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Tag 51

Mittwoch, 31.05.2023 – Kulturtaschen-Punk

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Können Punks Kulturtaschen besitzen? Ist das dann noch true? Also, wegen Kultur und Punk. Das verträgt sich doch gar nicht. Ich habe keine Ahnung, aber seit gestern weiss ich auf jeden Fall, wie wichtig mir meine Kulturtasche ist. Diese habe ich nämlich am Montag zu Hause vergessen und konnte mir gestern Morgen nicht die Zähne putzen und mich rasieren. Oh! Putzen Punks sich überhaupt die Zähne? Oder geben es offiziell zu, dass sie es tun? Also putzen Punks sich heimlich die Zähne? Oder gar nicht? Bis zu welchem Schritt ist Punk dann noch Punk? Seitdem ein sehr guter Freund von mir, der Punk durch und durch ist, einen Golfarm hatte, glaube ich eigentlich auch mittlerweile an gar nichts mehr… Das ist Punk, das raffste nie!

6.00 Uhr Wir sind am Samstag umgezogen und haben so reingehauen, dass wir Fussball um 15.36 Uhr anmachen und schauen konnten. Dies steckt mir aber noch ganz schön in den Knochen. Ich will nicht aufstehen. Ich will pennen! Essen und trinken wäre auch noch akzeptabel. Kommt natürlich auch drauf an, um welche Speisen und Getränke es geht, aber ich gehe mal von schmackhaftem Zeigs aus. Da fällt mir ein: Denieren Punks Speisen und Getränke? Oder fressen Punks nur Pommes und trinken Hansa? Also zweiteres natürlich alkoholfrei, weil Queer Edge und so. Also nicht alle Punks, aber ein paar. Ach, lassen wir das.

7.00 Uhr mein neuer Bettnachbar ist voll nett und ich verstehe mich super mit ihm. Wir stehrn auch fast zur gleichen Zeit auf. Das passt ganz gut. Wir kommen uns auch nicht in die quere, wenn’s ums Zähne putzen geht. Weil ich ja Punk bin und nur zugucke, wie Normalos, Bürgis, etc. ihren Zähnen so etwas antun können. Also sich die Zähne putzen.
Ich kann jetzt endlich wieder meinen Tagesplan im Zimmer an meinem Tisch fertigmachen und brauche mich nicht ausm Zimmer schleichen. Find ich gut.

8.20 Uhr Wir stehen vorm Haus, in dem mehrere Kunst-Therapien stattfinden und rauchen uns noch eine. Wie jeden Morgen. Mittlerweile schmeckt’s mir gar nicht mehr und ich werde wohl zu meiner Entlassung am 06.06.2023 aufhören und kann mich dann wieder Queer Edge nennen. Beim Werken bin ich gerade dabei, die Beine so anzuspitzen, dass ich sie mit der Sitzfläche verbinden kann. Also reinstecken. Die Beine. In die Sitzfläche.

9.30 Uhr Jetzt schnell zurück zur Station und endlich rasieren. Das stressige daran ist, dass die Visite von Freitag auf heute verlegt wurde und ich mich für Freitag in einen der letzten Plätze eingetragen habe. Freitags habe ich erst Werken und im Anschluss bis 10.40 Uhr Musik. Mittwochs habe ich aber Werken und von 11.00 bis 12.00 Uhr Gruppentherapie. Die wollen mich jetzt in der letzten Woche ordentlich testen, ey. Als wenn es nicht reichen würde, dass der Feiertag am Montag die gesamte Woche kaputt macht. Okay. Ist ja eine gute Übung, da mir so etwas draussen ja auch passiert. ABER!
Ich hab’s aber geschafft, ohne mir das halbe Gesicht abzuschneiden, der übriggebliebene Bart ist auch okay und ich konnte noch in Ruhe einen Kakao trinken.

10.40 Uhr Letzte Visite hier für mich . Wir rekapitulieren nochmal die letzten 7,5 Wochen. Anfangs war ich sehr enttäuscht von mir extrem sauer auf mich, dass ich mal wieder in der Klappse gelandet bin. Ich dachte, ich bin momentan „besser“ aufgestellt und brauche das nicht, da ich gerade eine super Psychotherapeutin und einen BeWo-Betreuer habe. Die vorherigen Klinikaufenthalte habe ich auch in Frage gestellt. Jetzt weiss ich, dass jeder Aufenthalt wichtig war und mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Jeder verdammte Aufenthalt hat mir etwas gegeben. Und dieser hier genauso. Ich bin so froh, dass wir die Spannungskurve zusammen mit der Gefühlsliste täglich durchgehen. Auch meine Skills, die ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe, konnten wir verfestigen und es sind neue hinzugekommen. Die Depris sind nicht mehr so stark und die mit meinen Zwängen habe ich auch einen anderen Umgang gelernt. Gerade was das auf Fugen treten anbelangt, kann ich es jetzt ein wenig „ausleben“ und mir dadurch den Druck nehmen, der sich durch Fugen aufbaut und es baut sich weniger Druck gerade bei Fugen auf, bei denen es mir unmöglich ist, diese nicht zu treffen. Ist ein ungewohntes Gefühl, aber es tut mir gerade unglaublich gut.

12.00 Uhr In der Gruppentherapie konnte ich mich kaum konzentrieren. Ich war so fertig. Das ist gerade sehr anstrengend, aber ich weiss ja, wofür ich das Ganze mache. Jetzt erst einmal fuddern, 30 Minuten pennen und um 13.00 Uhr habe ich dann noch mein Einzelgespräch.

14.00 Uhr Auch im Einzel sind wir die Zeit in der Klinik und meine Vortschritte durchgegangen. Zum Thema Borderline sind wir 9 Anzeichen durchgegangen und wenn 5 davon zutreffen kann es sich höchstwahrscheinlich um eine Borderlineerkrankung handeln. wir kamen spontan auf 4. Der Therapeut wird im Abschlussbericht eine Tendenz zur Borderlineerkrankung aufnehmen, damit ich dies mit meiner Therapeutin nochmal durchgehen kann. Mal schauen. Aber zuerst werden wir mal das Zwangstagebuch etablieren, um zu schauen, welche Zwänge wie ausgebildet und belastend für mich sind.

15.00 Uhr schnarch…

17.00 Uhr Ich habe es zum ersten Mal überhaupt geschafft, auf dem Bett zu liegen und einfach „nur“ bewusst Musik gehört. Scheisse  gibt es geile Musik. Wir Menschen bekommen so gute Sachen hin. Das ist schon beeindruckend.

