehe mal von schmackhaftem Zeigs aus. Da fällt mir ein: Denieren Punks Speisen und Getränke? Oder fressen Punks nur Pommes und trinken Hansa? Also zweiteres natürlich alkoholfrei, weil Queer Edge und so. Also nicht alle Punks, aber ein paar. Ach, lassen wir das.

7.00 Uhr mein neuer Bettnachbar ist voll nett und ich verstehe mich super mit ihm. Wir stehrn auch fast zur gleichen Zeit auf. Das passt ganz gut. Wir kommen uns auch nicht in die quere, wenn’s ums Zähne putzen geht. Weil ich ja Punk bin und nur zugucke, wie Normalos, Bürgis, etc. ihren Zähnen so etwas antun können. Also sich die Zähne putzen.
Ich kann jetzt endlich wieder meinen Tagesplan im Zimmer an meinem Tisch fertigmachen und brauche mich nicht ausm Zimmer schleichen. Find ich gut.

8.20 Uhr Wir stehen vorm Haus, in dem mehrere Kunst-Therapien stattfinden und rauchen uns noch eine. Wie jeden Morgen. Mittlerweile schmeckt’s mir gar nicht mehr und ich werde wohl zu meiner Entlassung am 06.06.2023 aufhören und kann mich dann wieder Queer Edge nennen. Beim Werken bin ich gerade dabei, die Beine so anzuspitzen, dass ich sie mit der Sitzfläche verbinden kann. Also reinstecken. Die Beine. In die Sitzfläche.

9.30 Uhr Jetzt schnell zurück zur Station und endlich rasieren. Das stressige daran ist, dass die Visite von Freitag auf heute verlegt wurde und ich mich für Freitag in einen der letzten Plätze eingetragen habe. Freitags habe ich erst Werken und im Anschluss bis 10.40 Uhr Musik. Mittwochs habe ich aber Werken und von 11.00 bis 12.00 Uhr Gruppentherapie. Die wollen mich jetzt in der letzten Woche ordentlich testen, ey. Als wenn es nicht reichen würde, dass der Feiertag am Montag die gesamte Woche kaputt macht. Okay. Ist ja eine gute Übung, da mir so etwas draussen ja auch passiert. ABER!
Ich hab’s aber geschafft, ohne mir das halbe Gesicht abzuschneiden, der übriggebliebene Bart ist auch okay und ich konnte noch in Ruhe einen Kakao trinken.

10.40 Uhr Letzte Visite hier für mich . Wir rekapitulieren nochmal die letzten 7,5 Wochen. Anfangs war ich sehr enttäuscht von mir extrem sauer auf mich, dass ich mal wieder in der Klappse gelandet bin. Ich dachte, ich bin momentan „besser“ aufgestellt und brauche das nicht, da ich gerade eine super Psychotherapeutin und einen BeWo-Betreuer habe. Die vorherigen Klinikaufenthalte habe ich auch in Frage gestellt. Jetzt weiss ich, dass jeder Aufenthalt wichtig war und mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Jeder verdammte Aufenthalt hat mir etwas gegeben. Und dieser hier genauso. Ich bin so froh, dass wir die Spannungskurve zusammen mit der Gefühlsliste täglich durchgehen. Auch meine Skills, die ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe, konnten wir verfestigen und es sind neue hinzugekommen. Die Depris sind nicht mehr so stark und die mit meinen Zwängen habe ich auch einen anderen Umgang gelernt. Gerade was das auf Fugen treten anbelangt, kann ich es jetzt ein wenig „ausleben“ und mir dadurch den Druck nehmen, der sich durch Fugen aufbaut und es baut sich weniger Druck gerade bei Fugen auf, bei denen es mir unmöglich ist, diese nicht zu treffen. Ist ein ungewohntes Gefühl, aber es tut mir gerade unglaublich gut.

12.00 Uhr In der Gruppentherapie konnte ich mich kaum konzentrieren. Ich war so fertig. Das ist gerade sehr anstrengend, aber ich weiss ja, wofür ich das Ganze mache. Jetzt erst einmal fuddern, 30 Minuten pennen und um 13.00 Uhr habe ich dann noch mein Einzelgespräch.

14.00 Uhr Auch im Einzel sind wir die Zeit in der Klinik und meine Vortschritte durchgegangen. Zum Thema Borderline sind wir 9 Anzeichen durchgegangen und wenn 5 davon zutreffen kann es sich höchstwahrscheinlich um eine Borderlineerkrankung handeln. wir kamen spontan auf 4. Der Therapeut wird im Abschlussbericht eine Tendenz zur Borderlineerkrankung aufnehmen, damit ich dies mit meiner Therapeutin nochmal durchgehen kann. Mal schauen. Aber zuerst werden wir mal das Zwangstagebuch etablieren, um zu schauen, welche Zwänge wie ausgebildet und belastend für mich sind.

15.00 Uhr schnarch…

17.00 Uhr Ich habe es zum ersten Mal überhaupt geschafft, auf dem Bett zu liegen und einfach „nur“ bewusst Musik gehört. Scheisse  gibt es geile Musik. Wir Menschen bekommen so gute Sachen hin. Das ist schon beeindruckend.

19.00 Uhr Mit der Pflege gehe ich noch kurz mein (Ent-)Spannungskurve durch und gehe im Anschluss noch spazieren.

21.00 Uhr 3 Kilometer sind’s geworden und jetzt sitze ich in der Cafèteria und mache mir eine Liste, bei welchen Unternehmen und Instutionen ich meine neue Adresse überall angeben will. Heute ist ein guter Tag. Und dass, obwohl mir der Feiertag die Woche kaputtgemacht hat. Ich habe es sogar geschafft, den Blog ein zweites Mal weiter zu führen, obwohl schon wieder neue Lücken entstanden sind. Gute Nacht! :-*

Tag 36

Dienstag, 16.05.2023 – Igelbälle 4 Life

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Anspannung, Überforderung

(Bildbeschreibung: Foto von meinem Nachttischchen. Auf diesem ist eine Flasche Wasser, ein kleiner gelber Igelball, ein grüner grosser Igelball, eine Pflaume, eine Birne, Tattoo-Creme und ein grosses Buch zu sehen, auf dem ein kleineres Sudoku-Rätselbuch liegt.)

Gestern hat mir mein Zimmernachbar erzählt, dass er nächste Woche schon wieder abhaut und, dass der Arschlochtyp heute gehen muss. Kann nicht sagen, dass ich mich besonders darüber freue, aber leid tut mir das auch nicht. Wer weiss, wie der Ersatz wird?

6.00 Uhr Der Wecker klingelt. Und welches Lied läuft gerade? Caught out there von Kelis: „I hate you so much right now!“ Passt!

7.00 Uhr Ich bin sehr schlecht aus dem Bett gekommen. Die Nacht war auch wieder sehr unruhig und mit Albträumen bestückt. Ich sitze jetzt im Gemeinschaftsraum, schreibe meinen Tagesplan und trinke Kaffee. Als ich fertig damit bin, kommt Arschlochtyp rrin und setzt sich mir gegenüber. Ich frage ihn, wie er sich fühlt und wir quatschen ein wenig. Ich glaube, er ist nicht rechts, ist verzweifelt und hat einiges zu kompensieren. Mit unpassenden Sprüchen scheint er zudem die Aufmerksam zu bekommen, die er braucht. Das soll nichts entschuldigen, aber erklären. Ich spreche es aber auch nicht an und wünsche ihm alles Gute. Danach verpisse ich mich erst einmal in mein Zimmer. Bin froh und stolz auf mich. Das war natürlich nicht perfekt von mir, aber früher hätte ich ihm noch einige Seitenhiebe mitgegeben und wäre eklig geworden. Das hat gerade oberste Priorität. Ich werde nicht aufhören, mich gegen Diskriminierung und Gewalt generell einzusetzen, aber jetzt arbeite ich daran, dass ich es so ansprechen kann, wie ich mir mein Verhalten wünsche. Ruhig, sachlich, auf Augenhöhe (bis zu einem gewissen Grad), klar und eindeutig.

9.20 Uhr Ich hatte heute gar keine Lust auf Musik. Musik bringt mir so viel, das Musik machen kostet aber auch einiges. Heute war allerdings in den drei Runden, Xylophon, Klavier und Hang Drum, zwischendurch leicht, nicht zu denken und einfach zu machen. Das war echt super. Trotzdem fühle ich mich danach immer sehr geschafft. Bin froh, dass ich dort war und es trotzdem durchgezogen habe. Als ich auf mein Zimmer komme, gönne ich mir erst einmal eine Pause mit Schach im Bett.

