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Tag 35

Montag, 15.05.2023 – Ich bin so Wissenschaftsaffin, ich höre sogar Mathcore

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Tierausbeutung, Rassismus

(Beitragsbild: eine Fotonahaufnahme eines Teils von einem Bandshirt der Mathcore-Band IWrestledABearOnce, auf dem Yoda aus Star Wars zu sehen ist und der Bandname in Yodas Sprache abgebildet ist: A Bear Once I Wrestled)

Meine Nacht war gar nicht gut. Sehr unruhig, oft wach geworden, lange gebraucht, um wieder einzuschlafen, zweimal aufs Klo gemusst und Sodbrennen. BAH! Gestern Abend erzählt mir mein Bettnachbar, dass er gerne Angeln geht und, dass er kein Rassist sei, aber mit bestimmten Arten von Ausländern nichts zu tun haben möchte. „Ist so’n persönliches Ding.“ Dat kannste dir nicht ausdenken. Also schon, aber das ist so passiert. Schwör!

7.23 Uhr Ich sitze alleine im Gemeinschaftsraum und warte auf die Morgenrunde. Heute kam ich echt schwer aus’m Bett. Gut, dass diese Woche Werken ausfällt. Das bedeutet Morgens weniger Stress, aber auch 4 Tage, in denen der Hocker nicht weiterbearbeitet wird.
G. meine Sitznachbarin beim Essen kommt rein und fragt nach einer Zeitung. „Die aktuelle Tageszeitung kommt immer mit dem Frühstück zusammen.“ sag ich. Daraufhin kramt sie in der Zeitungsablage und holt sich eine „Rute und Rolle“. Eine Angelzeitung. Wer die wohl dort abgelegt hat? Ich könnte wahrscheinlich auch Anglerzeitung schreiben, das weiss ich aber nicht. Vielleicht schaue ich mir den Scheiss mal an. Jetzt liegt hier schon Tierqual-Propaganda rum. Ich könnte ja auch mal eine Tierbefreiung, Graswurzel Revolution oder ein Antifaschistisches Infoblatt auslegen? Für den Skeptiker mache ich keine Werbung, nachdem in der GWUP so viel Kacke passiert ( #GWUPGate #NoABA #GegenTransfeindlichkeit )¹. Keine Ahnung, ob ich zum zweiten Mal dort austrete. Ich warte jetzt die Mitgliedsversammlung am 20.05.2023 ab, weil ich weiss, dass dort einige coole Leute hinfahren. Ich habe gerade keine Kraft dazu. Solidarische Grüsse an die coolen GWUPler*innen!

8.10 Uhr Beim Frühstück geht’s um den SodaStream und, dass die ein neues Anschlusssystem für die Gasflaschen haben, damit mensch keine Alternativen dort anschliessen kann und ob sich wohl bald die ersten kleinen Firmen an diesen Verschluss austoben. „Da machen die sich dann aber strafbar, wenn das patentiert ist!“ ArschlochTyp:“ Das ist den Chinesen egal!“ Puh! Ich habe mich innerlich auf eine Ansprache vorbereitet, seitdem er mit am Tisch sitzt. Aber während ich „schnell“ nochmal darüber nachdenke, wie ich das nochmal anspreche und was er zuvor noch alles von sich gelassen hat, haben die schon lange ein neues Thema. Ich musste auch noch drüber nachdenken, ob das Thema nicht zu „grauzonig“ für meine Ansprache beim ArschlochTypen ist. Nein, ist’s nicht, aber ich habe zu lange darüber nachgedacht. Verdammt! Das nächste Mal kommt bestimmt. Leider!

12.00 Uhr In der Gesprächsgruppe ging’s heute um Zwänge. Ich hätte da einiges zu beitragen können, aber jedesmal, wenn ich sagen wollte, dass ich für mich Ticks/Schrulligkeiten erst Zwänge nenne, wenn sie mich negativ beeinflussen, einschränken oder ähnliches, war jemand anderes schneller oder ich musste drüber nachdenken, ob ich mit diesem Satz anderen etwas abspreche. Ich will auch gar nicht so viel Platz einnehmen. Ich bin mir nicht sicher, was ich von der Runde halten soll. Sie war auf jeden Fall sehr aufwühlend. Nach dem Essen erst einmal eine Runde pennen mit lauten Bohrgeräuschen im Hintergrund. Die Klinik ist ja schon länger eine Baustelle. Beim Tinnitus ist der Vorteil, dass er durchgehend ist, das Bohrgeräusch macht mir zu viele Pausen und ist ja auch nachmittags fertig…

15.18 Uhr Ich warte in der Küche auf meinen Therapeuten, trinke einen Kaffee und spiele Schach auf dem Handy. Wir hatten uns für ab 15.00 verabredet und ich weiss nicht, in welchem Zimmer er gerade sitzt. Als er um die Ecke kommt, grinst er mich an und nickt mit dem Kopf. Ich mag ihn. Cooler und sympathischer Typ. Es geht um eine Verlängerung um 2 Wochen und um Migräne-Medis. Kurz und knapp: Wir denken beide, dass anhand der neu eröffneten Baustelle mit den Mikroaggressionen eine Verlängerung richtig wäre. Bezüglich der Medikation trage ich mich im Anschluss auf die Liste für die medizinische Sprechstunde an der grossen Orgatafel ein. Läuft…

17.55 Uhr Ich habe mich nach dem Gespräch aufs Bett gelegt und einfach nur Musik gehört. Ich hätte auch nichts gegen Schlafen gehabt, aber das war mal eine ganz neue Erfahrung. Ab 18.00 Uhr gibt’s Abendbrot.

18.30 Uhr Während ich auf die anderen warte, blättere ich die Anglerzeitung durch. Keine einzige weiblich gelesene Person. Eine Urmenschen-Zeitung, richtig schön oldschool. Harter Männersport für harte Männer! Angeln ist kein Sport, Angeln ist Tierquälerei und Mord. Ich bin dahingehend sehr extrem, aber ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es den Lebewesen gut tut, mit einem Haken im Maul am eigenen Gewicht hochgezogen zu werden. Sorry! Bin da doch sehr voreingenommen. Ach so, und Mord ist’s ja auch noch. Selbst, wenn die Fische aus dem Wasser getragen würden. Auch dahingehend bin ich sehr voreingenommen…

18.50 Uhr Gerade ist die Stationsversammlung, bei der die Wochenjobs vergeben werden, vorbei und im Anschluss wird nochmal nachgefragt, ob es allgemeine Anmerkungen oder Wünsche gibt. Ich bin so stolz auf mich, dass ich einen kleinen Anfang geschafft habe, indem ich angesprochen habe, dass ich ständig in den Gemeinschaftsräumen die Lichter ausmache, wenn sich dort niemand aufhält und darum gebeten, dass alle mal darauf achten. Es gab entweder Zustimmung oder Enthaltungen. Naja, ist ja auch ein polarisierendes Thema. Ich habe den ersten Schritt geschafft. Apropos Schitte: Ich zwinge mich jetzt zu einem Spaziergang im Wald. Auch das habe ich ab Donnerstag schleifen lassen.