19.00 Uhr Mit der Pflege gehe ich noch kurz mein (Ent-)Spannungskurve durch und gehe im Anschluss noch spazieren.

21.00 Uhr 3 Kilometer sind’s geworden und jetzt sitze ich in der Cafèteria und mache mir eine Liste, bei welchen Unternehmen und Instutionen ich meine neue Adresse überall angeben will. Heute ist ein guter Tag. Und dass, obwohl mir der Feiertag die Woche kaputtgemacht hat. Ich habe es sogar geschafft, den Blog ein zweites Mal weiter zu führen, obwohl schon wieder neue Lücken entstanden sind. Gute Nacht! :-*

Tag 35

Montag, 15.05.2023 – Ich bin so Wissenschaftsaffin, ich höre sogar Mathcore

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Tierausbeutung, Rassismus

(Beitragsbild: eine Fotonahaufnahme eines Teils von einem Bandshirt der Mathcore-Band IWrestledABearOnce, auf dem Yoda aus Star Wars zu sehen ist und der Bandname in Yodas Sprache abgebildet ist: A Bear Once I Wrestled)

Meine Nacht war gar nicht gut. Sehr unruhig, oft wach geworden, lange gebraucht, um wieder einzuschlafen, zweimal aufs Klo gemusst und Sodbrennen. BAH! Gestern Abend erzählt mir mein Bettnachbar, dass er gerne Angeln geht und, dass er kein Rassist sei, aber mit bestimmten Arten von Ausländern nichts zu tun haben möchte. „Ist so’n persönliches Ding.“ Dat kannste dir nicht ausdenken. Also schon, aber das ist so passiert. Schwör!

7.23 Uhr Ich sitze alleine im Gemeinschaftsraum und warte auf die Morgenrunde. Heute kam ich echt schwer aus’m Bett. Gut, dass diese Woche Werken ausfällt. Das bedeutet Morgens weniger Stress, aber auch 4 Tage, in denen der Hocker nicht weiterbearbeitet wird.
G. meine Sitznachbarin beim Essen kommt rein und fragt nach einer Zeitung. „Die aktuelle Tageszeitung kommt immer mit dem Frühstück zusammen.“ sag ich. Daraufhin kramt sie in der Zeitungsablage und holt sich eine „Rute und Rolle“. Eine Angelzeitung. Wer die wohl dort abgelegt hat? Ich könnte wahrscheinlich auch Anglerzeitung schreiben, das weiss ich aber nicht. Vielleicht schaue ich mir den Scheiss mal an. Jetzt liegt hier schon Tierqual-Propaganda rum. Ich könnte ja auch mal eine Tierbefreiung, Graswurzel Revolution oder ein Antifaschistisches Infoblatt auslegen? Für den Skeptiker mache ich keine Werbung, nachdem in der GWUP so viel Kacke passiert ( #GWUPGate #NoABA #GegenTransfeindlichkeit )¹. Keine Ahnung, ob ich zum zweiten Mal dort austrete. Ich warte jetzt die Mitgliedsversammlung am 20.05.2023 ab, weil ich weiss, dass dort einige coole Leute hinfahren. Ich habe gerade keine Kraft dazu. Solidarische Grüsse an die coolen GWUPler*innen!

8.10 Uhr Beim Frühstück geht’s um den SodaStream und, dass die ein neues Anschlusssystem für die Gasflaschen haben, damit mensch keine Alternativen dort anschliessen kann und ob sich wohl bald die ersten kleinen Firmen an diesen Verschluss austoben. „Da machen die sich dann aber strafbar, wenn das patentiert ist!“ ArschlochTyp:“ Das ist den Chinesen egal!“ Puh! Ich habe mich innerlich auf eine Ansprache vorbereitet, seitdem er mit am Tisch sitzt. Aber während ich „schnell“ nochmal darüber nachdenke, wie ich das nochmal anspreche und was er zuvor noch alles von sich gelassen hat, haben die schon lange ein neues Thema. Ich musste auch noch drüber nachdenken, ob das Thema nicht zu „grauzonig“ für meine Ansprache beim ArschlochTypen ist. Nein, ist’s nicht, aber ich habe zu lange darüber nachgedacht. Verdammt! Das nächste Mal kommt bestimmt. Leider!

12.00 Uhr In der Gesprächsgruppe ging’s heute um Zwänge. Ich hätte da einiges zu beitragen können, aber jedesmal, wenn ich sagen wollte, dass ich für mich Ticks/Schrulligkeiten erst Zwänge nenne, wenn sie mich negativ beeinflussen, einschränken oder ähnliches, war jemand anderes schneller oder ich musste drüber nachdenken, ob ich mit diesem Satz anderen etwas abspreche. Ich will auch gar nicht so viel Platz einnehmen. Ich bin mir nicht sicher, was ich von der Runde halten soll. Sie war auf jeden Fall sehr aufwühlend. Nach dem Essen erst einmal eine Runde pennen mit lauten Bohrgeräuschen im Hintergrund. Die Klinik ist ja schon länger eine Baustelle. Beim Tinnitus ist der Vorteil, dass er durchgehend ist, das Bohrgeräusch macht mir zu viele Pausen und ist ja auch nachmittags fertig…

15.18 Uhr Ich warte in der Küche auf meinen Therapeuten, trinke einen Kaffee und spiele Schach auf dem Handy. Wir hatten uns für ab 15.00 verabredet und ich weiss nicht, in welchem Zimmer er gerade sitzt. Als er um die Ecke kommt, grinst er mich an und nickt mit dem Kopf. Ich mag ihn. Cooler und sympathischer Typ. Es geht um eine Verlängerung um 2 Wochen und um Migräne-Medis. Kurz und knapp: Wir denken beide, dass anhand der neu eröffneten Baustelle mit den Mikroaggressionen eine Verlängerung richtig wäre. Bezüglich der Medikation trage ich mich im Anschluss auf die Liste für die medizinische Sprechstunde an der grossen Orgatafel ein. Läuft…

17.55 Uhr Ich habe mich nach dem Gespräch aufs Bett gelegt und einfach nur Musik gehört. Ich hätte auch nichts gegen Schlafen gehabt, aber das war mal eine ganz neue Erfahrung. Ab 18.00 Uhr gibt’s Abendbrot.