11.45 Uhr Stabübung und der innere Druck steigt kontinuierlich seit Stunden an. Und mit wem darf ich das heute machen? Mit meiner Freundin, die mich am Donnerstag zum heulen gebracht hat. Uah! Eigentlich genau das Richtige. Ich muss mit ihr zurecht kommen und wer weiss, wie die Stabübung mit ihr läuft. Ich war immernoch sehr überfordert und wusste nicht so ganz, was ich machen soll, aber in der Mitte der Übung lief’s ganz gut. Glaube ich zumindest. Ich bin so froh, dass ich das jetzt hinter mir habe. Ich will’s ja weiter versuchen, aber es kostet auch immer wieder ordentlich Überwindung.

12.30 Uhr Nach dem Mittag schnell ins Bett. Ich bin echt fertig.

13.20 Uhr Ich gehe zum Pflegezimmer und frag nach, wo die medizinische Sprechstunde stattfindet. „Eigentlich hier, aber ich rufe die Frau Doktor mal an und frage nach, ob sie jetzt gerade überhaupt Zeit hat.“ Natürlich hat sie gerade keine Zeit und kommt Nachmittags auf mich zu. Also wird das nichts, weil ich nicht stundenlang auf Abruf bleibe. S. will mich am Nachmittag auch spontan besuchen und wir wollen mit Kind und Hunde eine kleine Runde durch den Wald. Gut, dann kann ich jetzt erst einmal weiterpennen. Das macht mich schon wieder fertig. Werken fällt diese Woche wegen Urlaub aus, der Feiertag kommt dazu und jetzt wird mir mein heutiger sehr voller Tagesplan wieder einmal kaputt gemacht. Dann schlafe ich halt.

14.30 Uhr Jetzt fängt Depri-Logik an. Ich quäle mich mal wieder aus dem Bett und gehe in Richtung Gemeinschaftsraum. Als ich unterwegs auf meinen Terminplan schaue, lese ich „fällt aus“. Echt jetzt? Bett!

16.00 Uhr Jetzt habe ich das Pflegegespräch. Meine Bezugspflege habe ich schon gesehen. Das wird also wohl stattfinden. Wenn nicht, könnte ich mich eigentlich ins Bett verziehen. Schon lange nicht mehr gepennt… Nein! Es findet statt. Wow! Wir gehen nochmal alles durch und schauen, ob wir etwas verändern müssen oder wollen. Alles super. Ich fühle mich gerade etwas zurückgeworfen, weil wir erst letzten Donnerstag eine neue, sehr tiefsitzende Baustelle geöffnet haben und diese Woche nicht ist, wie die letzten zuvor. Das macht mir gerade ordentlich zu schaffen, aber ich weiss ja, woher es kommt und versuche es so anzunehmen. Auch die (Ent-)Spannungskurve zeigt, dass es gerade etwas turbulent bei mir zugeht.

18.00 Uhr Vorm Spaziergang bin ich noch schnell in das kleine Lädchen und habe mir einen kleinen und einen mittleren Igelball geholt. Mal schauen, wie und wann ich diese einsetzen kann. Nach dem Spaziergang gibt’s Abendessen. Endlich ein festes Ritual, welches mir Halt und Sicherheit gibt. Fast! Meine Mitpatient*innen haben Tomate-Mozarella-Häppchen gemacht und einen Teller extra vegan gehalten. Aus Höflichkeit nehme ich mir zwei und integriere sie in mein Essen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es gar kein Desinteresse an neuem ist, sondern auch beim Essen bei mit so bestimmte Abläufe existieren, die mir Sicherheit geben, solange sie nicht durchbrochen werden. Es gibt Abends drei Scheiben Brot und drei kleine Schälchen mit Aufstrich. Diese esse ich zuerst. Also zuerst deftig, dann das Süsse Zeugs. Dann kommt der wechselnde Salat und zum Schluss der Eiersalat. Als mir das Aufgefallen ist und der Druck schon wieder gestiegen ist, weil noch einige Häppchen übrig waren, habe ich das so kommuniziert, dass ich das gar nicht unlecker fand, aber mein Programm durchziehen möchte. Das wurde dann auch von allen verstanden und die Häppchen anderweitig verteilt. Das lief gut. Ich habe das nicht nur erkannt, ich habe es kommuniziert.

18.45 Uhr Ich sitze auf meinem Bett und denke so:“ Ach, du warst doch vorhin spazieren, dann kannste dich jetzt auch schon hinlegen.“ Boah, hau aaab! Ich ziehe das jetzt durch und mache meinen allabendlichen Spaziergang. 4 km in 42 Minuten. Geht doch. So, jetzt noch mit R. telefonieren, ab ins Bett und noch ein wenig Schachten. Oh, die ISS-App habe ich heute ganz vergessen. Einmal am Tag will ich dort reinschauen, also mache ich das noch. Gute Nacht!

Anny’s Ohrwurm des Tages:

Ashnikko – Clitoris! The Musical

Tag 35

Montag, 15.05.2023 – Ich bin so Wissenschaftsaffin, ich höre sogar Mathcore

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Tierausbeutung, Rassismus

(Beitragsbild: eine Fotonahaufnahme eines Teils von einem Bandshirt der Mathcore-Band IWrestledABearOnce, auf dem Yoda aus Star Wars zu sehen ist und der Bandname in Yodas Sprache abgebildet ist: A Bear Once I Wrestled)

Meine Nacht war gar nicht gut. Sehr unruhig, oft wach geworden, lange gebraucht, um wieder einzuschlafen, zweimal aufs Klo gemusst und Sodbrennen. BAH! Gestern Abend erzählt mir mein Bettnachbar, dass er gerne Angeln geht und, dass er kein Rassist sei, aber mit bestimmten Arten von Ausländern nichts zu tun haben möchte. „Ist so’n persönliches Ding.“ Dat kannste dir nicht ausdenken. Also schon, aber das ist so passiert. Schwör!

7.23 Uhr Ich sitze alleine im Gemeinschaftsraum und warte auf die Morgenrunde. Heute kam ich echt schwer aus’m Bett. Gut, dass diese Woche Werken ausfällt. Das bedeutet Morgens weniger Stress, aber auch 4 Tage, in denen der Hocker nicht weiterbearbeitet wird.
G. meine Sitznachbarin beim Essen kommt rein und fragt nach einer Zeitung. „Die aktuelle Tageszeitung kommt immer mit dem Frühstück zusammen.“ sag ich. Daraufhin kramt sie in der Zeitungsablage und holt sich eine „Rute und Rolle“. Eine Angelzeitung. Wer die wohl dort abgelegt hat? Ich könnte wahrscheinlich auch Anglerzeitung schreiben, das weiss ich aber nicht. Vielleicht schaue ich mir den Scheiss mal an. Jetzt liegt hier schon Tierqual-Propaganda rum. Ich könnte ja auch mal eine Tierbefreiung, Graswurzel Revolution oder ein Antifaschistisches Infoblatt auslegen? Für den Skeptiker mache ich keine Werbung, nachdem in der GWUP so viel Kacke passiert ( #GWUPGate #NoABA #GegenTransfeindlichkeit )¹. Keine Ahnung, ob ich zum zweiten Mal dort austrete. Ich warte jetzt die Mitgliedsversammlung am 20.05.2023 ab, weil ich weiss, dass dort einige coole Leute hinfahren. Ich habe gerade keine Kraft dazu. Solidarische Grüsse an die coolen GWUPler*innen!

8.10 Uhr Beim Frühstück geht’s um den SodaStream und, dass die ein neues Anschlusssystem für die Gasflaschen haben, damit mensch keine Alternativen dort anschliessen kann und ob sich wohl bald die ersten kleinen Firmen an diesen Verschluss austoben. „Da machen die sich dann aber strafbar, wenn das patentiert ist!“ ArschlochTyp:“ Das ist den Chinesen egal!“ Puh! Ich habe mich innerlich auf eine Ansprache vorbereitet, seitdem er mit am Tisch sitzt. Aber während ich „schnell“ nochmal darüber nachdenke, wie ich das nochmal anspreche und was er zuvor noch alles von sich gelassen hat, haben die schon lange ein neues Thema. Ich musste auch noch drüber nachdenken, ob das Thema nicht zu „grauzonig“ für meine Ansprache beim ArschlochTypen ist. Nein, ist’s nicht, aber ich habe zu lange darüber nachgedacht. Verdammt! Das nächste Mal kommt bestimmt. Leider!