20.45 Uhr 40 Minuten gelatscht, mit R. telefoniert, noch eine gequalmt und jetzt ab ins Bett. Gute Nacht! :-*

Anny’s Ohrwurm des Tages:
Iwrestledabearonce – Danger in the Manger
https://youtu.be/o_6lI1t0qMM (Der keyboardspielende Hund ist der coolste!)
Wikipedia:
„Iwrestledabearonce (abgekürzt IWABO) war eine 2007 gegründete Mathcore-Band aus Shreveport, Louisiana, die beim deutschen Label Century Media unter Vertrag stand. Ihre Musik ist eine Mischung aus Jazz, Swing, Electronic und Deathcore. In ihrer Karriere veröffentlichte die Band eine EP und vier Alben. Iwrestledabearonce trennten sich im Jahr 2016.“

¹ GWUP-mässig kann hier nachgelesen werden, was da so los ist: https://mela.de/blog/2022/12/16/transfeindlichkeit-und-die-gwup/ (mit weiterführenden Links zum Thema ABA.)

Tag 16

Mittwoch, 26.04.2023 – schlechte Laune, bester Tag

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung

Erste Nacht mit neuem Menschen. War für uns beide unruhig. Da ich vorm Schlafen noch ein Stück Kuchen gefuttert habe, das mir S. gestern mitgebracht hat, habe ich natürlich auch ordentlich Sodbrennen gehabt. Konnte ich ja nicht wissen, dass ich das auch davon bekommen kann.

Aber, vielleicht kam das gar nicht vom Kuchen, sondern von der Schoki? Oder von den anderen Süssigkeiten? Vielleicht auch eine Kombination von Schoki und Süssigkeiten. Vielleicht aber auch vom gestrigen Stress. Es gibt so viele Ausreden, äääh Möglichkeiten.

6.00 Uhr Der Wecker klingelt und mir wird schon schlecht, wenn ich an die Tagestermine denke. Also in allererster Linie den Plan. Wenn der wieder so spät ausliegt, dann… nichts. Was soll denn machen. Können die ja auch nichts für. Haben genug an der Backe. Ändert aber für mich auch nichts. Was noch hinzu kommt? Mein Bettnachbar ist Langschläfer und ich gehe zum Zähneputzen aufs Klo. Das müssen wir erst einmal absprechen, wie wir damit umgehen und, ob ihn das stört, wenn ich das Licht in der Waschbeckenabteilung anmache, während er noch schlummert. Besser kann der Tag doch gar nicht anfangen. Dann jetzt erst einmal ’nen Kaffee holen und langsam starten. Kein Kaffee da. Die Person, die dafür zuständig ist, hat wohl verschlafen. Normalerweise ist der Kaffee schon fertig. Ich kann mich jetzt nicht darum kümmern und dafür verantwortlich sein, dass da etwas schiefgeht oder nicht schmeckt oder sonst etwas. Das ist mir schon zu viel. Ich will wieder ins Bett. Gut, dann drehe ich mir halt eine. Eigentlich habe ich mir angewöhnt, die Erste zu quartzen, wenn wir zum Werken gehen, aber das ist halt eine Notsituation. Boah! Wenn ich das so aufschreibe, merke ich selbst, wie komisch sich das für Aussenstehende zu lesen sein muss. Ich mache da keinen Spass! Ich bin sofort bei 70%! Das ist schon der rote Bereich, bevor ich überhaupt richtig wach bin.

9.40 Uhr Werken war wid immer geil. Ich bearbeite gerade die Beine und rauche mir nach der Stunde schon die dritte Kippe. Bei jeder einzelnen Kippe mache ich mir Sorgen vor Schlaganfall Nr.4, aber, wenn ich Beruhigungsmittel einnehme, ist der Tag für mich gelaufen. Ich möchte etwas vom Tag mitbekommen. Ich hoffe sehr, dass ich hier gute Skills mitbekomme, um meine Scheisse anderweitig kompensieren kann. Ich glaube, ich bin hier auf einem guten Weg. Queer Edge¹, ich komme bald wieder zu dir, mein Schatz! :-*

11.00 Uhr Gesprächsgruppe und habe richtig miese Laune. Der Tag hat so beschissen begonnen und ich komme einfach nicht ausse Pötte. Eigentlich wollte ich um 10.00 Uhr duschen und danach kurz zu den Hühnern. Ich bin froh, dass ich es wenigstens geschafft habe zu duschen. Ich kann die Pfoten einfach nicht von meinem Tagesplan lassen. Andauernd muss ich nachgucken, ob ich auch nichts verpasse und mit der Uhr kontrollieren, ob ich noch in der Zeit bin. Das alleine ist heute schon sehr ermüdent. So läuft’s seitdem ich den Tagesplan erstelle, aber so anstrengend, wie heute, war’s noch nie. Ist halt nicht mein Tag. Ich habe gerade mal wieder das Gefühl, dass ich nichts mit dieser scheiss Gesellschaft zu tun haben möchte. Wir Menschen können so unglaubliches schaffen, machen aber lieber alles kaputt. Die Gesprächsgruppe war auch sehr anstrengend, aber ich durfte dort einfach körperlich anwesend sein. Ich hab einfach nicht die Nerven, mich heute in diese Gruppe zu integrieren. Keine Chance. Meine Aussagen wären wohl eher in Grundsatzdisskusionen bzgl. Privilegien ausgeartet. Das wäre kontraproduktiv. Dann lieber die Schnauze halten und aus dem Fenster gucken. Danach bin ich auch schon bei 90% gelandet. Ich will irgendwas kaputt machen. Wo sind die Hochsitze, wenn sie gebraucht werden? Ker!

13.00 Uhr Das Mittagessen hat mich wieder ein wenig runter geholt. Jetzt ist wieder diese Satbübung dran. Ich bin nervös, möchte aber weiterhin offen bleiben und auch körperlich an mir arbeiten.

13.15 Uhr Voll verkackt. Die Pflegerin hat mich an die Wand gedrückt. Ich war nicht in der Lage dagegen zu drücken. Was für ein Kack, ey! Ichvweiss nicht, was da gerade passiert ist. Klar, andere Person, andere Stabführung. Aber das? Was war das? Und schon bin ich wieder bei 80% angekommen. Was für eine Fahrstuhlfahrt heute. Nachdem ich mir den Kopf zerbrochen habe, als ich wieder langsam denken konnte, kam mir die Musiktherapie in den Sinn. Ich kann nichts ohne Anleitung! Ich brauche ein Rezept. Etwas einfach machen? Keine Chance.

14.00 Uhr Kaum Verschnaufpausen. Jetzt geht’s ins Einzelgespräch mit dem sympathischen Herr S.. Was für ein intensives Gespräch. Ich habe schon sehr lange nicht mehr bei einer Therapie-Sitzung so geheult. Herr S. ist echt gut. Aber er ist auch sehr empathisch. Wow, cooler Typ! Wir kommen der Sache schon näher. Und das, in der zweiten Sitzung. Ich bin völlig leer. 10 Prozent. Das gab’s schon sehr lange nicht mehr. Heute ist ein sehr guter Tag! Vielen Dank, Herr S.! Jetzt erst einmal die vorherigen zwei Tage nachholen und online packen.

19.00 Uhr Spannungskurve mit der Pflege durchgehen. Ich sollte mich intensiver mit der Skills-Liste befassen und gucken, was mir in welcher Situation hilft.