18.30 Uhr Während ich auf die anderen warte, blättere ich die Anglerzeitung durch. Keine einzige weiblich gelesene Person. Eine Urmenschen-Zeitung, richtig schön oldschool. Harter Männersport für harte Männer! Angeln ist kein Sport, Angeln ist Tierquälerei und Mord. Ich bin dahingehend sehr extrem, aber ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es den Lebewesen gut tut, mit einem Haken im Maul am eigenen Gewicht hochgezogen zu werden. Sorry! Bin da doch sehr voreingenommen. Ach so, und Mord ist’s ja auch noch. Selbst, wenn die Fische aus dem Wasser getragen würden. Auch dahingehend bin ich sehr voreingenommen…

18.50 Uhr Gerade ist die Stationsversammlung, bei der die Wochenjobs vergeben werden, vorbei und im Anschluss wird nochmal nachgefragt, ob es allgemeine Anmerkungen oder Wünsche gibt. Ich bin so stolz auf mich, dass ich einen kleinen Anfang geschafft habe, indem ich angesprochen habe, dass ich ständig in den Gemeinschaftsräumen die Lichter ausmache, wenn sich dort niemand aufhält und darum gebeten, dass alle mal darauf achten. Es gab entweder Zustimmung oder Enthaltungen. Naja, ist ja auch ein polarisierendes Thema. Ich habe den ersten Schritt geschafft. Apropos Schitte: Ich zwinge mich jetzt zu einem Spaziergang im Wald. Auch das habe ich ab Donnerstag schleifen lassen.

20.45 Uhr 40 Minuten gelatscht, mit R. telefoniert, noch eine gequalmt und jetzt ab ins Bett. Gute Nacht! :-*

Anny’s Ohrwurm des Tages:
Iwrestledabearonce – Danger in the Manger
https://youtu.be/o_6lI1t0qMM (Der keyboardspielende Hund ist der coolste!)
Wikipedia:
„Iwrestledabearonce (abgekürzt IWABO) war eine 2007 gegründete Mathcore-Band aus Shreveport, Louisiana, die beim deutschen Label Century Media unter Vertrag stand. Ihre Musik ist eine Mischung aus Jazz, Swing, Electronic und Deathcore. In ihrer Karriere veröffentlichte die Band eine EP und vier Alben. Iwrestledabearonce trennten sich im Jahr 2016.“

¹ GWUP-mässig kann hier nachgelesen werden, was da so los ist: https://mela.de/blog/2022/12/16/transfeindlichkeit-und-die-gwup/ (mit weiterführenden Links zum Thema ABA.)

Tag 32

Freitag, 12 05.2023 Ironie des winzigen Lebens

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, trans* Feindlichkeit, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Privilegien, Rassismus

(Beitragsbild: Screenshot aus der ISS Live Now – App; links ein Fenster mit einer Karte der Erde, die anzeigt, wo sich die ISS gerade befindet; rechts ein Fenster mit einem Livebild der Erde aus Sicht der ISS)

Meine Nacht war, wie zu befürchten, sehr unruhig und ich lag um 3.00 Uhr kurzzeitig wach. Als ich da so lag, dachte ich darüber nach, ob ich den Blog, nachdem ich wieder in freier Natur bin, löschen soll. Es ist irgendwie jammern auf hohem Niveau. Eine privilegierte, weisse, männlich gelesene Person, die jederzeit stealth fliegen kann, mit privilegierten Problemen, geht an den Ungerechtigkeiten dieser Welt psychisch kaputt. Das ist doch Ironie! Schliesslich profitiere ich selbst sehr von diesen Ungerechtigkeiten. Ich werde darüber noch nachdenken und mich im Nachhinein entscheiden, ob ich den Blog lösche oder nicht. Gute Na… Äh, ne. Da stimmt etwas nicht so ganz!

7.13 Uhr Ich sitze im Gemeinschaftsraum, bin fertig mit meinem Tagesplan, habe meine Medis abgeholt, trinke Kaffe und habe die „ISS Live Now“-App auf meinem Handy wiederentdeckt. Diese kann ich allen mit Smartphone empfehlen. Es gibt bestimmt auch eine PC- oder Browser-Version. Für mich habe ich jetzt einen neuen Skill entdeckt, welchen ich jetzt in Anspannungszeiten ausprobiere. Ich liebe die Live-Bilder von der Erde und gerade die Zeitraffer-Videos sind einfach genial. Wir sind so winzig und nehmen uns so ernst.

10.15 Uhr Meine Musiktherapeutin kommt mal wieder zu spät. Es ist ihr sichtlich unangenehm, weil wir so schon gestartet sind und ich eigentlich immer auf sie warte. Ich habe mir allerdings angewöhnt, auf mich zu achten. Für mich ist’s meistens super, wenn ich pünktlich bin. Dies habe ich überwiedgend selbst in der Hand. Was andere machen, ist mir bis zu einen gewissen Punkt relativ egal. (So hätte ich das generell gerne, gerade bei Arschloch-Alarm!) Sie sagte mir, dass ich das Recht habe, sauer auf sie zu sein. Es kam mir ja auch gerade recht, allerdings war ich zu feige, das anzusprechen. Musik machen ist unglaublich befreiend und gleichzeitig sehr harte Arbeit für mich. Wenn die Stunde verkürzt wird, habe ich damit auch kein Problem. 🙂

11.00 Uhr Schnell zurück auf die Station und gucken, ob ich gleich schon in die Visite kann. Jau, eine Person ist gerade drin und dann darf ich. 5 Leutchens sind heutchens, die dich anschauen. „Sie wissen ja mittlerweile, wie’s hier läuft?!“ „Äääh, wer bist du nochmal?“ Ich kann mir Namen und oft auch Gesichter nicht gut merken. Besonders in solch stressigen Situationen. „Jau. Ich benutze fleissig die (Ent-)Spannungskurve und schaue mir in der Gefühlsliste an, welche positiven Gefühle zu der Zeit im Vordergrund liegen. Ich weiss nicht, ob die Situationen von geestern schon bei Ihnen angekommen ist?“ „Ich weiss bescheid, das besprechen wir gleich im Einzel. Passt 14.00 Uhr?“ „Ey! Wofür mache ich eigentlich meinen kack Tagesplan?“ Um zu üben… Bah!(Anm. der Redaktion: Nicht wortwörtlich aus der Erinnerung aufgeschrieben!)