12.00 Uhr In der Gesprächsgruppe ging’s heute um Zwänge. Ich hätte da einiges zu beitragen können, aber jedesmal, wenn ich sagen wollte, dass ich für mich Ticks/Schrulligkeiten erst Zwänge nenne, wenn sie mich negativ beeinflussen, einschränken oder ähnliches, war jemand anderes schneller oder ich musste drüber nachdenken, ob ich mit diesem Satz anderen etwas abspreche. Ich will auch gar nicht so viel Platz einnehmen. Ich bin mir nicht sicher, was ich von der Runde halten soll. Sie war auf jeden Fall sehr aufwühlend. Nach dem Essen erst einmal eine Runde pennen mit lauten Bohrgeräuschen im Hintergrund. Die Klinik ist ja schon länger eine Baustelle. Beim Tinnitus ist der Vorteil, dass er durchgehend ist, das Bohrgeräusch macht mir zu viele Pausen und ist ja auch nachmittags fertig…

15.18 Uhr Ich warte in der Küche auf meinen Therapeuten, trinke einen Kaffee und spiele Schach auf dem Handy. Wir hatten uns für ab 15.00 verabredet und ich weiss nicht, in welchem Zimmer er gerade sitzt. Als er um die Ecke kommt, grinst er mich an und nickt mit dem Kopf. Ich mag ihn. Cooler und sympathischer Typ. Es geht um eine Verlängerung um 2 Wochen und um Migräne-Medis. Kurz und knapp: Wir denken beide, dass anhand der neu eröffneten Baustelle mit den Mikroaggressionen eine Verlängerung richtig wäre. Bezüglich der Medikation trage ich mich im Anschluss auf die Liste für die medizinische Sprechstunde an der grossen Orgatafel ein. Läuft…

17.55 Uhr Ich habe mich nach dem Gespräch aufs Bett gelegt und einfach nur Musik gehört. Ich hätte auch nichts gegen Schlafen gehabt, aber das war mal eine ganz neue Erfahrung. Ab 18.00 Uhr gibt’s Abendbrot.

18.30 Uhr Während ich auf die anderen warte, blättere ich die Anglerzeitung durch. Keine einzige weiblich gelesene Person. Eine Urmenschen-Zeitung, richtig schön oldschool. Harter Männersport für harte Männer! Angeln ist kein Sport, Angeln ist Tierquälerei und Mord. Ich bin dahingehend sehr extrem, aber ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es den Lebewesen gut tut, mit einem Haken im Maul am eigenen Gewicht hochgezogen zu werden. Sorry! Bin da doch sehr voreingenommen. Ach so, und Mord ist’s ja auch noch. Selbst, wenn die Fische aus dem Wasser getragen würden. Auch dahingehend bin ich sehr voreingenommen…

18.50 Uhr Gerade ist die Stationsversammlung, bei der die Wochenjobs vergeben werden, vorbei und im Anschluss wird nochmal nachgefragt, ob es allgemeine Anmerkungen oder Wünsche gibt. Ich bin so stolz auf mich, dass ich einen kleinen Anfang geschafft habe, indem ich angesprochen habe, dass ich ständig in den Gemeinschaftsräumen die Lichter ausmache, wenn sich dort niemand aufhält und darum gebeten, dass alle mal darauf achten. Es gab entweder Zustimmung oder Enthaltungen. Naja, ist ja auch ein polarisierendes Thema. Ich habe den ersten Schritt geschafft. Apropos Schitte: Ich zwinge mich jetzt zu einem Spaziergang im Wald. Auch das habe ich ab Donnerstag schleifen lassen.

20.45 Uhr 40 Minuten gelatscht, mit R. telefoniert, noch eine gequalmt und jetzt ab ins Bett. Gute Nacht! :-*

Anny’s Ohrwurm des Tages:
Iwrestledabearonce – Danger in the Manger
https://youtu.be/o_6lI1t0qMM (Der keyboardspielende Hund ist der coolste!)
Wikipedia:
„Iwrestledabearonce (abgekürzt IWABO) war eine 2007 gegründete Mathcore-Band aus Shreveport, Louisiana, die beim deutschen Label Century Media unter Vertrag stand. Ihre Musik ist eine Mischung aus Jazz, Swing, Electronic und Deathcore. In ihrer Karriere veröffentlichte die Band eine EP und vier Alben. Iwrestledabearonce trennten sich im Jahr 2016.“

¹ GWUP-mässig kann hier nachgelesen werden, was da so los ist: https://mela.de/blog/2022/12/16/transfeindlichkeit-und-die-gwup/ (mit weiterführenden Links zum Thema ABA.)

Wochenende Nr. 5

Samstag und Sonntag, 13. + 14.05.2023 – 666 That’s the Number of my Chess-Points

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

(Beitragsbild: Screenshot aus der Chess.com-App – auf der unteren Hälfte sind die obersten 2 Reihen eines Schachbretts mit mehreren weissen Schachfiguren zu sehen, in der oberen ist ein fast voller Ladebalken und dort drüber die Zahl 666 zu sehen)

Ker, wat ein produktives Wochenende, ey. Gestern viel in der neuen Wohnung geschafft und heute in der alten. Wir haben gestern sogar zum ersten Mal in der neuen Wohnung geschlafen. Schön, im Bett Fussball geguckt, bzw. während dessen eingeschlafen. Dortmund habe ich halbwegs noch mitbekommen, St. Pauli leider gar nicht mehr. Meine Nacht war auch wieder einmal sehr unruhig und R. hatte dadurch eine sehr kurze. Ich war heute Morgen allerdings nicht ganz so gerädert.

Samstag

7.00 Uhr Warum sollte ich heute um 6.30 Uhr oder so aufstehen? Da bleib ich lieber noch ein wenig liegen. Mein Bettnachbar bleibt mir aber zu lange liegen, weswegen ich dann doch eher als er aufstehe. 7 reicht aber völlig. Wir haben’s ja abgemacht, dass ich das Licht in der Waschbeckenecke anmachen kann. Ganz gemütlich Zähne putzen und danach duschen gehen. Danach habe ich dann noch genügend Zeit, meinen Wochenendplan zu kontrollieren und auszufüllen. Einen gemütlichen Kaffee kann ich auch noch dazu trinken.

7.45 Uhr Der Wagen mit den Frühstücktabletts steht schon bereit. Cool! Dann verteile ich mal das Zeugs. Ich bin schon bal in meiner sechsten Woche und kann mir immernoch nicht alle Namen und die Sitzplätze merken. Und das, obwohl ich jeden Morgen das Essen verteile. Egal, gibt wichtigeres! Zum Beispiel futtern. Während ich die Tabletts verteile, fällt mir auf, dass es sein kann, dass sich am Wochenende alle selbst die Tabletts aus dem Wagen nehmen, weil nicht alle bis zum Frühstück hier sind. Verdammt! Was mache ich denn jetzt? Ich habe die Verantwortung für das Zeugs übernommen, als ich’s verteilt habe! Noch hat mich niemand gesehen. Ich könnte sie wieder zurückstellen, aber, wenn mich dann jemand damit sieht, dann wird’s peinlich. Ich könnte auch einfach nachfragen, aber, wenn mir dann gesagt wird, dass die Tabletts nicht verteilt werden, kann ich die eine hälfte nicht einfach so stehen lassen und es gibt Zeugen. Einfach weglaufen wäre das einfachste, aber ich will frühstücken! Puh. Einfach jetzt hinsetzen und so tun, als wenn ich den halben Tisch nicht gedeckt habe? Was ist, wenn das aber schon jemand mitbekommen hat? Dann muss ich nachher Rede und Antwort stehen. Ich ziehe das jetzt durch und mache den Tisch fertig.

7.50 Uhr Ich sitze am fertiggedeckten Tisch und esse in Ruhe. Was ist, wenn das doch jemand mitbekommen hat? Das lässt mich nicht in Ruhe. Mal schauen, was die Leute sagen, wenn sie hier reinkommen, dann kann ich immernoch spontan darauf reagieren. Vielleicht tue ich doch einfach so, als hätte ich den Tisch schon so vorgefunden… Die sind alle noch so verballert, dass es den meisten gar nicht auffällt, was hier passiert ist. Dann kann ich ja beruhigt weiterfuttern. Oder? Ich mach einfach. Keine Ahnung, wie ich nächstes Wochenende damit umgehe. Muss ich mir auch jetzt noch keine Gedanken drüber machen. Das ist das Problem des*der zukünftigen Anny’s.