20.00 Uhr Ich war gerade zusammen mit 3 anderen eine kleine Runde im Wald. Das war super. Und jetzt ab ins Bett.

Gute Nacht

¹Wikipedia: Straight Edge und Queercore

Tag 15

Dienstag, 25.04.2023 – schachten im Bett

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen,, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung, innerer Druck

Erste Nacht allein im Enby-Zimmer. Das war super. Hoffentlich bekomme ich noch ein paar Tage…

oder Wochen. 🙂

7.20 Uhr Der Plan mit den Tagesterminen liegt noch nicht aus. Das macht mich fertig. Eigentlich gehe ich um kurz nach 7 dort ran und schreibe meinen Tagesplan fertig. Soll ich das in meine Spannungskurve schreiben, dass die Anspannung bei 90% liegt und die Pflegerin dadurch anprangern¹? Uncool! Mache ich trotzdem, aber das fühlt sich nicht richtig an. Übertreibe ich damit? Vermutlich! Aber so sieht’s in meiner Birne aus. Herzlich willkommen. Nimm dir ’n Stuhl und geniesse diese Achterbahnfahrt. Kotzen ist inklusive. Tüten kotz… äh kosten extra, sind aber Fairtrade und Bio. Vegan sindse nicht, wir wollen’s ja nicht übertreiben!

7.33 Uhr ich habe den Plan hingerotzt und komme trotzdem zu spät zum morgentlichen Stretchen auf’m Flur. So kann die Anspannung nicht runtergehen. Die Anschliessende Morgenrunde ist ein wenig lustig. Alle haben schlecht geschlafen, ausser ich. Ich glaube zumindest, dass meine Nacht ganz okay war. Wenn ich mir die Anderen so anhöre, fange ich aber an zu zweifeln…

7.45 Uhr Jetzt sollte ich eigentlichmit der Pflege meinen Tagesplan durchgehen, aber es sind noch 2 Leute mit Tagesplan vor mir. Die Pflegerin kommt mit der ersten Person raus, guckt uns an und sagt genervt:“ Wir haben 4 Leute mit Vorblick (so heisst der Durchgang mit der Tagesplanung). Sie könnten ja auch vor der Morgenrunde kommen.“ „Alter*! Was los mit dir?“, denke ich mir so und sage stattdessen:“ Wenn der Tagesterminplan vorher ausliegt, kann ich das gerne machen.“ Da geht sie gar nicht drauf ein. „Wer von Ihnen kommt um 7.15 Uhr?“ Ich: „Kann ich machen.“ Scheiss drauf. Wenn der Tagesterminplan dann noch nicht fertig ist, ziehe ich’s trotzdem so durch. Ich wünschte, ich wäre „Draussen“ und würde mich darüber aufregen, dass die Margarine schon wieder 5 Cent teurer geworden ist, stattdessen sowas…

8.10 Uhr Schnell das Frühstück reinpfeifen, damit ich nicht zu spät zu Musik komme. Ich freue mich auf Musik und habe gleichzeitig Angst davor, ohne Plan oder Vorgaben ein oder mehrere Musikinstrumente zu bespielen. Cool. Ich darf mir aussuchen, was ich zuerst benutzen will. Xylophon! Damit hört es sich immer gut an. Geiles Instrument! Nach 30 Minuten musizieren mit Xylophon und Hang Drum, darf ich mich, wie versprochen, 20 Minuten alleine mit der Handpan anfreunden. Komisches Gefühl. Ohne Anleitung kann ich einfach nichts. Ich brauche einen Grund und einen Plan, um mich „frei“ zu fühlen. Hat trotzdem Spass gemacht und ich werde es weiter versuchen, wirklich frei agieren zu können.

10.00 Uhr So! Jetzt endlich 2 Stunden nichts. Duschen und die Hühner besuchen ist angedacht. Aber keine Ahnung, warum meine Anspannung wieder auf die 90 zugeht. Da ist doch gerade nichts. Oder ist es genau das? So wird’s auf jeden Fall nie langweilig.

Und einen neuen Bettnachbar habe ich auch schon. Er scheint aber wenigstens nett zu sein. Mal schauen, ob und wann ich es schaffe, mich bei ihm zu outen. M. wird allerdings niemand ersetzen können.

14.00 Uhr Nach dem Mittagessen habe ich erst einmal im St. Pauli-Buch weitergelesen. S. kommt mich heute mit Kind und Hunde besuchen. Darauf freue ich mich schon sehr. Wir kennen uns schon seit über 10 Jahren und waren zusammen sehr viel tierrechtlerisch unterwegs. Das schweisst zusammen, wenn du zusammen auf Demos gehst, Infostandarbeit machst versuchst Nazidemos zu blockieren. Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass wir eine grosse Runde im Wald spazieren gehen und ich fast zu spät zu meinem Pflegegespräch komme. Punkt 16.00 Uhr komme ich abgehetzt zum Pflegeraum und muss dann 10 Minuten auf meine Bezugspflege warten. Toll. Da hätte ich mich auch noch vernünftig von den beiden verabschieden können…

16.40 Uhr Wir haben zum ersten Mal „Stabübungen“ gemacht. Dabei balancieren wir gegenüber gestellt die Enden der Stäbe zwischen unseren Handflächen, schliessen die Augen und gleiten zusammen durch den Raum. Und das ohne Anleitung. Einfach fliessen lassen. Wat!?! Ich bin total überfordert und frage mich die Ganze Zeit, ob das einen anthroposophischen Hintergrund hat. Eigentlich egal. Körperarbeit ist für mich genauso wichtig, wie mentale Arbeit. Ich möchte mehr Kontakt zu meinem Körper bekommen, aber ohne Anleitung? Und dann evtl. noch anthro-Style-mässig? Puh. Ich bleibe (noch) offen und will ja auch. Mal schauen, wie’s die nächsten Tage weitergeht. Erst einmal Globulis rauchen gehen…

Als ich draussen ankomme, stehen R. und meine Mom schon unten. Die Nachricht, dass sie da sind, wurde verschickt, als ich schon auf dem Weg war. Trotzdem erstmal quartzen. Soviel Zeit muss sein. Nach einem kleineren Spaziergang, wollen wir noch ins Cafè und kommen mal wieder ausserhalb der Geschäftszeiten an. Hinsetzen kann Mensch sich dort trotzdem.

19.00 Uhr Den abendlichen Spaziergang schenke ich mir heute. Lieber noch ein wenig im Bett schachten. Also Schach auf dem Handy zocken. Im Bett. Liegend!

Was für ein Tag, ey… Guts Nächtle!

¹Alleine aus antirassistischer Perspektive benutze ich das Wort „anschwärzen“ absichtlich nicht. Genauso, wie ich andere Worte nicht benutze, die „schwarz“ negativ darstellen.

Das ist übertrieben? Ist auch echt zuviel verlangt, eine schon vorhandene Alternative zu benutzen, du privilegiertes Arschloch!

Tag 14

Montag, 24.04.2023 – Spannungskurven und Spaziergänge

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung / innerer Druck

Meine Nacht war wie immer unruhig, aber ich hatte kein Sodbrennen. Die Musik auf den Ohren hilft aber. Gerade ist alles wieder sehr schwierig. Heute geht mein Bettnachbar und ich weiss nicht, wer ihn ersetzt. Wäre ja cool, wenn wir hier jetzt ein Enby¹-Zimmer hier hätten oder ich zumindest ein paar Tage für mich alleine hier habe.