14.00 Uhr Ich will nicht zu der Fremden! Ich will mit meinem Bezugstherapeuten sprechen, mit dem ich sogar schon zusammen geweint habe. Also, ich habe geheult und er konnte und wollte seine Tränen nicht verbergen. Egal. Die obergrosse Baustelle ist ausgesprochen. Jetzt kann alles hilfreich sein. Ich will offen bleiben und jede Hilfe annehmen, die ich bekommen kann. Frau B. ist sehr nett und empathisch. Sie will mir helfen und mir die Chance geben, hier im sicheren Raum zu üben. Ich hab’s befürchtet. Ich soll üben! :-O Warum ka ann sie mich nicht einfach hypnotisieren und/oder mir einen MMS-Einlauf verabreichen und alles ist super, kleiner Puper!?! AH! Weil’s fürn Arsch ist und nichts bringt. Verzeihung! Ich will mich nicht über Schwurbler*innen lustig machen und mich schon gar nicht über sie stellen. MMS ist eine Angst-Wirtschaft und sehr gefährlich! Kindern wird der Scheiss verabreicht und die Darmwand dadurch angegriffen. Das ist nicht lustig und die meisten Menschen, die auf so etwas zurückgreifen sind mit diesem komplexen Leben überfordert und haben Angst. Zurück zum Angebot! Ich werde ab jetzt versuchen, in Ich-Botschaften Scheisse anzusprechen. Davor habe ich Angst. 1. Mache ich mich noch angreifbarer und 2. habe ich Angst zu explodieren und beleidigend zu werden. Das will ich nicht. Jetzt erst einmal pennen. Das Ganze hier kostet so viel Kraft, aber ich bin auf einen guten Weg.

18.00 Uhr Freitags ist Kochgruppe. Es gibt Linsen-Mango-Curry. Lecker. Beim Essen gucke ich auf die Uhr und sage mit einem Schmunzeln zum Schalker:“Oh, wir haben 19.09 Uhr!“, und denke mir so:“ Kacke! Ich habe mich um 19.00 Uhr fürs Gespräch über die (Ent-)Spannungskurve eingetragen.“ Scheiss drauf! Die Person weiss, dass das Freitag-Abend-Essen immer später kredenzt werden kann. (Kredenzen musste ich nicht nachgoogeln. Schwör auf alles! Ausser auf Tiernahrung!) Dadurch, dass die Pflegegespräche oft eng getacktet sind, musste ich mich auf 20.00 Uhr umtragen. Kein Problem. Mein Tagesplan ist eh schon lange im Arsch! Ausserdem ist das Gespräch bei meiner Bezugspflege und die mag ich. Und, wer schreit beim Essen rum:“ Oh du hast braun gesagt! Das ist rassistisch! Hahaha!“ Warum kann ich dem nicht einfach aufs Maul hauen? Das wäre theoretisch einfacher, wenn ich dahingehend Erfahrung hätte. Ich habe das Gefühl, dass er immer lauter wird, weil niemand drauf eingeht. Jetzt, wo ich die Rückendeckung von Seiten der Klinik habe und ich unbedingt etwas an mein Verhalten ändern will, ist’s trotzdem nicht einfacher… Es muss nicht beim allerersten Mal klappen. Es muss noch nicht einmal bei dieser Person klappen. R. sagte mir am Telefon, dass derTyp die Königsdisziplin ist. Vielleicht versuch ich’s erst einmal bei jemand anderes. Draussen hätte ich in seinem Fall kein Problem, mein Maul aufzumachen und rumzumackern, aber rummackern will ich ja gar nicht mehr! Wollte ich nie. In der Tierbewegung habe ich mir damals dahingehend einen Namen gemacht. Ich bin echt froh, dass das vorbei ist. Nicht falsch verstehen. Diese Zeit hat mich geprägt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich kann jetzt mit Sicherheit sagen, dass dieses sich gegenseitige Zerfleischen innerhalb der Tierbewegung nichts für Mutters Kindchen ist.

21.00 Uhr Nach dem Spaziegang noch das Bundesliga-Spiel zwischen Köln und Herta anmachen. Was für ein Tag! Was für eine Woche. Ungefähr so, wie das Spiel. Also ungefähr. Oder auch doch ganz anders. Keine Ahnung. Kann nicht mehr denken. Gute Nacht!

PS: Danke schonmal an S04, dass ihr uns morgen zur Meisterschaft verhelft. Schade, dass ihr trotzdem absteigt. Ne! Das tut mir nicht leid! Noch nicht einmal ein klein wenig. Sorry. Ne! Auch das nehme ich wieder zurück!

Tag 31

Donnerstag, 11.05.2023 überfahrene Leichtigkeit

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, Gewalt in der Sprache, Rassismus, Angespanntheit

Meine Nacht war dieses Mal nicht ganz so unruhig, aber dafür hatte ich wieder ordentlich Albträume. Keine Ahnung, was mir lieber ist. Egal, ich fühle mich fit und ich halte mich daran fest.

6.33 Uhr Ich sitze wieder im Gemeinschaftsraum, trinke Kaffee und schaue mir die Gefühlsliste an. Diese kann ich auch echt gut gebrauchen, wenn ich Abends den Tag nochmal durchgehe. Dies möchte ich jetzt regelmässig machen und mir die schönen Dinge des Tages in meinen Tagesplan schreiben. Kacke! So eine Depression und/oder anderweitige psychische Erkrankungen können ganz schön aufwendig sein.

9.30 Uhr Nach dem Werken gehen wir vor die Tür und rauchen eine. Das ist das Ritual, welches wahrscheinlich schon seit Generationen weitergegeben wird. Plötzlich kommt eine Person dazu, die mir schon länger mit Sprüchen auf den Sack geht. Ein junger Typ, der zu allem etwas zu sagen hat. Immer ganz charmant, freundlich und einen lockeren Spruch auf den Lippen. Folgendes Gespräch: Typ:“ Die neue ist schon mit ihrem Mann da und wartet darauf, dass ihr Zimmer frei wird.“ „Wie alt ist sie?“ „Konnte ich nicht erkennen. Sie trägt einen Turban. Ha! War nur Spass blablablabla“ (Anm. der Readktion: Sie trägt ein Kopftuch!) Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diesen Typen noch aushalte? Ich will hier gesunden und mich nicht auf politische Diskussionen einlassen. Ich kann das gerade echt nicht. Alle anderen anscheinend auch nicht. Ich muss dahingehend etwas machen. Es dauert nicht mehr lange und er bringt mich zum explodieren. Das soll hier doch mein Safespace sein.