8.30 Uhr Und Tschüss!

Sonntag

17.50 Uhr Ich laufe schnellen Schrittes und voller Angst davor, doch zu spät zu sein zum Pflegebüro. „Hallo, ich wollte mich zurückmelden!“ „Hallo, Anny Nachname, schön Sie zu sehen.“ „Danke, dito!“ Puh, alles gut. 18.00 Uhr ist richtig und ich bin nicht zu spät. Jedesmal die gleiche Scheisse. Aber, was ist, wenn es einmal anders läuft und ich bekomme das nicht mit? Das macht mich fertig. R. hat mir im Auto auch schon gesagt, dass ich nicht zu spät dran bin, aber, wenn das so einfach wäre, wäre ich nicht öfter mal in der Klappse. Vielleicht kann ich auch da mal dran arbeiten, aber bei den ganzen Baustellen, bin ich froh, wenn wir irgendwas abgearbeitet bekommen. Gefühlt ist andauernd etwas Anderes im Vordergrund und benötigt aufmerksamkeit. Ich bin aber sehr froh, dass wir hier und jetzt den inneren Druck und mein Problem mit den Ansprechen von Scheisse, ohne, dass ich in die Luft gehe, anschauen. Das scheint es auf jeden Fall schon sehr nötig zu haben. Oder ich. Oder wir. Also, das Problem und ich. Also, du weisst schon…

18.30 Uhr Alle Taschen sind aus- und Schrank ist eingeräumt. Ich liege aufm Bett und schachte ne Runde. Plötzlich geht der Gong. Kacke! Beinahe zu spät zur Wochenendrunde gekommen. Ich war aber nicht die einzige und letzte Person, weswegen der Gong wohl auch benutzt wurde. Die Runde ist kurz und schmerzlos, da wir 1, 2 positive Sachen vom Wochenende erzählen und kurz unsere Nacht ansprechen sollen. Jetzt erst einmal eine Abschluss-Kippe ins Gesicht stecken. Ich gehe extra hinten raus, weil dort immer weniger los ist. Nur nicht heute. Egal, das erste Häuschen ist meistens besetzt, gehe ich halt zum zweiten um die Ecke. Alter*! Verarschen? Gehe ich halt… Okay hinten ist’s gerade einfach voll. Dann drehe ich mir eine im Gehen und schlendere halt zum Haupteingang. Hier kann ich mich wenigsten an einen Aschenbecher stellen und in Ruhe ein paar Züge geniessen. Am schlimmsten sind allerdings die Fugen am Haupteingang. Das ist immer unangenehm. Egal. Im Innenhof kann ich mich mittlerweile fallen lassen und nur die heilen Steine betreten, ohne die Fugen zu berühren. Das nimmt ordentlich Druck raus. Überall sind zwar Fenster, aber wo sollte ich das denn sonst ausleben, wenn nicht hier? Gute Nacht! <3

PS: Schlake, vielen Dank für nichts! 🙂

Tag 16

Mittwoch, 26.04.2023 – schlechte Laune, bester Tag

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung

Erste Nacht mit neuem Menschen. War für uns beide unruhig. Da ich vorm Schlafen noch ein Stück Kuchen gefuttert habe, das mir S. gestern mitgebracht hat, habe ich natürlich auch ordentlich Sodbrennen gehabt. Konnte ich ja nicht wissen, dass ich das auch davon bekommen kann.

Aber, vielleicht kam das gar nicht vom Kuchen, sondern von der Schoki? Oder von den anderen Süssigkeiten? Vielleicht auch eine Kombination von Schoki und Süssigkeiten. Vielleicht aber auch vom gestrigen Stress. Es gibt so viele Ausreden, äääh Möglichkeiten.

6.00 Uhr Der Wecker klingelt und mir wird schon schlecht, wenn ich an die Tagestermine denke. Also in allererster Linie den Plan. Wenn der wieder so spät ausliegt, dann… nichts. Was soll denn machen. Können die ja auch nichts für. Haben genug an der Backe. Ändert aber für mich auch nichts. Was noch hinzu kommt? Mein Bettnachbar ist Langschläfer und ich gehe zum Zähneputzen aufs Klo. Das müssen wir erst einmal absprechen, wie wir damit umgehen und, ob ihn das stört, wenn ich das Licht in der Waschbeckenabteilung anmache, während er noch schlummert. Besser kann der Tag doch gar nicht anfangen. Dann jetzt erst einmal ’nen Kaffee holen und langsam starten. Kein Kaffee da. Die Person, die dafür zuständig ist, hat wohl verschlafen. Normalerweise ist der Kaffee schon fertig. Ich kann mich jetzt nicht darum kümmern und dafür verantwortlich sein, dass da etwas schiefgeht oder nicht schmeckt oder sonst etwas. Das ist mir schon zu viel. Ich will wieder ins Bett. Gut, dann drehe ich mir halt eine. Eigentlich habe ich mir angewöhnt, die Erste zu quartzen, wenn wir zum Werken gehen, aber das ist halt eine Notsituation. Boah! Wenn ich das so aufschreibe, merke ich selbst, wie komisch sich das für Aussenstehende zu lesen sein muss. Ich mache da keinen Spass! Ich bin sofort bei 70%! Das ist schon der rote Bereich, bevor ich überhaupt richtig wach bin.

9.40 Uhr Werken war wid immer geil. Ich bearbeite gerade die Beine und rauche mir nach der Stunde schon die dritte Kippe. Bei jeder einzelnen Kippe mache ich mir Sorgen vor Schlaganfall Nr.4, aber, wenn ich Beruhigungsmittel einnehme, ist der Tag für mich gelaufen. Ich möchte etwas vom Tag mitbekommen. Ich hoffe sehr, dass ich hier gute Skills mitbekomme, um meine Scheisse anderweitig kompensieren kann. Ich glaube, ich bin hier auf einem guten Weg. Queer Edge¹, ich komme bald wieder zu dir, mein Schatz! :-*

11.00 Uhr Gesprächsgruppe und habe richtig miese Laune. Der Tag hat so beschissen begonnen und ich komme einfach nicht ausse Pötte. Eigentlich wollte ich um 10.00 Uhr duschen und danach kurz zu den Hühnern. Ich bin froh, dass ich es wenigstens geschafft habe zu duschen. Ich kann die Pfoten einfach nicht von meinem Tagesplan lassen. Andauernd muss ich nachgucken, ob ich auch nichts verpasse und mit der Uhr kontrollieren, ob ich noch in der Zeit bin. Das alleine ist heute schon sehr ermüdent. So läuft’s seitdem ich den Tagesplan erstelle, aber so anstrengend, wie heute, war’s noch nie. Ist halt nicht mein Tag. Ich habe gerade mal wieder das Gefühl, dass ich nichts mit dieser scheiss Gesellschaft zu tun haben möchte. Wir Menschen können so unglaubliches schaffen, machen aber lieber alles kaputt. Die Gesprächsgruppe war auch sehr anstrengend, aber ich durfte dort einfach körperlich anwesend sein. Ich hab einfach nicht die Nerven, mich heute in diese Gruppe zu integrieren. Keine Chance. Meine Aussagen wären wohl eher in Grundsatzdisskusionen bzgl. Privilegien ausgeartet. Das wäre kontraproduktiv. Dann lieber die Schnauze halten und aus dem Fenster gucken. Danach bin ich auch schon bei 90% gelandet. Ich will irgendwas kaputt machen. Wo sind die Hochsitze, wenn sie gebraucht werden? Ker!

13.00 Uhr Das Mittagessen hat mich wieder ein wenig runter geholt. Jetzt ist wieder diese Satbübung dran. Ich bin nervös, möchte aber weiterhin offen bleiben und auch körperlich an mir arbeiten.

13.15 Uhr Voll verkackt. Die Pflegerin hat mich an die Wand gedrückt. Ich war nicht in der Lage dagegen zu drücken. Was für ein Kack, ey! Ichvweiss nicht, was da gerade passiert ist. Klar, andere Person, andere Stabführung. Aber das? Was war das? Und schon bin ich wieder bei 80% angekommen. Was für eine Fahrstuhlfahrt heute. Nachdem ich mir den Kopf zerbrochen habe, als ich wieder langsam denken konnte, kam mir die Musiktherapie in den Sinn. Ich kann nichts ohne Anleitung! Ich brauche ein Rezept. Etwas einfach machen? Keine Chance.

14.00 Uhr Kaum Verschnaufpausen. Jetzt geht’s ins Einzelgespräch mit dem sympathischen Herr S.. Was für ein intensives Gespräch. Ich habe schon sehr lange nicht mehr bei einer Therapie-Sitzung so geheult. Herr S. ist echt gut. Aber er ist auch sehr empathisch. Wow, cooler Typ! Wir kommen der Sache schon näher. Und das, in der zweiten Sitzung. Ich bin völlig leer. 10 Prozent. Das gab’s schon sehr lange nicht mehr. Heute ist ein sehr guter Tag! Vielen Dank, Herr S.! Jetzt erst einmal die vorherigen zwei Tage nachholen und online packen.

19.00 Uhr Spannungskurve mit der Pflege durchgehen. Ich sollte mich intensiver mit der Skills-Liste befassen und gucken, was mir in welcher Situation hilft.

20.00 Uhr Ich war gerade zusammen mit 3 anderen eine kleine Runde im Wald. Das war super. Und jetzt ab ins Bett.

Gute Nacht

¹Wikipedia: Straight Edge und Queercore

Tag 15

Dienstag, 25.04.2023 – schachten im Bett

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen,, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung, innerer Druck

Erste Nacht allein im Enby-Zimmer. Das war super. Hoffentlich bekomme ich noch ein paar Tage…

oder Wochen. 🙂

7.20 Uhr Der Plan mit den Tagesterminen liegt noch nicht aus. Das macht mich fertig. Eigentlich gehe ich um kurz nach 7 dort ran und schreibe meinen Tagesplan fertig. Soll ich das in meine Spannungskurve schreiben, dass die Anspannung bei 90% liegt und die Pflegerin dadurch anprangern¹? Uncool! Mache ich trotzdem, aber das fühlt sich nicht richtig an. Übertreibe ich damit? Vermutlich! Aber so sieht’s in meiner Birne aus. Herzlich willkommen. Nimm dir ’n Stuhl und geniesse diese Achterbahnfahrt. Kotzen ist inklusive. Tüten kotz… äh kosten extra, sind aber Fairtrade und Bio. Vegan sindse nicht, wir wollen’s ja nicht übertreiben!