7.30 Uhr In der Morgenrunde werden wieder Dehnübungen auf dem Gang gemacht. Das tut mir so gut. Warum bekomme ich das alleine nicht hin? Das ist so einfach und macht wach. Zeit dafür wäre auch im „normalem“ Alltag genug vorhanden. So einfach ist’s dann wohl doch nicht.

8.00 Uhr Die meisten meiner Mitpatient*innen beschweren sich über das Essen. Überwiegend ist das Mittagessen gemeint. Ich kann’s nicht nachvollziehen. Liegt das daran, dass die zu verwöhnt sind oder ich zu anspruchslos? Oder sind die veganen Varianten einfach besser? Egal. Mir schmeckt’s und ich bin froh, dass ich nicht „nur“ trockene Nudeln oder Kartoffeln bekomme.

8.30 Uhr Werken. Gerade der von Morgens bis Mittags ist mein Terminkalender voll und es gibt wenig Verschnaufpausen. Das erhöht den Druck sofort auf mindestens 40%. Da braucht nicht viel hinzuzu kommen, damit meine Spannungskurve im roten Bereich landet. Lasse ich mich mal überraschen, wohin die Kurve gejagt wird. Ich bin auf Fall froh, dass sich das jetzt mal genauer angeschaut wird. Innerer Druck ist schon sehr lange ein zentrales Thema bei mir. Aber gut, ich habe halt einige Baustellen und es muss erst einmal ausgesiebt werden.

11.00 Uhr Frisch geht’s ins Gruppengespräch. Nach dem Werken erst einmal die freie Zeit nutzen, mich rasieren und duschen. Das habe ich im Tagesplan gestern gar nicht beachtet, dass ich das ja auch gerne mal mache. In der heutigen Gruppe gibt’s kein akutes Thema, zumindest meldet sich niemand dafür. Jetzt dürfen alle mal etwas beschreiben, was sie gerade beschäftigt. Ich habe dann mal mein momentanes Fugenproblem erläutert. Jetzt ist der Knoten geplatzt! Nicht nur, dass ich meine Kontrolle eh schon schleifen lasse und doch ein paar Fugen „perfekt“ mitnehme, jetzt weiss es auch die Gruppe. Das macht mir enorme Angst. Was ist, wenn jetzt alle Masken fallen und es mir auch äusserlich ansehbar ist, dass ich nicht auf Fugen treten kann? Der Kontrollzwang hält die anderen Zwänge in Schach. Kacke!

13.00 Uhr Das Mittagessen war wieder gut. Jetzt erst einmal eine Runde spazieren gehen. Ab heute mache ich keinen Mittagsschlaf. Wow! Was für eine Quälerei. Egal. Ich versuch’s einfach. Einen Schritt vor, keinen zurück. Im Wald nebenan 10 Minuten in die eine Richtung und dann wieder zurück. Zum ersten Mal und dann schon 20 Minuten unterwegs gewesen. Und nicht gepennt! Und das ganz ohne Ziel. Ich bin sehr stolz auf mich. Ohne Grund und/oder Anleitung kann ich nichts. Ich möchte frei sein und dann bekomme ich noch nicht einmal das hin…

17.00 Uhr Nachdem ich spazieren war, war ich so mutig und habe mich aufs Bett gesetzt oder eher halb hingelegt und habe ein paar Seiten im 100 Jahre FC St. Pauli gelesen. Sehr interessant. Jetzt wird aber die Spannungskurve angeschaut. „Ihre Anspannung ist sofort so weit oben!?!“ „Japp!“ „Okay. Das behalten wir mal im Auge.“ In den ersten zwei Wochen war sie grundsätzlich noch Höher. Ich habe mich aber mittlerweile ein wenig eingewöhnt. Jetzt erst einmal wat ins Gesicht stecken. Und zwar etwas essbares.

18.30 Uhr Stationsversammlung und hey, ich brauche mich in nächster Zeit nicht fürs Kochen melden. Sehr gut! Dafür bin ich am Freitag im Spültrupp. Das ist aber okay für mich. Und das ich mithelfe, den Mittagstisch zu decken ist auch okay. Das wird eine gute Woche.

19.30 Uhr Ich gehe noch einmel eine kleine Runde in den Wald. Frische Luft schnappen und danach kann ich dann ruhigen Gewissens pennen. Wurde auch Zeit, ey!

¹“Enby“ ist eine Abkürzung für nichtbinär und wird so geschrieben, weil es sich so anhört, als sage Mensch die englischen buchstaben N und B. „nb“ als abkürzung kommt aus der black community und bedeutet „nonblack“.

Tage 12 + 13

Samstag + Sonntag,  22. + 23.04.2023 – Wochenende, 3 Punkte, Aufstiegskandidat und Spitzenreiter

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung, innerer Druck

Samstag
Meine Nacht war wie immer. Unruhig mit einen Hauch von Sodbrennen. Das war aber auch ein sehr aufregender Tag.

6.40 Uhr Aber worauf ich keinen Bock habe, ist das Aufwachen mit leichtem Druck auf der Birne. Soll ich jetzt Ibus erfragen oder wird’s nicht schlimmer?

7.00 Uhr Schnell den Wochenendplan geschrieben und die Medis abholen.

8.30 Uhr Schnell gefrühstückt und R. wartet auch schon vor der Klinik auf mich.

Und weg bin ich.

Sonntag
17.00 Uhr Wir fahren los, damit ich nicht kurz vor knapp in der Klinik ankomme. Schnell anmelden und dann raus, mit R. noch eine rauchen.

18.00 Uhr Abendbrot. Jetzt fängt wieder der „andere Alltag“ so langsam an. Das fühlt sich gut und sicher an. Mein Wochenende war sehr sureal, da wir 1. im Umzug sind und 2. bei Freund*innen, die seit Samstag im Urlaub sind, Katzensitting machen. Alleine der Kontrast vom Safe Space der Klinik zum „normalen“ Alltag würde ausreichen, um das Wochenende zu verwirren, aber das setzt noch zwei obendrauf. Durch die Umzugsvorbereitungen ist unsere alte Wohnung schon vollgestellt mit gepackten Umzugskartons.

18.30 Uhr kurze Wochenendrunde

19.00 Uhr Zeit, die Wochenenplanung auszufüllen und mich mit dem Spannungsbogen auseinander zu setzen. Dann trage ich mal ein paar Stündchen nach. Der innere Druck fing erst ab 14.00 Uhr an langsam zu steigen. Kurz vor 18.00 Uhr war er dann beim heutigen Höchststand von 60%. Kurz vorm roten Bereich.

20.00 Uhr Mein Bettnachbar M. verlässt uns morgen und lädt zum Kuchen und Kaltgetränk ein. M. hat sogar extra für uns sogar Partyhüte besorgt. War lustig. 🙂

21.00 Uhr Die Tagesplanung für morgen will noch soweit wie möglich ausgefüllt werden. Diese spontanen Pflegetermin-Übungen stressen mich. Den Tag so richtig planen kann ich erst morgens. Das nervt. Aber damit kann ich Gelassenheit üben. Sollte ich auch.

