Tag 7

Montag, 17.04.2023 – Danke Merkel!

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Schlafprobleme, Angespanntheit, Schizofrenie

Die beiden, die sich gestern fast gekloppt haben, stellten sich als eine schizofrene Person raus, bei der momentan die Medis umgestellt wurden. Das tut mir so leid. Mensch vergisst sehr schnell, wo wir hier sind. Das ist kein Ferien-Camp. Wir haben alle unsere Päckchen zu tragen.

6.30 Uhr Ich hatte mal wieder eine sehr unruhige Nacht und komme sehr schwer aus dem Bett. Der Mensch von gestern Abend steht auch schon wieder gefühlt unterm Fenster und disskutiert. Erst einmal Zähne putzen und dann eine rauchen.

7.15 Uhr Auf dem Rückweg vom Rauchhäuschen fällt mir auf, dass mir Fugen auf dem Boden ordentlich Druck mach, es aber auch gut den Druck nimmt, wenn ich sie in meinem System erwische. Der Kontrollzwang sorgt dafür, dass Aussenstehende nicht sehen dürfen, dass ich „bekloppt“ bin (ich benutze hier absichtlich ableistische Sprache, da es genau das ist, was in meinem Kopf vorgeht). Um das Ganze ein wenig in Einklang zu bringen habe ich ein spezielles System, wie ich Fugen erwischen muss. Das hatte ich schon ewig nicht mehr und ich habe Angst, dass ich das extra mache, um kränker zu sein. Damit ich so zu sagen eine Berechtigung für meinen Platz hier habe. Oder, um mich „wichtiger“ zu machen. Oder keine Ahnung. Ich mache mir zu viele Gedanken. Jetzt erst einmal ab in die Morgenrunde.

7.30 Uhr “ Mein Wochenende war eigentlich sehr schön, aber sehr anstrengend. Ich hatte eine sehr unruhige Nacht und worauf freue ich mich denn heute?… Auf das Ende des Tages!“ Theatralischer geht’s nicht, aber ich will diesen Tag einfach nur verpennen. Und zwischendurch rauchen…

8.00 Uhr Diese doch noch neue Umgebung und jetzt die noch hinzukommenden Termine, die alle ordentlich Druck aufbauen, machen mir gerade sehr zu schaffen. Ich bin schon einmal zu spät gekommen. Kacke! Heute habe ich zum ersten Mal Musiktherapie und habe gehört,  es gibt sogar ein Klavier. Da habe ich total Böcke drauf und gleichzeitig wahnsinnig Angst, zu versagen. Das ist mein erster Klinilaufenthalt, an dem ich total Spass an dem handwerklichen Zeug habe und jetzt noch Musik mit Klavier. Ein Traum. Hoffentlich geht das „Alb“ dieses Traumes in den nächsten Tagen bzw. Wochen flöten und ich kann das alles besser geniessen. Mir ist bewusst, dass ein Klinikaufenthalt harte Arbeit bedeutet, aber wenn ich schon die Chance habe, ordentlich Spass dabei zu haben, versuche ich kein schlechtes Gewissen zu haben, bzw. diesem schlechten Gewissen keinen Raum zu geben.

11.00 Uhr Gruppentherapie. Nach der kurzen Einführungsrunde, in der wir kurz unser Empfinden ansprechen, will ich unbedingt die Kacke mit den kack Fugen ansprechen. Das erhöht den hohen Druck gerade eh nochmals um einiges. Da ich mich aber auch nicht in den Mittelpunkt stellen will, warte ich noch ein bisschen, bis ich mich zu Wort melde. Tja. Da war jemand sehr schnell und wir kümmern uns in der Sitzung um sein Thema. Pech! Hoffentlich bekomme ich bald ein Einzelgespräch…

12.30 Uhr Jetzt zum Nachtisch erst einmal eine halbe Tafel Schoki inhalieren, dann Kopfhörer in die Ohren und noch eine Stunde pennen. Danach kann ich mich langsam fertig machen, um um 14.10 Uhr bei der Musitherapie zu sein. Ich stelle mir zwei Wecker. Einen auf der Uhr den anderen im Handy. So kann nichts schief gehen.