7.33 Uhr ich habe den Plan hingerotzt und komme trotzdem zu spät zum morgentlichen Stretchen auf’m Flur. So kann die Anspannung nicht runtergehen. Die Anschliessende Morgenrunde ist ein wenig lustig. Alle haben schlecht geschlafen, ausser ich. Ich glaube zumindest, dass meine Nacht ganz okay war. Wenn ich mir die Anderen so anhöre, fange ich aber an zu zweifeln…

7.45 Uhr Jetzt sollte ich eigentlichmit der Pflege meinen Tagesplan durchgehen, aber es sind noch 2 Leute mit Tagesplan vor mir. Die Pflegerin kommt mit der ersten Person raus, guckt uns an und sagt genervt:“ Wir haben 4 Leute mit Vorblick (so heisst der Durchgang mit der Tagesplanung). Sie könnten ja auch vor der Morgenrunde kommen.“ „Alter*! Was los mit dir?“, denke ich mir so und sage stattdessen:“ Wenn der Tagesterminplan vorher ausliegt, kann ich das gerne machen.“ Da geht sie gar nicht drauf ein. „Wer von Ihnen kommt um 7.15 Uhr?“ Ich: „Kann ich machen.“ Scheiss drauf. Wenn der Tagesterminplan dann noch nicht fertig ist, ziehe ich’s trotzdem so durch. Ich wünschte, ich wäre „Draussen“ und würde mich darüber aufregen, dass die Margarine schon wieder 5 Cent teurer geworden ist, stattdessen sowas…

8.10 Uhr Schnell das Frühstück reinpfeifen, damit ich nicht zu spät zu Musik komme. Ich freue mich auf Musik und habe gleichzeitig Angst davor, ohne Plan oder Vorgaben ein oder mehrere Musikinstrumente zu bespielen. Cool. Ich darf mir aussuchen, was ich zuerst benutzen will. Xylophon! Damit hört es sich immer gut an. Geiles Instrument! Nach 30 Minuten musizieren mit Xylophon und Hang Drum, darf ich mich, wie versprochen, 20 Minuten alleine mit der Handpan anfreunden. Komisches Gefühl. Ohne Anleitung kann ich einfach nichts. Ich brauche einen Grund und einen Plan, um mich „frei“ zu fühlen. Hat trotzdem Spass gemacht und ich werde es weiter versuchen, wirklich frei agieren zu können.

10.00 Uhr So! Jetzt endlich 2 Stunden nichts. Duschen und die Hühner besuchen ist angedacht. Aber keine Ahnung, warum meine Anspannung wieder auf die 90 zugeht. Da ist doch gerade nichts. Oder ist es genau das? So wird’s auf jeden Fall nie langweilig.

Und einen neuen Bettnachbar habe ich auch schon. Er scheint aber wenigstens nett zu sein. Mal schauen, ob und wann ich es schaffe, mich bei ihm zu outen. M. wird allerdings niemand ersetzen können.

14.00 Uhr Nach dem Mittagessen habe ich erst einmal im St. Pauli-Buch weitergelesen. S. kommt mich heute mit Kind und Hunde besuchen. Darauf freue ich mich schon sehr. Wir kennen uns schon seit über 10 Jahren und waren zusammen sehr viel tierrechtlerisch unterwegs. Das schweisst zusammen, wenn du zusammen auf Demos gehst, Infostandarbeit machst versuchst Nazidemos zu blockieren. Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass wir eine grosse Runde im Wald spazieren gehen und ich fast zu spät zu meinem Pflegegespräch komme. Punkt 16.00 Uhr komme ich abgehetzt zum Pflegeraum und muss dann 10 Minuten auf meine Bezugspflege warten. Toll. Da hätte ich mich auch noch vernünftig von den beiden verabschieden können…

16.40 Uhr Wir haben zum ersten Mal „Stabübungen“ gemacht. Dabei balancieren wir gegenüber gestellt die Enden der Stäbe zwischen unseren Handflächen, schliessen die Augen und gleiten zusammen durch den Raum. Und das ohne Anleitung. Einfach fliessen lassen. Wat!?! Ich bin total überfordert und frage mich die Ganze Zeit, ob das einen anthroposophischen Hintergrund hat. Eigentlich egal. Körperarbeit ist für mich genauso wichtig, wie mentale Arbeit. Ich möchte mehr Kontakt zu meinem Körper bekommen, aber ohne Anleitung? Und dann evtl. noch anthro-Style-mässig? Puh. Ich bleibe (noch) offen und will ja auch. Mal schauen, wie’s die nächsten Tage weitergeht. Erst einmal Globulis rauchen gehen…

Als ich draussen ankomme, stehen R. und meine Mom schon unten. Die Nachricht, dass sie da sind, wurde verschickt, als ich schon auf dem Weg war. Trotzdem erstmal quartzen. Soviel Zeit muss sein. Nach einem kleineren Spaziergang, wollen wir noch ins Cafè und kommen mal wieder ausserhalb der Geschäftszeiten an. Hinsetzen kann Mensch sich dort trotzdem.

19.00 Uhr Den abendlichen Spaziergang schenke ich mir heute. Lieber noch ein wenig im Bett schachten. Also Schach auf dem Handy zocken. Im Bett. Liegend!

Was für ein Tag, ey… Guts Nächtle!

¹Alleine aus antirassistischer Perspektive benutze ich das Wort „anschwärzen“ absichtlich nicht. Genauso, wie ich andere Worte nicht benutze, die „schwarz“ negativ darstellen.

Das ist übertrieben? Ist auch echt zuviel verlangt, eine schon vorhandene Alternative zu benutzen, du privilegiertes Arschloch!

Tag 11

Freitag, 21.04.2023 – Stress und Maissuppe

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Kopfschmerzen

Meine Nacht war wieder sehr unruhig, mit Sodbrennen, aber ich bin jedesmal mit Musik in den Ohren aufgewacht und auch wieder eingeschlafen. Ich habe heute schon wieder so überhaupt keine Böcke. Auf nichts.

7.05 Uhr Ich warte im Wohnzimmer, bis die Pflegekraft kommt, den Tagesplan auslegt, ich meine Medis abholen kann und wir meine Tagesplanung durchgehen können. Mein Tagesplan macht vielleicht mehr Druck, als er nimmt. Mal schauen, wie sich das entwickelt… Zusätzlich läuft hier eine Mitpatientin nervös durch die Gänge, weil sie auch wartet. Das ist alles so anstrengend. Ich will wieder ins Bett!

7.15 Uhr Die ersten to do’s kann ich abhaken und es hat ja nur ein paar Nerven gekostet.

7.30 Uhr kurze Morgenrunde, schnell die Frühstück-Tabletts verteilen. Keine Zeit verlieren.

9.30 Uhr Werken lief wieder super. Die Sitzfläche ist erst einmal fertig und jetzt kommen die Beine dran. Natürlich sollen diese 70 cm lang sein und müssen dann mit querbalken gehalten werden. Ist noch ein wenig mehr Arbeit, aber ich habe ja auch noch mindestens 4 Wochen. Im Anschluss will die Musiktherapeutin mit mir quatschen und schauen, ob wir uns heute noch zusammensetzen. Ich hab so einen Bock auf die Therapie, aber nicht, wenn meine Planung durcheinander wirft. Das macht nicht nur den Plan sondern auch den Tag für mich zu nichte. Ich wollte/musste einfach absagen, aber die Therapeutin ist flexibel und sagt mir, dass ich einfach nach der Visite vorbeikommen soll und wir bis12.00 Uhr dann musizieren. Natürlich sage ich ja. Ich bin viel zu feige, es zumindest anzusprechen, dass sie mir den Tag kaputt macht.

10.30 Uhr noch eine Person vor mir in der Visite. Kacke! Ich schaffe es sogar noch pünktlich. Das wirft den kaputten Plan nochmal durcheinander. Ich kann das nicht. Echt. Das schlägt mir ordentlich auf den Magen.