21.34 Uhr Gute Nacht! <3

Tag 10

Donnerstag, 20.04.2023 – Fugendruck und Fankultur

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

In der Nacht hatte ich mal wieder Sodbrennen, weil ich Abends die Pfoten einfach nicht von den Süssigkeiten lassen kann. Aber ich bereue nichts! Also das Sodbrennen schon, aber nicht die Süssigkeiten. „Merkste selber, ne?“ Ja, ist schon gut…

7.30 Uhr Heute hab ich’s mir verkniffen, vorher rauchen zu gehen. Allein mein Magen freut sich darüber. Dafür gab’s zwei Tassen Kaffee auf nüchternen Ma… lassen wir das! In der Morgenrunde bin ich wieder total verballert und muss stark überlegen, was gestern so war. Das ist gerade sehr erschreckend, wie schnell ich gerade Erlebtes vergesse. Ist ja aber auch viel und noch relativ neu.

8.30 Uhr Heute ist nicht mein Tag. Ich habe noch nicht einmal Lust aufs Werken. Das ist halt manchmal so. Als ich erst einmal an meinem Hocker weiterarbeite, kommt der Spass schon kurz vorbei gehuscht und die Stunde ist dann auch schon wieder vorbei. Morgen kann ich die Hockerbeine anfangen und es gibt wohl das erste Mal auch Muskelkater dazu.

9.00 Uhr Ab zu den Hühnern, Achtsamkeit üben. Jetzt habe ich ein wenig Zeit, kann auf dem Weg R. anrufen und wir können ein wenig quatschen. Die Bank, auf der ich immer sitze ist nass. Das bemerke ich natürlich erst, als ich darauf sitze. Und direkt gegenüber ist ein kleiner Vorbau unter dem trockene Stühle stehen. Erst einmal zuende telefonieren und danach die Hühner mit Gras füttern. Die alten Geier!

Unter dem Vorbau ist’s nicht das Gleiche. Ich kamaber auch nicht auf die Idee, den Stuhl neben die Bank zu stellen. Naturbetrachtung war heute nichts, aber ich hab’s ein wenig versucht und habe die Hühner beobachtet.

Auf dem Rückweg merke ich, dass es mir ganz gut tut, wenn ich die Fugensache ein wenig auslebe und doch ein wenig mehr darauf achte, die Fugen in meinem System, also entweder gar nicht oder die Fugen mit der Fussmitte zu treffen. Das nimmt ein wenig Druck raus, macht mir aber Angst, dass das Ganze dann total aus dem Ruder läuft. Auf jeden Fall werde ich das morgen in der Visite ansprechen.

10.45 Uhr Das erste Mal „Vorblick“. Verstehe nur nicht, warum das erst so spät ist. Das kann ja dann eigentlich nur für den kommenden Tag sein?

Ups! Falsch verstanden. Ich soll noch vor dem Frühstück zum Vorblick kommen und dann auch schon meine Liste fertig haben. Das ärgert mich sehr, dass ich da nicht alleine drauf gekommen bin. Irgendwas ist halt immer…

Für Freitag sieht’s so bei mir aus

  • 06.00 – Wecker
  • 07.00 – Medikamente + Tagestermine
  • 07.30 – Morgenrunde
  • 07.45 – Vorblick
  • 08.00 – Frühstück
  • 08.15 – Werken (bis 9.30 Uhr)
  • 10.00 – Musik
  • 11.00 – Visite
  • 12.00 – Mittag
  • 12.45 – Einkaufen
  • 16.00 – Kochen
  • 18.00 – Abendessen
  • 19.00 – Naturbeobachtung

Auf dem ersten Blick erschlägt mich das ganze Gebilde, aber der Plan tut mir unglaublich gut.

12.00 Uhr Mittagessen Ich kann mich kein bisschen übers Essen beschweren. Alles super und auch lecker. Klar, in den ersten Tagen ging häufiger etwas schief, aber das kenne ich nicht anders. Ich habe ja auch Sonderwünsche. Keine Ahnung, wie viele Menschen in dieser Klinik vegan leben. Auf meiner Station bin ich die einzige veganlebende Person und wir sind momentan 13 Leute. Uh, geile Zahl. Block 13 auf der Südtribüne. Und ich habe meine Dauerkarte einem Arschloch gegeben…

Jetzt erst einmal ein Stündchen (Haha!) schlafen.

15.15 Uhr Pflegegespräch – Zuerst quatschen wir darüber, wie meine Achtsamkeitsübung Namens Naturbeobachtung verlief und haben das einfach mal so stehen lassen. Heute ist einfach nicht mein Tag und ich habe das Beste daraus gemacht. Dann wird mir vorgeschlagen, dass ich mit der Naturbeobachtung aufhöre, da meine Bezugspflegerin und mein Therapeut glauben, dass es für mich gerade wichtiger ist, dass ich einmal Atem- und einmal Körperübungen mache, damit es mir einfacher fällt, unter Menschen zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich beim Einkaufen schon ein grundsätzlich hohes Anspannungslevel, bevor ich aus der Wohnungstür bin. Dass ich auf offener Strasse als „Scheiss Schwuchtel“ beschimpft wurde, ist noch gar nicht so lange her und sitzt tief. Ich will so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle und in der Masse verschwinden. Das geht aber nicht. Ich bin halt ein bunter Vogel ganz in schwarz gekleidet. Ich will beim Einkaufen Abstand haben, besonders an der Kasse. Dies ist in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Alle hetzen von Termin zu Termin, sind im Kopf schon ganz woanders oder haben anderen Stress. Ich versuche das so anzunehmen, aber, wenn ich die Person hinter mir schon Huckepack nehmen kann und dann noch ein “ Können Sie bitte abstand halten?“ rausquetsche, diese dann aber pampig reagiert, platze ich. Und werde beleidigend. Ich möchte dieser Person weh tun. Sie verbal zerstören. Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt. Blablabla.

Und hinterher? Ärgere ich mich bis zum geht nicht mehr, dass ich mal wieder mein Maul nicht halten konnte. Jedesmal das Gleiche.

Aber es gibt für mich momentan nur zwei Wege:

  1. Entweder, ich sag nichts und ärgere mich über die andere Person und mich, weil ich nichts gesagt habe.
  2. Oder ich ärgere mich über die Person, weil sie kacke reagiert und über mich, weil ich ausfallend und laut geworden bin.

Bei 1. ist die Gefahr, dass sich der innere Druck immer weiter anstaut und die Explosion die Menschen trifft, die damit gar nichts zu tun haben. Vor allem R. ist davon betroffen. Bei 2. ist der Druck wieder etwas runter, aber immernoch höher, als vor der auslösenden Situation. Eine weitere Situation kann dann schon ausreichen. Was soll ich schreiben? Es ist sehr anstrengend. Ich will Leichtigkeit. Ich will über diese Dinge oder Situationen stehen und auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber agieren. Wir versuchen hier alle „nur“ zu (über)leben.

15.39 Uhr C. von der KoFaS, ‚Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit’, und ich haben seit Montag versucht, bzgl. einer Anfrage für eine Zusammenarbeit miteinander zu telefonieren, aber es hat nicht sollen sein. Also hat mir C. jetzt eine fast vierminütige Sprachnachricht mit einer kleinen Beschreibung geschickt. Es geht um trans*-Fussballfans. Yeahi. Ich bin dabei! Läuft bei mir!