10.30 Uhr Schnell duschen und ab ins Pflegegespräch. R. hat mich die letzte Woche darin bestärkt meine Probleme mit der Gewalt in der Sprache meiner Mitpatient*innen anzu sprechen. Dies wollte ich eigentlich gestern im Einzelgespräch mit meinem Therapeuten machen, nutze aber jetzt meine echt liebe und auch professionelle Bezugspflege. Das ist verdammt schwer, aber ich spreche es an. Sie ist auch sofort bei mir und versteht, warum ich mir das hier nicht erlauben will, gewaltvolle Sprache generell anzusprechen. Wo sollte ich da die Grenze ziehen? Kann und will ich nicht. Auch das versteht sie. Wir wollen jetzt genauer drauf schauen und dafür sorgen, dass ich mir einen Schutzschild aufbaue. Die erste Stufe ist dieser, dass ich mich nicht selbst betreffende Diskriminierung besser wegstecke und danach folgt die Stufe mit mich direkt betreffender Diskriminierung. Ich bin so stolz auf mich, dass ich das jetzt angesprochen habe. Vielen dank R.! Du bist jemand ganz besonderes!

14.30 Uhr J., eine Regisseurin aus Berlin ruft mich an. Es geht um ein Vorgespräch für einen 3-Minuten-Film, der nochmal in drei 1-Minüter aufgeteilt und für Social Media aufbereitet wird. Es geht um trans*- und nichtbinäre Fussball-Fans und was wir im und um das Stadion so erleben. Das Gespräch lief super und ich werde bald nach Berlin fahren. Vielen Dank an die KoFaS (http://www.kofas-ggmbh.de/), die Ihre Pfoten da im Spiel hat. Ich freue mich schon sehr darauf.

17.23 Uhr Ich bin auf dem Weg zur Skillsgruppe. Ab in den Fahrstuhl, hoch in den 09ten Stock. Geil! Unterwegs steigt noch eine Person mit Kind ein. Als der Fahrstuhl im 09ten anhält sagt die Person zum Kind:“ Wir steigen hier nicht aus, aber der Herr.“ Ich dachte jetzt Jahre, ich bin nichtbinär. Vielen Dank für die Klarstellung! Genau das habe ich gebraucht.

20.21 Uhr Ich liege überfahren im Bett und frage mich, was da soeben passiert ist. Die Skillsgruppe um 17.30 Uhr war sehr informativ und hilfreich, aber wir haben überzogen. Eigentlich gibt’s um 18.00 Uhr Abendessen. Gut, Donnerstags halt nicht. Habe ich mich schon dran gewöhnt, aber nicht, dass wir erst um kurz vor 19.00 Uhr im Speisesaal ankommen. Während ich mir meine zweite Kniffte schmiere fällt mir ein, dass ich um 19.00 Uhr noch meinen Spannungsbogen mit der Pflege durchgehen muss. Ich dachte dann:“ Ach schnell mal eben durchhauen und dann wieder futtern.“ Ich habe aber nicht mit der Pflegerin gerechnet. Sie ist echt nett und herzlich, aber wenn ihr etwas nicht passt, kann sie knallhart sein. Und, als wir spannungsbogenmässig beim Werken ankamen, dachte ich noch so:“ Soll ich die Rassismusbegegnung jetzt bei ihr auch nochmal ansprechen?“, und dachte dann, dass es ja zur Spannung beigetragen und den restlichen Tag dahingehend beeinflusst hat. Ich spreche das also an und sie wird sofort ganz komisch, von wegen „Das ist doch ihre Pflicht, das anzusprechen!“ und “ Warum haben Sie denn Angst vor eventuellen Konsequenzen?“, „Draussen gibt’s auch keinen Safespace!“ und so etwas. Ich war am brodeln. Irgendwann sagte ich dann nur noch:“ Nö!“ Und, als sie fragte, ob noch was war, habe ich gesagt:“ Das können Sie hier ja lesen.“ Ich wollte einfach nur noch weg. Hab dann auch irgendwann angefangen zu heulen. Im Nachhinein haben wir dann nochmal drüber geredet, dass das eh mein grosses Ding ist und dass ich mir Leichtigkeit wünsche und ein Schutzschild benötige. Ich glaub, das war ganz gut, muss das aber noch sacken lassen. Damit habe ich nicht gerechnet. Bin ein wenig überfahren, fühle mich aber leichter. Aber eine Frage werde ich nie vergessen:“ Warum müssen Sie sich denn rechtfertigen, wenn sie Scheisse ansprechen?“ (Anm. der Redaktion: Dies ist nicht der genaue Wortlaut der Pflegerin!) Ich glaube , sie hat’s echt drauf und ich hasse sie nicht, muss darüber aber noch 1, 2 Jahre schlafen…

Gute Nacht!

Tag 16

Mittwoch, 26.04.2023 – schlechte Laune, bester Tag

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung

Erste Nacht mit neuem Menschen. War für uns beide unruhig. Da ich vorm Schlafen noch ein Stück Kuchen gefuttert habe, das mir S. gestern mitgebracht hat, habe ich natürlich auch ordentlich Sodbrennen gehabt. Konnte ich ja nicht wissen, dass ich das auch davon bekommen kann.

Aber, vielleicht kam das gar nicht vom Kuchen, sondern von der Schoki? Oder von den anderen Süssigkeiten? Vielleicht auch eine Kombination von Schoki und Süssigkeiten. Vielleicht aber auch vom gestrigen Stress. Es gibt so viele Ausreden, äääh Möglichkeiten.

6.00 Uhr Der Wecker klingelt und mir wird schon schlecht, wenn ich an die Tagestermine denke. Also in allererster Linie den Plan. Wenn der wieder so spät ausliegt, dann… nichts. Was soll denn machen. Können die ja auch nichts für. Haben genug an der Backe. Ändert aber für mich auch nichts. Was noch hinzu kommt? Mein Bettnachbar ist Langschläfer und ich gehe zum Zähneputzen aufs Klo. Das müssen wir erst einmal absprechen, wie wir damit umgehen und, ob ihn das stört, wenn ich das Licht in der Waschbeckenabteilung anmache, während er noch schlummert. Besser kann der Tag doch gar nicht anfangen. Dann jetzt erst einmal ’nen Kaffee holen und langsam starten. Kein Kaffee da. Die Person, die dafür zuständig ist, hat wohl verschlafen. Normalerweise ist der Kaffee schon fertig. Ich kann mich jetzt nicht darum kümmern und dafür verantwortlich sein, dass da etwas schiefgeht oder nicht schmeckt oder sonst etwas. Das ist mir schon zu viel. Ich will wieder ins Bett. Gut, dann drehe ich mir halt eine. Eigentlich habe ich mir angewöhnt, die Erste zu quartzen, wenn wir zum Werken gehen, aber das ist halt eine Notsituation. Boah! Wenn ich das so aufschreibe, merke ich selbst, wie komisch sich das für Aussenstehende zu lesen sein muss. Ich mache da keinen Spass! Ich bin sofort bei 70%! Das ist schon der rote Bereich, bevor ich überhaupt richtig wach bin.