10.50 Uhr Ich sitze in der Visite. Da es Urlaubszeit ist, schaue ich nur in 3 Gesichter, anstatt in 6. Das ist aber schon schlimm genug. Auch, wenn die 3 Sympathisch sind. Das ist eine unangenehme Situation. Ich komme sofort zur Sache:“ Wir haben gestern angefangen, einen Tagesplan zu erstellen. Das ist super! Nur nicht, wenn jemand etwas durcheinder schmeisst! Ich könnte das zu ersetzende ausradieren. Das sieht dann aber nicht mehr so perfekt aus und deswegen kann ich die allererste Seite nicht verschandeln. Ich könnte die erste Seite auch rausreissen, aber dann ist das Heft kaputt und ich muss es ganz wegschmeissen. Ich brauche eine Verschnaufpause, sonst explodiere ich.“ Das macht mich echt fertig! Der innere Druck ist grundsätzlich schon sehr hoch und dann schmeisst mir jemand meine Planung durcheinander. Das Ende vom Lied ist: Die Musiktherapeutin wird angerufen, dass ich gegen 11.15 Uhr dort ankomme, ich noch kurz in den Garten gehe und etwas gegen das Sodbrennen bekomme. Ach, nebenbei haben wir noch besprochen, dass das Fluoxetin abgesetzt wird, weil sich das nicht mit dem Anafranil verträgt. Das Anafranil ist das eigentliche Problem, hilft mir aber bei den Zwängen. Gerade jetzt kann und will ich das nicht absetzen. Wir lassen’s dann auch erst einmal dabei. Schnell auf Toilette gerannt und dann bemerken, dass ich das nicht zeitlich schaffe, mit dem Garten. Dann quarze ich mir in Ruhe eine. Das hilft ja auch. Nicht so gut, wie die Hühner, aber immerhin. Als ich gemütlich anfange zu rauchen, fällt mir auf, dass ich schonmal losgehen muss, da ich sonst zu spät komme. Alter*! Was ist hier los?

11.15 Uhr Ich bin pünktlich. Wow! Der Therapeutin ist’s unangenehm, dass wir beide so einen schlechten Start haben. Das ist so auch nicht in ihrem Sinne. Ich bin auch ehrlich zu ihr und sage ihr, wie’s mir gerade damit geht und, dass ich kurz davor bin, einfach nach Hause zu gehen. Nach einer kurzen Aussprache, darf ich mich hinter das Drum-Set setzen. Das wollte ich schon immer mal machen. Boah, war das kompliziert und schahmbehaftet für mich, da etwas zu produzieren, was sich nach Musik anhören soll. Ab ans Xylophon. Da es mein zweiter Durchgang ist, fühle ich mich da wohler. Zwischendurch sind wir beide voll im Flow. Das hört sich nicht nur nach Musik an, es hört sich sogar gut an. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, es kribbelt… und ich will weglaufen. Das war eine so positive Situation und ich war überfordert. Ich konnre damit nicht umgehen. Mit Schahm kenne ich mich aus, aber das, das war ungewohnt. Unangenehm. Nach einer Analyse durfte ich mir noch etwas aussuchen und ich habe mich für die Hang Drum entschieden. R. hat sich selbst eine und ich würde mich da gerne mal rantrauen. Gar nicht so einfach, gute Töne rauszubekommen. Macht total Spass. Nächste Woche musizieren und reden wir 30 Minuten zusammen und dann darf ich mich 20 Minuten alleine mit der Hang Drum anfreunden. Nichts lernen! Einfach nur spielen und es laufen lassen. Ich bin so steif, verkrampft und zwanghaft, dass das eine sehr grosse Herausforderung wird. Eine, auf die ich mich sehr freue.

12.00 Uhr Ab zum Mittagessen. E. fährt uns zum Rewe und will sofort nach dem Essen, spätestens 12.45 Uhr losfahren.

12.40 Uhr E. kommt gerade von ihrer Therapie und hat sich umentschieden. Stressfrei essen und erst gegen 14.00 Uhr losfahren. Heute stimmt irgend etwas nicht. Sind das alles therapeutische Tests? Das kann nicht wahr sein. Ich bleibe noch bei den anderen bis 13.15 Uhr sitzen und gehe dann doch noch auf mein Zimmer. Einfach nur mal zur Ruhe kommen und die Augen ausruhen.

13.55 Uhr Es klopft an der Tür. E. fragt, ob wir loskönnen. Jau. Ab zum Rewe.

15.00 Uhr Das gemeinsame Schnippeln macht Spass. Zwischendurch kommen wieder Jegendherbergs-Gefühle hoch und wahrscheinlich nicht nur ich vergesse zwischendurch, wo wir eigentlich sind. Als ich ein Messer in die Küche der Pfleger*innen bringe, gibt mir die Pflegerin eine Skillsliste, die ich mir ausfüllen bzw. passendes ankreuzen soll und ein Spannungsbogen, eine Art Tagebuch, in das ich mehrmals täglich den Level meiner Anspannung eintragen soll. Am Wochenende soll ich mir das anschauen und ausprobieren und ab Montag wird’s ernst. Ich find’s gut, dass wir da mal genauer hinschauen.

18.00 Die Maissuppe mit Popkorn schmeckt echt super. Alle sind begeistert. Langsam weicht der innere Druck des Tages den ankommenden Kopfschmerzen. War ein harter Tag. Jetzt kann ich mich langsam entspannen und runterkommen.

18.35 Uhr Ab ins Bett, das Hamburger Stadt-Derby hat schon angefangen. Was für ein Spiel. Ich musste mich echt zusammenreissen, hier nicht rumzuschreien.

21.49 Uhr Morgen geht’s bis Sonntag nach Hause. Gute Nacht!

Tag 10

Donnerstag, 20.04.2023 – Fugendruck und Fankultur

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

In der Nacht hatte ich mal wieder Sodbrennen, weil ich Abends die Pfoten einfach nicht von den Süssigkeiten lassen kann. Aber ich bereue nichts! Also das Sodbrennen schon, aber nicht die Süssigkeiten. „Merkste selber, ne?“ Ja, ist schon gut…

7.30 Uhr Heute hab ich’s mir verkniffen, vorher rauchen zu gehen. Allein mein Magen freut sich darüber. Dafür gab’s zwei Tassen Kaffee auf nüchternen Ma… lassen wir das! In der Morgenrunde bin ich wieder total verballert und muss stark überlegen, was gestern so war. Das ist gerade sehr erschreckend, wie schnell ich gerade Erlebtes vergesse. Ist ja aber auch viel und noch relativ neu.

8.30 Uhr Heute ist nicht mein Tag. Ich habe noch nicht einmal Lust aufs Werken. Das ist halt manchmal so. Als ich erst einmal an meinem Hocker weiterarbeite, kommt der Spass schon kurz vorbei gehuscht und die Stunde ist dann auch schon wieder vorbei. Morgen kann ich die Hockerbeine anfangen und es gibt wohl das erste Mal auch Muskelkater dazu.

9.00 Uhr Ab zu den Hühnern, Achtsamkeit üben. Jetzt habe ich ein wenig Zeit, kann auf dem Weg R. anrufen und wir können ein wenig quatschen. Die Bank, auf der ich immer sitze ist nass. Das bemerke ich natürlich erst, als ich darauf sitze. Und direkt gegenüber ist ein kleiner Vorbau unter dem trockene Stühle stehen. Erst einmal zuende telefonieren und danach die Hühner mit Gras füttern. Die alten Geier!

Unter dem Vorbau ist’s nicht das Gleiche. Ich kamaber auch nicht auf die Idee, den Stuhl neben die Bank zu stellen. Naturbetrachtung war heute nichts, aber ich hab’s ein wenig versucht und habe die Hühner beobachtet.

Auf dem Rückweg merke ich, dass es mir ganz gut tut, wenn ich die Fugensache ein wenig auslebe und doch ein wenig mehr darauf achte, die Fugen in meinem System, also entweder gar nicht oder die Fugen mit der Fussmitte zu treffen. Das nimmt ein wenig Druck raus, macht mir aber Angst, dass das Ganze dann total aus dem Ruder läuft. Auf jeden Fall werde ich das morgen in der Visite ansprechen.

10.45 Uhr Das erste Mal „Vorblick“. Verstehe nur nicht, warum das erst so spät ist. Das kann ja dann eigentlich nur für den kommenden Tag sein?

Ups! Falsch verstanden. Ich soll noch vor dem Frühstück zum Vorblick kommen und dann auch schon meine Liste fertig haben. Das ärgert mich sehr, dass ich da nicht alleine drauf gekommen bin. Irgendwas ist halt immer…

Für Freitag sieht’s so bei mir aus

  • 06.00 – Wecker
  • 07.00 – Medikamente + Tagestermine
  • 07.30 – Morgenrunde
  • 07.45 – Vorblick
  • 08.00 – Frühstück
  • 08.15 – Werken (bis 9.30 Uhr)
  • 10.00 – Musik
  • 11.00 – Visite
  • 12.00 – Mittag
  • 12.45 – Einkaufen
  • 16.00 – Kochen
  • 18.00 – Abendessen
  • 19.00 – Naturbeobachtung

Auf dem ersten Blick erschlägt mich das ganze Gebilde, aber der Plan tut mir unglaublich gut.