15.45 Uhr Ein Zettel für mich klebt an der Tür. Die morgige Musiktherapie muss verschoben werden. Entweder auf 11.00 Uhr oder auf Montag. AAAAH! Ich habe doch gerade erst alles geplant. Und die Zeit für die Visite ist eh schon wenig planbar, da nunmal viele Menschen nacheinander abgearbeitet werden. Ausserdem müssen wir uns ab Snfang der Woche in den Zeitplan der Visite eintragen und somit gibt es heute noch kaum freie Stellen. Ich habe mich extra für 11.00 Uhr eingetragen, damit das alles passt. Es könnte natürlich auch ein therapeutischer Test sein, aber wahrscheinlich ist der Therapeutin einfach etwas dazwischen gekommen. Ich habe dafür aber keine Energie. Dann muss Musik halt auf Montag „verschoben“ werden, bzw. morgen ausfallen. Hab mich so sehr darauf gefreut!

16.10 Uhr Nicht nur meine Eltern und mein Opa kommen zu besuch, sondern auch R. kommt kurz rum. Sie hat Unterlagen für die Kaution der neuen Wohnung, die ich unterschreiben muss. Was für ein Stress. Danke, dass du das alles managed. :-*

Ein wenig im Krankenhaus-Cafè zusammensitzen, Kaffee trinken und quatschen. Das ist schön.

20.47 Uhr Ich liege im Bett und schreibe diese Zeilen. Gute Nacht.

Tag 9

Mittwoch, 19.04.2023 – Kein Schlaf ist auch keine Lösung

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Heute habe ich keine Ahnung, wie meine Nacht war. Ich glaube okay, aber ich fühle mich ganz und gar nicht so. Auch kann ich mich ganz schwer daran erinnern, was gestern alles so war. Ich bin total durch’n Wind. Schon ein wenig erschreckend. So etwas hatte ich nur durch Beruhigungstabletten, weswegen ich lieber ein paar rauche. Beruhigungstabletten sind der letzte Schritt für mich.

7.45 Uhr Am Ende der Morgenrunde zieht eine Person ein Kärtchen und liest dann den Spruch des Tages für alle vor. Ich höre dort immer nur mit halben Ohr zu, aber heute habe ich mit zweieinhalb Ohren zugehört:

„Optimismus Wortschatz- Wie du mit dir selbst und anderen sprichst, prägt auch dein Denken: Unsere Worte bestimmen auch unsere Wahrnehmung – und zwar ganz schön machtvoll!“

Wow! Ich befasse mich schon seit Jahren mit Gewalt in der Sprache, aber so treffend habe ich das noch nie gehört. Und dann geht’s ja hierbei auch darum, wie gewaltvoll ich mit mir umgehe. Das gibt mir jetzt nochmal eine ganz andere Sichtweise auf den Umgang mit mir selbst. Ich bin radikal politisch korrekt, ausser, wenn es um mich geht. Da bin ich noch auf der Stufe, wie vor 10 Jahren. Das ist echt erschreckend! Ich dachte, ich bin in Sachen Selbstliebe weiter.Ich dachte ja auch, dass ich schon gefistigter bin, was meinen Umgang mit meinen Depresdionen und Zwänge angeht, aber das könnte einer der Gründe sein, warum ich doch wieder in der vollstationärer Behandlung bin.

8.15 Uhr Auf dem Weg zum Werken müssen wir durch die Kinderpsychiatrie. Dieser Gang ist immer schrecklich. So viele junge Menschen. Für viele wird dies nicht der einzige Aufenthalt in einer Psychiatrie bleiben. Für viele ist das vielleicht noch nicht einmal der Anfang. Meine erste depresdive Phase muss ich zwischen meinem 8ten und 10ten Lebensjahr gehabt haben, aber würde ich mir wünschen, dies schon so früh rausgefunden zu haben? Ich weiss nicht. Vieles wäre anders gelaufen, aber dafür wäre ich jetzt nicht dort, wo ich jetzt bin. Dies können traumatische Zeiten sein und hätte ich die gern schon als Kind gehabt? Ich weiss nicht. Es ist gut und wichtig, dass Kinder diese Möglichkeit haben. Aber es ist schrecklich so junge Menschen verzweifelt mit erwachsener Begleitung traurig im Flur stehen zu sehen. Es zerreisst mir das Herz.

9.40 Uhr Auf dem Rückweg wären wir fast von vorbeistürmendem Personsl umgelaufen worden. Alle waren total hektisch. Einige von ihnen haben gelacht, andere waren total ernst und sahen erschrocken aus. Als wir in den Fahrstuhl gestiegen sind, kamen dann auch welche durch die sich schliessende Tür gesprungen. „Sie müssen raus! Sie dürfen nicht mitfahren! Ach, ist egal. Macht schnell die Tür zu!“ Und die nächsten kamen angelaufen: „Nehmt uns auch mit!“ Auf der Station angekommen auf der wir alle aussteigen mussten kamen uns einige locker entgegen. „Ist schon gut. Alles erledigt.“

Ruck Zuck macht sich ein Jugendherbergs-Gefühl breit und dann auf einmal kommt der Schlag in die Fresse. Hier ist’s toternst. Das ist kein Spielplatz oder Vergnügungspark. Das hier ist harte Arbeit und beinhaltet krasse Schicksale. Dies ist ein Krankenhaus und wir versuchen hier alle „nur“ zu (über-)leben.

10.00 Uhr Und wieder gehe ich zu meiner Bank im Kräutergarten. Heute werde ich die Augen schliessen, im Hier und Jetzt bleiben und fühlen, wo mein Körper den Boden oder die Bank berührt. Den Wind auf der Haut spüren und hören. Das zwitschern und flattern der Vögel. Das Gurren der Tauben. Die vorbeifahrenden Autos und den Wind, der durch die Bäume fegt. Heute lief es besser als gestern. Das freut mich total. Im Gespräch danach sage ich auch nochmsl, dass es so schade ist, dass mir Achtsamkeit so gut tut und mir hilft, aber, sobald es mir schlechter geht, ich ohne Hilfe nicht darauf zurückgreifen kann. Ich will dies in besseren Zeiten weiter etablieren, damit ich in schweren Zeiten auch darauf zurückgreifen kann. Ich bin auf einem guten Weg, aber dies lässt sich auch nicht so einfach angewöhnen. Ich brauche meine Zeit dafür. So, wie andere, die ihre benötigen. Ich will mir diese Zeit geben, wie ich sie meinem Gegenüber auch geben würde.

11.00 Uhr Gruppengespräch. Die Schalkerin haut heute ab. Schade, ich mag sie. Und ich freue mich sehr für sie. Diese Stunde gehört ihr.

12.30 Nach dem Mittagessen kurz ausruhen und dann geht’s um

13.00 Uhr in die Einzeltherapie. Und das bei dem Therapeuten, der sehr sympathisch ist. Ich freue mich und stehe gleichzeitig sehr unter Druck. Ich erzähle ihm davon, dass mir am Montag aufgefallen ist, dass Fugen immer mehr Druck bei mir erzeugen, ihn aber auch gleichzeitig nehmen, wenn ich sie innerhalb meines Systems treffe. Mir ist bewusst, dass die Zwänge Sicherheit erzeugen sollen, aber, was mir gerade mehr Sorgen bereitet, ist der Gedanke, dass ich mir die Fugenproblematik extra ausgesucht habe und mir diesen Druck nur mache, um mich z.B. selbst zu ärgern. Oder, um mich wichtig oder interessanter zu machen. Oder, um mir die Berechtigung zu verschaffen, hier einen Platz einzunehmen. Oder warum auch immer. Wir haben sehr viel gesprochen. Ich habe momentan so viel, was irgendwie kompensiert werden muss und dafür habe ich die „Sicherheiten“ meiner Zwänge. Alleine die neue Situation mit einer neuen Klinik. Neuen Menschen. Neuen Zeiten. Neuen Aufgaben. Das muss alles irgendwo hin.