9.40 Uhr Werken war wid immer geil. Ich bearbeite gerade die Beine und rauche mir nach der Stunde schon die dritte Kippe. Bei jeder einzelnen Kippe mache ich mir Sorgen vor Schlaganfall Nr.4, aber, wenn ich Beruhigungsmittel einnehme, ist der Tag für mich gelaufen. Ich möchte etwas vom Tag mitbekommen. Ich hoffe sehr, dass ich hier gute Skills mitbekomme, um meine Scheisse anderweitig kompensieren kann. Ich glaube, ich bin hier auf einem guten Weg. Queer Edge¹, ich komme bald wieder zu dir, mein Schatz! :-*

11.00 Uhr Gesprächsgruppe und habe richtig miese Laune. Der Tag hat so beschissen begonnen und ich komme einfach nicht ausse Pötte. Eigentlich wollte ich um 10.00 Uhr duschen und danach kurz zu den Hühnern. Ich bin froh, dass ich es wenigstens geschafft habe zu duschen. Ich kann die Pfoten einfach nicht von meinem Tagesplan lassen. Andauernd muss ich nachgucken, ob ich auch nichts verpasse und mit der Uhr kontrollieren, ob ich noch in der Zeit bin. Das alleine ist heute schon sehr ermüdent. So läuft’s seitdem ich den Tagesplan erstelle, aber so anstrengend, wie heute, war’s noch nie. Ist halt nicht mein Tag. Ich habe gerade mal wieder das Gefühl, dass ich nichts mit dieser scheiss Gesellschaft zu tun haben möchte. Wir Menschen können so unglaubliches schaffen, machen aber lieber alles kaputt. Die Gesprächsgruppe war auch sehr anstrengend, aber ich durfte dort einfach körperlich anwesend sein. Ich hab einfach nicht die Nerven, mich heute in diese Gruppe zu integrieren. Keine Chance. Meine Aussagen wären wohl eher in Grundsatzdisskusionen bzgl. Privilegien ausgeartet. Das wäre kontraproduktiv. Dann lieber die Schnauze halten und aus dem Fenster gucken. Danach bin ich auch schon bei 90% gelandet. Ich will irgendwas kaputt machen. Wo sind die Hochsitze, wenn sie gebraucht werden? Ker!

13.00 Uhr Das Mittagessen hat mich wieder ein wenig runter geholt. Jetzt ist wieder diese Satbübung dran. Ich bin nervös, möchte aber weiterhin offen bleiben und auch körperlich an mir arbeiten.

13.15 Uhr Voll verkackt. Die Pflegerin hat mich an die Wand gedrückt. Ich war nicht in der Lage dagegen zu drücken. Was für ein Kack, ey! Ichvweiss nicht, was da gerade passiert ist. Klar, andere Person, andere Stabführung. Aber das? Was war das? Und schon bin ich wieder bei 80% angekommen. Was für eine Fahrstuhlfahrt heute. Nachdem ich mir den Kopf zerbrochen habe, als ich wieder langsam denken konnte, kam mir die Musiktherapie in den Sinn. Ich kann nichts ohne Anleitung! Ich brauche ein Rezept. Etwas einfach machen? Keine Chance.

14.00 Uhr Kaum Verschnaufpausen. Jetzt geht’s ins Einzelgespräch mit dem sympathischen Herr S.. Was für ein intensives Gespräch. Ich habe schon sehr lange nicht mehr bei einer Therapie-Sitzung so geheult. Herr S. ist echt gut. Aber er ist auch sehr empathisch. Wow, cooler Typ! Wir kommen der Sache schon näher. Und das, in der zweiten Sitzung. Ich bin völlig leer. 10 Prozent. Das gab’s schon sehr lange nicht mehr. Heute ist ein sehr guter Tag! Vielen Dank, Herr S.! Jetzt erst einmal die vorherigen zwei Tage nachholen und online packen.

19.00 Uhr Spannungskurve mit der Pflege durchgehen. Ich sollte mich intensiver mit der Skills-Liste befassen und gucken, was mir in welcher Situation hilft.

20.00 Uhr Ich war gerade zusammen mit 3 anderen eine kleine Runde im Wald. Das war super. Und jetzt ab ins Bett.

Gute Nacht

¹Wikipedia: Straight Edge und Queercore

Tag 10

Donnerstag, 20.04.2023 – Fugendruck und Fankultur

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

In der Nacht hatte ich mal wieder Sodbrennen, weil ich Abends die Pfoten einfach nicht von den Süssigkeiten lassen kann. Aber ich bereue nichts! Also das Sodbrennen schon, aber nicht die Süssigkeiten. „Merkste selber, ne?“ Ja, ist schon gut…

7.30 Uhr Heute hab ich’s mir verkniffen, vorher rauchen zu gehen. Allein mein Magen freut sich darüber. Dafür gab’s zwei Tassen Kaffee auf nüchternen Ma… lassen wir das! In der Morgenrunde bin ich wieder total verballert und muss stark überlegen, was gestern so war. Das ist gerade sehr erschreckend, wie schnell ich gerade Erlebtes vergesse. Ist ja aber auch viel und noch relativ neu.

8.30 Uhr Heute ist nicht mein Tag. Ich habe noch nicht einmal Lust aufs Werken. Das ist halt manchmal so. Als ich erst einmal an meinem Hocker weiterarbeite, kommt der Spass schon kurz vorbei gehuscht und die Stunde ist dann auch schon wieder vorbei. Morgen kann ich die Hockerbeine anfangen und es gibt wohl das erste Mal auch Muskelkater dazu.

9.00 Uhr Ab zu den Hühnern, Achtsamkeit üben. Jetzt habe ich ein wenig Zeit, kann auf dem Weg R. anrufen und wir können ein wenig quatschen. Die Bank, auf der ich immer sitze ist nass. Das bemerke ich natürlich erst, als ich darauf sitze. Und direkt gegenüber ist ein kleiner Vorbau unter dem trockene Stühle stehen. Erst einmal zuende telefonieren und danach die Hühner mit Gras füttern. Die alten Geier!

Unter dem Vorbau ist’s nicht das Gleiche. Ich kamaber auch nicht auf die Idee, den Stuhl neben die Bank zu stellen. Naturbetrachtung war heute nichts, aber ich hab’s ein wenig versucht und habe die Hühner beobachtet.

Auf dem Rückweg merke ich, dass es mir ganz gut tut, wenn ich die Fugensache ein wenig auslebe und doch ein wenig mehr darauf achte, die Fugen in meinem System, also entweder gar nicht oder die Fugen mit der Fussmitte zu treffen. Das nimmt ein wenig Druck raus, macht mir aber Angst, dass das Ganze dann total aus dem Ruder läuft. Auf jeden Fall werde ich das morgen in der Visite ansprechen.