12.00 Uhr Mittagessen Ich kann mich kein bisschen übers Essen beschweren. Alles super und auch lecker. Klar, in den ersten Tagen ging häufiger etwas schief, aber das kenne ich nicht anders. Ich habe ja auch Sonderwünsche. Keine Ahnung, wie viele Menschen in dieser Klinik vegan leben. Auf meiner Station bin ich die einzige veganlebende Person und wir sind momentan 13 Leute. Uh, geile Zahl. Block 13 auf der Südtribüne. Und ich habe meine Dauerkarte einem Arschloch gegeben…

Jetzt erst einmal ein Stündchen (Haha!) schlafen.

15.15 Uhr Pflegegespräch – Zuerst quatschen wir darüber, wie meine Achtsamkeitsübung Namens Naturbeobachtung verlief und haben das einfach mal so stehen lassen. Heute ist einfach nicht mein Tag und ich habe das Beste daraus gemacht. Dann wird mir vorgeschlagen, dass ich mit der Naturbeobachtung aufhöre, da meine Bezugspflegerin und mein Therapeut glauben, dass es für mich gerade wichtiger ist, dass ich einmal Atem- und einmal Körperübungen mache, damit es mir einfacher fällt, unter Menschen zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich beim Einkaufen schon ein grundsätzlich hohes Anspannungslevel, bevor ich aus der Wohnungstür bin. Dass ich auf offener Strasse als „Scheiss Schwuchtel“ beschimpft wurde, ist noch gar nicht so lange her und sitzt tief. Ich will so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle und in der Masse verschwinden. Das geht aber nicht. Ich bin halt ein bunter Vogel ganz in schwarz gekleidet. Ich will beim Einkaufen Abstand haben, besonders an der Kasse. Dies ist in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Alle hetzen von Termin zu Termin, sind im Kopf schon ganz woanders oder haben anderen Stress. Ich versuche das so anzunehmen, aber, wenn ich die Person hinter mir schon Huckepack nehmen kann und dann noch ein “ Können Sie bitte abstand halten?“ rausquetsche, diese dann aber pampig reagiert, platze ich. Und werde beleidigend. Ich möchte dieser Person weh tun. Sie verbal zerstören. Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt. Blablabla.

Und hinterher? Ärgere ich mich bis zum geht nicht mehr, dass ich mal wieder mein Maul nicht halten konnte. Jedesmal das Gleiche.

Aber es gibt für mich momentan nur zwei Wege:

  1. Entweder, ich sag nichts und ärgere mich über die andere Person und mich, weil ich nichts gesagt habe.
  2. Oder ich ärgere mich über die Person, weil sie kacke reagiert und über mich, weil ich ausfallend und laut geworden bin.

Bei 1. ist die Gefahr, dass sich der innere Druck immer weiter anstaut und die Explosion die Menschen trifft, die damit gar nichts zu tun haben. Vor allem R. ist davon betroffen. Bei 2. ist der Druck wieder etwas runter, aber immernoch höher, als vor der auslösenden Situation. Eine weitere Situation kann dann schon ausreichen. Was soll ich schreiben? Es ist sehr anstrengend. Ich will Leichtigkeit. Ich will über diese Dinge oder Situationen stehen und auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber agieren. Wir versuchen hier alle „nur“ zu (über)leben.

15.39 Uhr C. von der KoFaS, ‚Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit’, und ich haben seit Montag versucht, bzgl. einer Anfrage für eine Zusammenarbeit miteinander zu telefonieren, aber es hat nicht sollen sein. Also hat mir C. jetzt eine fast vierminütige Sprachnachricht mit einer kleinen Beschreibung geschickt. Es geht um trans*-Fussballfans. Yeahi. Ich bin dabei! Läuft bei mir!

15.45 Uhr Ein Zettel für mich klebt an der Tür. Die morgige Musiktherapie muss verschoben werden. Entweder auf 11.00 Uhr oder auf Montag. AAAAH! Ich habe doch gerade erst alles geplant. Und die Zeit für die Visite ist eh schon wenig planbar, da nunmal viele Menschen nacheinander abgearbeitet werden. Ausserdem müssen wir uns ab Snfang der Woche in den Zeitplan der Visite eintragen und somit gibt es heute noch kaum freie Stellen. Ich habe mich extra für 11.00 Uhr eingetragen, damit das alles passt. Es könnte natürlich auch ein therapeutischer Test sein, aber wahrscheinlich ist der Therapeutin einfach etwas dazwischen gekommen. Ich habe dafür aber keine Energie. Dann muss Musik halt auf Montag „verschoben“ werden, bzw. morgen ausfallen. Hab mich so sehr darauf gefreut!

16.10 Uhr Nicht nur meine Eltern und mein Opa kommen zu besuch, sondern auch R. kommt kurz rum. Sie hat Unterlagen für die Kaution der neuen Wohnung, die ich unterschreiben muss. Was für ein Stress. Danke, dass du das alles managed. :-*

Ein wenig im Krankenhaus-Cafè zusammensitzen, Kaffee trinken und quatschen. Das ist schön.

20.47 Uhr Ich liege im Bett und schreibe diese Zeilen. Gute Nacht.

Tag 9

Mittwoch, 19.04.2023 – Kein Schlaf ist auch keine Lösung

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Heute habe ich keine Ahnung, wie meine Nacht war. Ich glaube okay, aber ich fühle mich ganz und gar nicht so. Auch kann ich mich ganz schwer daran erinnern, was gestern alles so war. Ich bin total durch’n Wind. Schon ein wenig erschreckend. So etwas hatte ich nur durch Beruhigungstabletten, weswegen ich lieber ein paar rauche. Beruhigungstabletten sind der letzte Schritt für mich.

7.45 Uhr Am Ende der Morgenrunde zieht eine Person ein Kärtchen und liest dann den Spruch des Tages für alle vor. Ich höre dort immer nur mit halben Ohr zu, aber heute habe ich mit zweieinhalb Ohren zugehört:

„Optimismus Wortschatz- Wie du mit dir selbst und anderen sprichst, prägt auch dein Denken: Unsere Worte bestimmen auch unsere Wahrnehmung – und zwar ganz schön machtvoll!“

Wow! Ich befasse mich schon seit Jahren mit Gewalt in der Sprache, aber so treffend habe ich das noch nie gehört. Und dann geht’s ja hierbei auch darum, wie gewaltvoll ich mit mir umgehe. Das gibt mir jetzt nochmal eine ganz andere Sichtweise auf den Umgang mit mir selbst. Ich bin radikal politisch korrekt, ausser, wenn es um mich geht. Da bin ich noch auf der Stufe, wie vor 10 Jahren. Das ist echt erschreckend! Ich dachte, ich bin in Sachen Selbstliebe weiter.Ich dachte ja auch, dass ich schon gefistigter bin, was meinen Umgang mit meinen Depresdionen und Zwänge angeht, aber das könnte einer der Gründe sein, warum ich doch wieder in der vollstationärer Behandlung bin.

8.15 Uhr Auf dem Weg zum Werken müssen wir durch die Kinderpsychiatrie. Dieser Gang ist immer schrecklich. So viele junge Menschen. Für viele wird dies nicht der einzige Aufenthalt in einer Psychiatrie bleiben. Für viele ist das vielleicht noch nicht einmal der Anfang. Meine erste depresdive Phase muss ich zwischen meinem 8ten und 10ten Lebensjahr gehabt haben, aber würde ich mir wünschen, dies schon so früh rausgefunden zu haben? Ich weiss nicht. Vieles wäre anders gelaufen, aber dafür wäre ich jetzt nicht dort, wo ich jetzt bin. Dies können traumatische Zeiten sein und hätte ich die gern schon als Kind gehabt? Ich weiss nicht. Es ist gut und wichtig, dass Kinder diese Möglichkeit haben. Aber es ist schrecklich so junge Menschen verzweifelt mit erwachsener Begleitung traurig im Flur stehen zu sehen. Es zerreisst mir das Herz.

9.40 Uhr Auf dem Rückweg wären wir fast von vorbeistürmendem Personsl umgelaufen worden. Alle waren total hektisch. Einige von ihnen haben gelacht, andere waren total ernst und sahen erschrocken aus. Als wir in den Fahrstuhl gestiegen sind, kamen dann auch welche durch die sich schliessende Tür gesprungen. „Sie müssen raus! Sie dürfen nicht mitfahren! Ach, ist egal. Macht schnell die Tür zu!“ Und die nächsten kamen angelaufen: „Nehmt uns auch mit!“ Auf der Station angekommen auf der wir alle aussteigen mussten kamen uns einige locker entgegen. „Ist schon gut. Alles erledigt.“

Ruck Zuck macht sich ein Jugendherbergs-Gefühl breit und dann auf einmal kommt der Schlag in die Fresse. Hier ist’s toternst. Das ist kein Spielplatz oder Vergnügungspark. Das hier ist harte Arbeit und beinhaltet krasse Schicksale. Dies ist ein Krankenhaus und wir versuchen hier alle „nur“ zu (über-)leben.