14.30 Uhr R. und ich können unseren neuen Mietvertrag abholen. Ich trage mich aus und nehme mir die drei Stunden Zeit, die mir täglich zur Verfügung stehen. Was für ein Tag. Ich konnte heute kein Schläfchen halten und hatte einen Termin nach dem anderen. Dafür haben wir im Anschluss noch gemütlich Döner gegessen.

18.00 Uhr Abendessen. Im Anschluss setze ich mich noch mit den 3 anderen aus unserer Kochgruppe zusammen und planen den Freitag. Ich habe da so keinen Bock drauf. Auch, wenn das Essen zufällig schon vegan ist. Was soll’s.

20.40 Uhr Heute habe ich es nicht geschafft, ein wenig etwas für den heutigen Blogeintrag vorzuschreiben, aber ich bin jetzt fertig, veröffentlich ihn, hau mir Musik auf die Ohren und schlafe dann gleich. Gute Nacht! :-*

Tag 8

Dienstag, 18.04.2023 – I can’t get no Desinfection

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

Die letzte Nacht war weniger unruhig als sonst, allerdings fühle ich mich 0 ausgeschlafen. Fühlt sich auch so an, dass eine Erkältung im Anmarsch ist. Bah!

7.30 Uhr In der Morgenrunde machen wir zuerst Stretch-Übungen auf’m Flur und das schön bei Bohrmaschinengeräuschen von einer anderen Etage und Menschen aus der Station nebenan, die vorbeihuschen. Danach eine schnelle Befindlichkeitsrunde.

7.50 Uhr Schnell die Tabletts verteilen. Ich gebe sie an und meine Tablett-Partnerin verteilt diese an die richtigen Plätze. So kann’s weitergehen.

8.25 Uhr Ich habe mich so darüber gefreut, dass ich heute nur Werken habe und jetzt stehe ich auf der Aufgabenliste für Übungen mit dem Pflegepersonal. Ist zwar nichts besonderes, aber ich war darauf nicht vorbereitet. Da ich, seit ich hier bin, von der Liste verschont geblieben bin, dachte ich, ich bekomme den ersten Termin erst nach meinem ersten Therapiegespräch und das ist erst morgen. Wat soll’s.

Die Naturübung tut mir bestimmt ganz gut. Ich setze mich alleine in den Wald oder ähnliches, schliesse die Augen und fühle mit meinen Sinnen, was mir so auffällt. Achtsamkeit ist mir wichtig und hilfreich. Wenn’s mir allerdings schlecht geht, kann ich auf nichts zurückgreifen und ich bin durch meine anderen 4 Aufentahlte in Kliniken echt gut gerüstet. In einem Ordner habe ich sämtliche Notizen und Edukations¹-Formulare und in einem Notfallkoffer, bzw. -Schuhkarton, habe ich viele Sachen, die mir gut tun. Dort gehe ich nie dran. Ich sollte dies etablieren und jeden Tag kurz rangehen, damit ich das vielleicht auch in schwereren Zeiten nutzen kann.

9.30 Uhr Nach dem Werken geht’s erst einmal zurück zur Station. Heute bin ich wieder einmal ins Schwitzen gekommen, aber dafür ist die Auflagefläche des Hockers auch schon rund. Ich fand’s schon immer schön, etwas zu erschaffen. Gerade, wenn viel Zeit und Schweiss investiert wurde, hat es auch emotionalen Wert. Ich freu mich schon den Hocker in unserer neuen Wohnung zu benutzen.

12.00 Uhr Das Mittagessen ist nicht das, was ich auf meinem Zettel angekreuzt habe, aber wir müssen unsere Zettel nicht abgeben, sondern gut sichtbar im Zimmer positionieren. Und heute stand die Essens-Managerin im Zimmer, als ich mir gerade mein Gesicht rasiert habe. Das war mir so unangenehm, weil ich dort oben ohne stand, weswegen ich gar nicht darauf kam sie auf meinen Zettel aufmerksam zu machen. Sie wollte nämlich wissen, was ich morgen essen möchte. Komisch. Aber gut, ist halt so. Bis jetzt hat alles super geschmeckt.

13.00 Uhr Ich gehe jetzt ein Stündchen (HAH! Wer’s glaubt!?!) schlafen, dann kann ich die Naturübung vollziehen und um 15.30 Uhr habe ich das Gespräch mit der Pflegerin.

14.30 Uhr Ich quäle mich aus dem Bett, nur, um meinen Gesprächstermin auf 17.00 Uhr zu verschieben. Ich bin so müde und kaputt.

15.50 Uhr Ich hab’s tatsächlich geschafft rauszugehen. Aber wohin soll ich jetzt? Wie kommt Mensch schnell in den Wald? Ich gehe einfach mal zur Rückseite und finde den Klinikgarten. Mhmm, gehe ich eben hier rein. Hauptsache Natur und Achtsamkeit. Achtsam zu sein war gar nicht so einfach. Habe ich schon sehr lange nicht mehr bewusst gemacht. Es fällt mir sehr schwer, mich auf einzelne Sinne zu konzentrieren. Ruck zuck bin ich Reizüberflutet und gehe nach 15 Minuten wieder rein. Das war das erste Mal seit meinem Einzug, dass ich etwas länger vor der Tür war. Rauchen zählt nicht und das Wochenende auch nicht. Momentan brauche ich viel Schlaf und versuche ihn mir zu genehmigen. Bin ja in der Klinik und die nächsten Wochen werden mich langsam aufbauen.

17.00 Uhr Ganze 5 Minuten hat das Gespräch mit der Pflegerin gedauert. Alles sehr unspektakulär. Ich soll mich morgen einfach auf einen kleinen Punkt oder ein Insekt konzentrieren und schauen, was drumherum ist. Find ich gut.

Da es um 18.00 Uhr Abendessen gibt, lohnt sich das hinlegen nicht, bzw. wäre es kontraproduktiv. Ich lese ein wenig im „100 Jahre St. Pauli“-Buch, welches echt gut geschrieben ist. Interessant ist es auch noch.

19.00 Uhr Jedesmal, wenn ich an den Seifenspendern das Wort Desinfektion lese, muss ich an das Lied Desinfection von den Rolling Stones denken…

I can’t get noooho

Desinfection

caus I try! and I try! and I try!…

Gute Nacht!

¹https://de.m.wikipedia.org/wiki/Psychoedukation „Psychoedukation ist eine systematische und strukturierte Vermittlung von wissenschaftlich fundiertem Wissen über zumeist psychische Krankheiten.“

Tag 7

Montag, 17.04.2023 – Danke Merkel!

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Schlafprobleme, Angespanntheit, Schizofrenie

Die beiden, die sich gestern fast gekloppt haben, stellten sich als eine schizofrene Person raus, bei der momentan die Medis umgestellt wurden. Das tut mir so leid. Mensch vergisst sehr schnell, wo wir hier sind. Das ist kein Ferien-Camp. Wir haben alle unsere Päckchen zu tragen.