Die Tür springt auf, die Pflegerin kommt reingestürmt und holt mich aus’m Tiefschlaf. „Sie haben Musiktherapie! Sie werden erwartet!“ Ich gucke halb verschlafen auf die Uhr: Viertel nach! AAAAAH! Wie kann mir so etwas schon wieder passieren? Das darf nicht wahr sein. Echt nicht. Schnell anziehen, einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche nehmen und dann ab dafür. Am liebsten würde ich an dem Therspie-Häuschen vorbeilatschen und abhauen. Das ist mir so unangenehm. Das bin nicht ich. Unterwegs schaue ich nochmal nach, ob die Wecker überhaupt geklingelt haben. Äh!?! 13.30 Uhr? Was ist da denn los? An der Tür werde ich schon mit einem vorwufrsvollem Blick erwartet. Dann stellt sich heraus, dass die Therapeutin die Uhrzeit in meinem Plan falsch eingetragen hat. Es lag nicht an mir? Jau. Puh! Jetzt ’ne Kippe. Oder ein Bett. Oder eine Kippe im Bett. Wie früher im Kinderzimmer.
Eigentlich hätte ich von 13.10 Uhr bis 13.50 Uhr Musik gehabt und wir quatschen kurz zum kennenlernen. Ich erkläre ihr, warum ich hier bin und was ich mir wünsche. Dann bekomme ich ein Xylophon vorgesetzt und wir Jammen einfach eine Runde. Sie begleitet mich mit dem Klavier. Das ist mir so peinlich, aber ich fange einfach an. Und es hört sich sogar richtig gut an. So richtig. Ich will gar nicht mehr aufhören. So gar nicht. Einfach nur geil. So etwas habe ich noch nie gemacht.

14.10 Uhr Ich liege im Bett und muss das alles erst einmal verdauen. Was für ein Chaos. [Nicht Anarchie! 😉 ]Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit, Gleichberechtigung aller, keine Nationen und Grenzen. Utopie? Ja. Werde ich nie erleben? Auch ja. Na und? Ich will mir an meinem Sterbebett in die Augen gucken können und das könnte ich momentan. Natürlich lebe auch ich in meinen Augen nicht perfekt. Ich versuche in diesem System zu (über-)leben. Wie alle anderen auch. Dazu kann ich „Manifest“ von Früchte des Zorns empfehlen. Genau das!

15.30 Uhr Erst einmal ein Stündchen pennen…

17.30 Uhr Der Wecker holt mich schon das dritte Mal aus’m Schlaf. Dieses Stück Scheisse! (Das ist eine politisch korrekte Beleidigung!) Eigentlich würde ich auf das Abendbrot verzichten und bis morgen früh durchpennen, aber danach ist noch Stationsversammlung. Dann kann ich auch vorher aufstehen und etwas Essen. Ich habe jetzt auch endlich einen Termin für mein erstes Therapiegespräch. Und dann noch mit dem Arzt, der sehr sympathisch ist und der schon die Gruppentherapie leitet, die ich Montags und Mittwochs habe.

18.30 Uhr Auf der Stationsversammlung am Montag werden die Ordnungsdienste verteilt. Ich werde morgens die Frühstück-Tabletts verteilen. Aber auch nur, weil ich das nicht alleine machen muss. Ich kann mir schon keine Namen merken und schon gar nicht die Sitzordnung. Ich dachte mir, dass ich zwei Dienste ganz gut hinbekomme und meldete mich noch mit drei anderen für den Küchendienst. Müll entsorgen, Tische abwischen und so. Das ist easy.

Und dann kommt’s. Die allseitsbeliebte Kochgruppe, die am Freitag für alle kocht. Ich will nicht, aber die anderen auch nicht. Nachdem sich partout keine vierte Person finden lassen wollte, wurde ich weich. Ich habe klar gemacht, dass ich nichts unveganes anfasse oder zubereite. Damit sind die Leute einverstanden und ich bin dann nächste Woche erst einmal raus da und kann das nächste Mal Kochgruppe dann ein paar mal hinauszögern. Toll ey. Danke Merkel!

19.30 Uhr Oh! Hab ganz vergessen, dass ich heute noch nicht duschen war. So bin ich dann noch ein wenig länger aus’m Bett. Das kann nicht schaden.

21.00 Uhr Mein Bettnachbar macht noch Birds of Prey auf seinem iPad an und stellt es zwischen unsere Betten auf ein Nachtschränkchen. Gute Nacht.