10.45 Uhr Das erste Mal „Vorblick“. Verstehe nur nicht, warum das erst so spät ist. Das kann ja dann eigentlich nur für den kommenden Tag sein?

Ups! Falsch verstanden. Ich soll noch vor dem Frühstück zum Vorblick kommen und dann auch schon meine Liste fertig haben. Das ärgert mich sehr, dass ich da nicht alleine drauf gekommen bin. Irgendwas ist halt immer…

Für Freitag sieht’s so bei mir aus

  • 06.00 – Wecker
  • 07.00 – Medikamente + Tagestermine
  • 07.30 – Morgenrunde
  • 07.45 – Vorblick
  • 08.00 – Frühstück
  • 08.15 – Werken (bis 9.30 Uhr)
  • 10.00 – Musik
  • 11.00 – Visite
  • 12.00 – Mittag
  • 12.45 – Einkaufen
  • 16.00 – Kochen
  • 18.00 – Abendessen
  • 19.00 – Naturbeobachtung

Auf dem ersten Blick erschlägt mich das ganze Gebilde, aber der Plan tut mir unglaublich gut.

12.00 Uhr Mittagessen Ich kann mich kein bisschen übers Essen beschweren. Alles super und auch lecker. Klar, in den ersten Tagen ging häufiger etwas schief, aber das kenne ich nicht anders. Ich habe ja auch Sonderwünsche. Keine Ahnung, wie viele Menschen in dieser Klinik vegan leben. Auf meiner Station bin ich die einzige veganlebende Person und wir sind momentan 13 Leute. Uh, geile Zahl. Block 13 auf der Südtribüne. Und ich habe meine Dauerkarte einem Arschloch gegeben…

Jetzt erst einmal ein Stündchen (Haha!) schlafen.

15.15 Uhr Pflegegespräch – Zuerst quatschen wir darüber, wie meine Achtsamkeitsübung Namens Naturbeobachtung verlief und haben das einfach mal so stehen lassen. Heute ist einfach nicht mein Tag und ich habe das Beste daraus gemacht. Dann wird mir vorgeschlagen, dass ich mit der Naturbeobachtung aufhöre, da meine Bezugspflegerin und mein Therapeut glauben, dass es für mich gerade wichtiger ist, dass ich einmal Atem- und einmal Körperübungen mache, damit es mir einfacher fällt, unter Menschen zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich beim Einkaufen schon ein grundsätzlich hohes Anspannungslevel, bevor ich aus der Wohnungstür bin. Dass ich auf offener Strasse als „Scheiss Schwuchtel“ beschimpft wurde, ist noch gar nicht so lange her und sitzt tief. Ich will so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle und in der Masse verschwinden. Das geht aber nicht. Ich bin halt ein bunter Vogel ganz in schwarz gekleidet. Ich will beim Einkaufen Abstand haben, besonders an der Kasse. Dies ist in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Alle hetzen von Termin zu Termin, sind im Kopf schon ganz woanders oder haben anderen Stress. Ich versuche das so anzunehmen, aber, wenn ich die Person hinter mir schon Huckepack nehmen kann und dann noch ein “ Können Sie bitte abstand halten?“ rausquetsche, diese dann aber pampig reagiert, platze ich. Und werde beleidigend. Ich möchte dieser Person weh tun. Sie verbal zerstören. Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt. Blablabla.

Und hinterher? Ärgere ich mich bis zum geht nicht mehr, dass ich mal wieder mein Maul nicht halten konnte. Jedesmal das Gleiche.

Aber es gibt für mich momentan nur zwei Wege:

  1. Entweder, ich sag nichts und ärgere mich über die andere Person und mich, weil ich nichts gesagt habe.
  2. Oder ich ärgere mich über die Person, weil sie kacke reagiert und über mich, weil ich ausfallend und laut geworden bin.

Bei 1. ist die Gefahr, dass sich der innere Druck immer weiter anstaut und die Explosion die Menschen trifft, die damit gar nichts zu tun haben. Vor allem R. ist davon betroffen. Bei 2. ist der Druck wieder etwas runter, aber immernoch höher, als vor der auslösenden Situation. Eine weitere Situation kann dann schon ausreichen. Was soll ich schreiben? Es ist sehr anstrengend. Ich will Leichtigkeit. Ich will über diese Dinge oder Situationen stehen und auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber agieren. Wir versuchen hier alle „nur“ zu (über)leben.

15.39 Uhr C. von der KoFaS, ‚Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit’, und ich haben seit Montag versucht, bzgl. einer Anfrage für eine Zusammenarbeit miteinander zu telefonieren, aber es hat nicht sollen sein. Also hat mir C. jetzt eine fast vierminütige Sprachnachricht mit einer kleinen Beschreibung geschickt. Es geht um trans*-Fussballfans. Yeahi. Ich bin dabei! Läuft bei mir!

15.45 Uhr Ein Zettel für mich klebt an der Tür. Die morgige Musiktherapie muss verschoben werden. Entweder auf 11.00 Uhr oder auf Montag. AAAAH! Ich habe doch gerade erst alles geplant. Und die Zeit für die Visite ist eh schon wenig planbar, da nunmal viele Menschen nacheinander abgearbeitet werden. Ausserdem müssen wir uns ab Snfang der Woche in den Zeitplan der Visite eintragen und somit gibt es heute noch kaum freie Stellen. Ich habe mich extra für 11.00 Uhr eingetragen, damit das alles passt. Es könnte natürlich auch ein therapeutischer Test sein, aber wahrscheinlich ist der Therapeutin einfach etwas dazwischen gekommen. Ich habe dafür aber keine Energie. Dann muss Musik halt auf Montag „verschoben“ werden, bzw. morgen ausfallen. Hab mich so sehr darauf gefreut!

16.10 Uhr Nicht nur meine Eltern und mein Opa kommen zu besuch, sondern auch R. kommt kurz rum. Sie hat Unterlagen für die Kaution der neuen Wohnung, die ich unterschreiben muss. Was für ein Stress. Danke, dass du das alles managed. :-*

Ein wenig im Krankenhaus-Cafè zusammensitzen, Kaffee trinken und quatschen. Das ist schön.