10.00 Uhr Und wieder gehe ich zu meiner Bank im Kräutergarten. Heute werde ich die Augen schliessen, im Hier und Jetzt bleiben und fühlen, wo mein Körper den Boden oder die Bank berührt. Den Wind auf der Haut spüren und hören. Das zwitschern und flattern der Vögel. Das Gurren der Tauben. Die vorbeifahrenden Autos und den Wind, der durch die Bäume fegt. Heute lief es besser als gestern. Das freut mich total. Im Gespräch danach sage ich auch nochmsl, dass es so schade ist, dass mir Achtsamkeit so gut tut und mir hilft, aber, sobald es mir schlechter geht, ich ohne Hilfe nicht darauf zurückgreifen kann. Ich will dies in besseren Zeiten weiter etablieren, damit ich in schweren Zeiten auch darauf zurückgreifen kann. Ich bin auf einem guten Weg, aber dies lässt sich auch nicht so einfach angewöhnen. Ich brauche meine Zeit dafür. So, wie andere, die ihre benötigen. Ich will mir diese Zeit geben, wie ich sie meinem Gegenüber auch geben würde.

11.00 Uhr Gruppengespräch. Die Schalkerin haut heute ab. Schade, ich mag sie. Und ich freue mich sehr für sie. Diese Stunde gehört ihr.

12.30 Nach dem Mittagessen kurz ausruhen und dann geht’s um

13.00 Uhr in die Einzeltherapie. Und das bei dem Therapeuten, der sehr sympathisch ist. Ich freue mich und stehe gleichzeitig sehr unter Druck. Ich erzähle ihm davon, dass mir am Montag aufgefallen ist, dass Fugen immer mehr Druck bei mir erzeugen, ihn aber auch gleichzeitig nehmen, wenn ich sie innerhalb meines Systems treffe. Mir ist bewusst, dass die Zwänge Sicherheit erzeugen sollen, aber, was mir gerade mehr Sorgen bereitet, ist der Gedanke, dass ich mir die Fugenproblematik extra ausgesucht habe und mir diesen Druck nur mache, um mich z.B. selbst zu ärgern. Oder, um mich wichtig oder interessanter zu machen. Oder, um mir die Berechtigung zu verschaffen, hier einen Platz einzunehmen. Oder warum auch immer. Wir haben sehr viel gesprochen. Ich habe momentan so viel, was irgendwie kompensiert werden muss und dafür habe ich die „Sicherheiten“ meiner Zwänge. Alleine die neue Situation mit einer neuen Klinik. Neuen Menschen. Neuen Zeiten. Neuen Aufgaben. Das muss alles irgendwo hin.

14.30 Uhr R. und ich können unseren neuen Mietvertrag abholen. Ich trage mich aus und nehme mir die drei Stunden Zeit, die mir täglich zur Verfügung stehen. Was für ein Tag. Ich konnte heute kein Schläfchen halten und hatte einen Termin nach dem anderen. Dafür haben wir im Anschluss noch gemütlich Döner gegessen.

18.00 Uhr Abendessen. Im Anschluss setze ich mich noch mit den 3 anderen aus unserer Kochgruppe zusammen und planen den Freitag. Ich habe da so keinen Bock drauf. Auch, wenn das Essen zufällig schon vegan ist. Was soll’s.

20.40 Uhr Heute habe ich es nicht geschafft, ein wenig etwas für den heutigen Blogeintrag vorzuschreiben, aber ich bin jetzt fertig, veröffentlich ihn, hau mir Musik auf die Ohren und schlafe dann gleich. Gute Nacht! :-*

Tag 8

Dienstag, 18.04.2023 – I can’t get no Desinfection

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Die letzte Nacht war weniger unruhig als sonst, allerdings fühle ich mich 0 ausgeschlafen. Fühlt sich auch so an, dass eine Erkältung im Anmarsch ist. Bah!

7.30 Uhr In der Morgenrunde machen wir zuerst Stretch-Übungen auf’m Flur und das schön bei Bohrmaschinengeräuschen von einer anderen Etage und Menschen aus der Station nebenan, die vorbeihuschen. Danach eine schnelle Befindlichkeitsrunde.

7.50 Uhr Schnell die Tabletts verteilen. Ich gebe sie an und meine Tablett-Partnerin verteilt diese an die richtigen Plätze. So kann’s weitergehen.

8.25 Uhr Ich habe mich so darüber gefreut, dass ich heute nur Werken habe und jetzt stehe ich auf der Aufgabenliste für Übungen mit dem Pflegepersonal. Ist zwar nichts besonderes, aber ich war darauf nicht vorbereitet. Da ich, seit ich hier bin, von der Liste verschont geblieben bin, dachte ich, ich bekomme den ersten Termin erst nach meinem ersten Therapiegespräch und das ist erst morgen. Wat soll’s.

Die Naturübung tut mir bestimmt ganz gut. Ich setze mich alleine in den Wald oder ähnliches, schliesse die Augen und fühle mit meinen Sinnen, was mir so auffällt. Achtsamkeit ist mir wichtig und hilfreich. Wenn’s mir allerdings schlecht geht, kann ich auf nichts zurückgreifen und ich bin durch meine anderen 4 Aufentahlte in Kliniken echt gut gerüstet. In einem Ordner habe ich sämtliche Notizen und Edukations¹-Formulare und in einem Notfallkoffer, bzw. -Schuhkarton, habe ich viele Sachen, die mir gut tun. Dort gehe ich nie dran. Ich sollte dies etablieren und jeden Tag kurz rangehen, damit ich das vielleicht auch in schwereren Zeiten nutzen kann.

9.30 Uhr Nach dem Werken geht’s erst einmal zurück zur Station. Heute bin ich wieder einmal ins Schwitzen gekommen, aber dafür ist die Auflagefläche des Hockers auch schon rund. Ich fand’s schon immer schön, etwas zu erschaffen. Gerade, wenn viel Zeit und Schweiss investiert wurde, hat es auch emotionalen Wert. Ich freu mich schon den Hocker in unserer neuen Wohnung zu benutzen.

12.00 Uhr Das Mittagessen ist nicht das, was ich auf meinem Zettel angekreuzt habe, aber wir müssen unsere Zettel nicht abgeben, sondern gut sichtbar im Zimmer positionieren. Und heute stand die Essens-Managerin im Zimmer, als ich mir gerade mein Gesicht rasiert habe. Das war mir so unangenehm, weil ich dort oben ohne stand, weswegen ich gar nicht darauf kam sie auf meinen Zettel aufmerksam zu machen. Sie wollte nämlich wissen, was ich morgen essen möchte. Komisch. Aber gut, ist halt so. Bis jetzt hat alles super geschmeckt.

13.00 Uhr Ich gehe jetzt ein Stündchen (HAH! Wer’s glaubt!?!) schlafen, dann kann ich die Naturübung vollziehen und um 15.30 Uhr habe ich das Gespräch mit der Pflegerin.

14.30 Uhr Ich quäle mich aus dem Bett, nur, um meinen Gesprächstermin auf 17.00 Uhr zu verschieben. Ich bin so müde und kaputt.

15.50 Uhr Ich hab’s tatsächlich geschafft rauszugehen. Aber wohin soll ich jetzt? Wie kommt Mensch schnell in den Wald? Ich gehe einfach mal zur Rückseite und finde den Klinikgarten. Mhmm, gehe ich eben hier rein. Hauptsache Natur und Achtsamkeit. Achtsam zu sein war gar nicht so einfach. Habe ich schon sehr lange nicht mehr bewusst gemacht. Es fällt mir sehr schwer, mich auf einzelne Sinne zu konzentrieren. Ruck zuck bin ich Reizüberflutet und gehe nach 15 Minuten wieder rein. Das war das erste Mal seit meinem Einzug, dass ich etwas länger vor der Tür war. Rauchen zählt nicht und das Wochenende auch nicht. Momentan brauche ich viel Schlaf und versuche ihn mir zu genehmigen. Bin ja in der Klinik und die nächsten Wochen werden mich langsam aufbauen.

17.00 Uhr Ganze 5 Minuten hat das Gespräch mit der Pflegerin gedauert. Alles sehr unspektakulär. Ich soll mich morgen einfach auf einen kleinen Punkt oder ein Insekt konzentrieren und schauen, was drumherum ist. Find ich gut.

Da es um 18.00 Uhr Abendessen gibt, lohnt sich das hinlegen nicht, bzw. wäre es kontraproduktiv. Ich lese ein wenig im „100 Jahre St. Pauli“-Buch, welches echt gut geschrieben ist. Interessant ist es auch noch.

19.00 Uhr Jedesmal, wenn ich an den Seifenspendern das Wort Desinfektion lese, muss ich an das Lied Desinfection von den Rolling Stones denken…

I can’t get noooho

Desinfection

caus I try! and I try! and I try!…

Gute Nacht!

¹https://de.m.wikipedia.org/wiki/Psychoedukation „Psychoedukation ist eine systematische und strukturierte Vermittlung von wissenschaftlich fundiertem Wissen über zumeist psychische Krankheiten.“