20.47 Uhr Ich liege im Bett und schreibe diese Zeilen. Gute Nacht.

Tag 2

Mittwoch, 12.04.2023 Migräne

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Depressionen, Zwänge, Borderline, Psychosen), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern

6.15 Uhr Ich hatte eine sehr unruhige nacht, habe aber nur einmal um mich geschlagen. Geschrieen habe ich wohl nicht.

Abends hat es sich so angehört, als wenn jemand weint. Das ging länger so. Gehört dazu, aber dieser Umstand hat mich an meinem Aufenthalt 2012 auf der Stroke Unit in einem KH in Dortmund erinnert. Das ist die Schlaganfall-Abteilung. Ich bin eigentlich nur in die Notaufnahme, weilich dachte, dass ein Krankenschein von ’nem Krankenhaus mal etwas anderes ist und dies ein wenig Abwechslung bringt. Konnte ich ja nicht wissen, dass die mich sofort da behalten. Ich musste Tage aufs Ergebniss warten. Es Hiess nur „Entweder ist’s ein Hirntumor, Meningitis (Hirnhautentzündung) oder ein Schlaganfall. Die Warterei war die Hölle. Nicht nur, weil das Ergebnis auf jeden Fall kacke ist, sondern auch die Nächte waren der Horror. Eines Nachts musste eine Person vom Pflegepersonal beruhigt werden, weildiese dachte, sie wird gerade von Ausserirdischen eingefangen. In einer anderen Nacht wurde ich plötzlich wach, weil ein Bettnachbar auf meinem Bett sass. Als ich ihn fragte, ob alles okay sei, hat ersich erschrocken, weil er dachte, er sitzt auf seinem Bett. Danach konnte ich in den nachfolgenden Nächten nicht mehr richtig pennen. Bettnachbar Nummer 2 musste ans Bett gefesselt werden, weil er andauernd das Zimmer auseinander genommen hat. Er konnte nicht mehr sprechen und wollte irgendwas. Niemand hat ihn verstanden. Vielleicht wusste er selbst nicht was er genau wollte. Dieser ca. zweiwöchige Aufenthalt hat mich sehr geprägt. So etwas kannte ich nur mit Psychiatrien aus Filmen. Dies hier ist mein 6ter Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik und vergleichbares habe nie erlebt. Will ich auch nicht mehr.

7.30 Uhr Kurze Morgenrunde mit kleiner Zusammenfassung, wie die letzte Nacht war und was Mensch gestern gut fand. Die Krankenhaus-Katze hat uns währenddessen besucht. Cooles Tier. Katzen sind Arschlöcher, diemag ich.

7.50 Uhr Frühstück, zwei Brötchen mit drei verschiedenen Marmeladen und eine Pflaume

8.30 Uhr sollte ich mir einen Termin beim Werken holen und konnte sofort dort bleiben. Damit habe ich nicht gerechnet, aber es tat sehr gut und ich bastel mir einen Hocker aus Holz. Freu mich sehr aufs Ergebnis.

9.30 Uhr Erstmal eine ins Gesicht stecken und Kaffee trinken. Meine Mitpatient*innen sind alle ganz nett. Ich fliege aber noch stealth, weil ich mich nicht traue, mich zu outen. Hier tut es aber nur halb so weh, missgendert zu werden. Zwei Personen haben mich auf meinen Vornamen angesprochen, denen habe ich erzählt, dass ich 2020 eine Personenstandänderung vollzogen habe, als divers eingetragen bin und diesen Vornamen dann angenommen habe. Das ist wie mit Veganismus. Ich will es niemanden auf die Nase binden, weil ich keine Böcke aufs Gelaber habe. Wenn Menschen mich darauf ansprechen, mache ich aber auch kein Geheimnis draus. Das funktionockelt ganz gut. Ich bin ja so schon der bunte Vogel ganz in Schwarz.

11.00 Uhr Mein erstes Gruppengespräch. Nach 20 Minuten habe ich abgeschaltet und war fertig mit den Nerven. Am zweiten Tag ganz normal.

12.00 Uhr Mein Mittagessen ist nicht gekommen, aber voll unpassend. Ich habe wahnsinnige (Raffste? Ich bin doch inner Klappse!) Kopfschmerzen und bekomme irgendein Ferrum-Quar-Zeugs. Ich wollte Ibus einnehmen, habe mich aber nicht getraut zu sagen, dass ich echte Medizin nehmen möchte. Ich habe schon gesagt, dass ich die nicht ausprobieren will, durfte aber nur die nehmen, weil in .einer Akte noch nichts über meine Bedarfsmedikation stand. Dann schlucke ich halt das Zeugs. Was keine Wirkung hat, hat auch keine Nebenwirkung.

14.00 Uhr Ich werde aus’m Tiefschlaf gerissen und darf mit Koppschmerzen zum EKG latschen. Als ich auf den Ausdruck schaue, steht dort „männlich“. Alle Angaben wurden erfragt, nur das wird automatisch ausgefüllt. Vielleicht ist die Angabe für die Werte wichtig (Gendermedizin), allerdings hat mir das jetzt heute das Genick gebrochen. Ich kämpfe täglich zigmal darum, angemessen gegendert zu werden. Gendermedizin hat seine Berechtigung, aber ab wann ist ein Körper männlich und ab wann weiblich? Muss eine Brust eine bestimmte Grösse haben, um weiblich zu sein? Ich kenne meine Thesto-Werte nicht, aber naja. Egal. Während des Wartens wurde ich von einer Mitpatientin gefragt, welches Statement hinter meinem Auftreten steckt. Mein Statement heisst „LECKT MICH ALLE AM ARSCH!“, hätte ich gerne geantwortet und habe nur gesagt, dass es keins gibt und ich mich so wohlfühle. Boah, wat bin ich langweilig, ey! Die Person hat mir erzählt, dass sie vom Land kommt. Dort ist mensch ja nicht viel gewohnt, habe ich trotzdem kein verständnis für.

14.30 Uhr Ich frage nochmals nach Kopfschmerztabletten, aber in meiner Akte steht immernoch nichts zur Bedarfsmedikation. Aber gute Nachricht, in 10 Minuten ist die Ärztin zu sprechen und wird dann von der Pflege angerufen. Hey, lasst euch Zeit. Meine Birne wird schon nicht platzen. Auch, wenn’s sich so anfühlt.

14.47 Uhr Toll. Mir wird jetzt auch noch schlecht. Die Kopfschmerzen werden migränig. Ich will pennen.

14.50 Uhr wollte nicht genau nach 10 Minuten auf der Matte stehen und bekomme jetzt tatsächlich eine Ibu, die jetzt auch nicht mehr viel bringt. Vielleicht wird’s dadurch nicht noch schlimmer.

14.51 Uhr Gute Nacht!