6.30 Uhr Ich hatte mal wieder eine sehr unruhige Nacht und komme sehr schwer aus dem Bett. Der Mensch von gestern Abend steht auch schon wieder gefühlt unterm Fenster und disskutiert. Erst einmal Zähne putzen und dann eine rauchen.

7.15 Uhr Auf dem Rückweg vom Rauchhäuschen fällt mir auf, dass mir Fugen auf dem Boden ordentlich Druck mach, es aber auch gut den Druck nimmt, wenn ich sie in meinem System erwische. Der Kontrollzwang sorgt dafür, dass Aussenstehende nicht sehen dürfen, dass ich „bekloppt“ bin (ich benutze hier absichtlich ableistische Sprache, da es genau das ist, was in meinem Kopf vorgeht). Um das Ganze ein wenig in Einklang zu bringen habe ich ein spezielles System, wie ich Fugen erwischen muss. Das hatte ich schon ewig nicht mehr und ich habe Angst, dass ich das extra mache, um kränker zu sein. Damit ich so zu sagen eine Berechtigung für meinen Platz hier habe. Oder, um mich „wichtiger“ zu machen. Oder keine Ahnung. Ich mache mir zu viele Gedanken. Jetzt erst einmal ab in die Morgenrunde.

7.30 Uhr “ Mein Wochenende war eigentlich sehr schön, aber sehr anstrengend. Ich hatte eine sehr unruhige Nacht und worauf freue ich mich denn heute?… Auf das Ende des Tages!“ Theatralischer geht’s nicht, aber ich will diesen Tag einfach nur verpennen. Und zwischendurch rauchen…

8.00 Uhr Diese doch noch neue Umgebung und jetzt die noch hinzukommenden Termine, die alle ordentlich Druck aufbauen, machen mir gerade sehr zu schaffen. Ich bin schon einmal zu spät gekommen. Kacke! Heute habe ich zum ersten Mal Musiktherapie und habe gehört,  es gibt sogar ein Klavier. Da habe ich total Böcke drauf und gleichzeitig wahnsinnig Angst, zu versagen. Das ist mein erster Klinilaufenthalt, an dem ich total Spass an dem handwerklichen Zeug habe und jetzt noch Musik mit Klavier. Ein Traum. Hoffentlich geht das „Alb“ dieses Traumes in den nächsten Tagen bzw. Wochen flöten und ich kann das alles besser geniessen. Mir ist bewusst, dass ein Klinikaufenthalt harte Arbeit bedeutet, aber wenn ich schon die Chance habe, ordentlich Spass dabei zu haben, versuche ich kein schlechtes Gewissen zu haben, bzw. diesem schlechten Gewissen keinen Raum zu geben.

11.00 Uhr Gruppentherapie. Nach der kurzen Einführungsrunde, in der wir kurz unser Empfinden ansprechen, will ich unbedingt die Kacke mit den kack Fugen ansprechen. Das erhöht den hohen Druck gerade eh nochmals um einiges. Da ich mich aber auch nicht in den Mittelpunkt stellen will, warte ich noch ein bisschen, bis ich mich zu Wort melde. Tja. Da war jemand sehr schnell und wir kümmern uns in der Sitzung um sein Thema. Pech! Hoffentlich bekomme ich bald ein Einzelgespräch…

12.30 Uhr Jetzt zum Nachtisch erst einmal eine halbe Tafel Schoki inhalieren, dann Kopfhörer in die Ohren und noch eine Stunde pennen. Danach kann ich mich langsam fertig machen, um um 14.10 Uhr bei der Musitherapie zu sein. Ich stelle mir zwei Wecker. Einen auf der Uhr den anderen im Handy. So kann nichts schief gehen.

Die Tür springt auf, die Pflegerin kommt reingestürmt und holt mich aus’m Tiefschlaf. „Sie haben Musiktherapie! Sie werden erwartet!“ Ich gucke halb verschlafen auf die Uhr: Viertel nach! AAAAAH! Wie kann mir so etwas schon wieder passieren? Das darf nicht wahr sein. Echt nicht. Schnell anziehen, einen tiefen Schluck aus der Wasserflasche nehmen und dann ab dafür. Am liebsten würde ich an dem Therspie-Häuschen vorbeilatschen und abhauen. Das ist mir so unangenehm. Das bin nicht ich. Unterwegs schaue ich nochmal nach, ob die Wecker überhaupt geklingelt haben. Äh!?! 13.30 Uhr? Was ist da denn los? An der Tür werde ich schon mit einem vorwufrsvollem Blick erwartet. Dann stellt sich heraus, dass die Therapeutin die Uhrzeit in meinem Plan falsch eingetragen hat. Es lag nicht an mir? Jau. Puh! Jetzt ’ne Kippe. Oder ein Bett. Oder eine Kippe im Bett. Wie früher im Kinderzimmer.
Eigentlich hätte ich von 13.10 Uhr bis 13.50 Uhr Musik gehabt und wir quatschen kurz zum kennenlernen. Ich erkläre ihr, warum ich hier bin und was ich mir wünsche. Dann bekomme ich ein Xylophon vorgesetzt und wir Jammen einfach eine Runde. Sie begleitet mich mit dem Klavier. Das ist mir so peinlich, aber ich fange einfach an. Und es hört sich sogar richtig gut an. So richtig. Ich will gar nicht mehr aufhören. So gar nicht. Einfach nur geil. So etwas habe ich noch nie gemacht.

14.10 Uhr Ich liege im Bett und muss das alles erst einmal verdauen. Was für ein Chaos. [Nicht Anarchie! 😉 ]Anarchie bedeutet Herrschaftslosigkeit, Gleichberechtigung aller, keine Nationen und Grenzen. Utopie? Ja. Werde ich nie erleben? Auch ja. Na und? Ich will mir an meinem Sterbebett in die Augen gucken können und das könnte ich momentan. Natürlich lebe auch ich in meinen Augen nicht perfekt. Ich versuche in diesem System zu (über-)leben. Wie alle anderen auch. Dazu kann ich „Manifest“ von Früchte des Zorns empfehlen. Genau das!

15.30 Uhr Erst einmal ein Stündchen pennen…

17.30 Uhr Der Wecker holt mich schon das dritte Mal aus’m Schlaf. Dieses Stück Scheisse! (Das ist eine politisch korrekte Beleidigung!) Eigentlich würde ich auf das Abendbrot verzichten und bis morgen früh durchpennen, aber danach ist noch Stationsversammlung. Dann kann ich auch vorher aufstehen und etwas Essen. Ich habe jetzt auch endlich einen Termin für mein erstes Therapiegespräch. Und dann noch mit dem Arzt, der sehr sympathisch ist und der schon die Gruppentherapie leitet, die ich Montags und Mittwochs habe.

18.30 Uhr Auf der Stationsversammlung am Montag werden die Ordnungsdienste verteilt. Ich werde morgens die Frühstück-Tabletts verteilen. Aber auch nur, weil ich das nicht alleine machen muss. Ich kann mir schon keine Namen merken und schon gar nicht die Sitzordnung. Ich dachte mir, dass ich zwei Dienste ganz gut hinbekomme und meldete mich noch mit drei anderen für den Küchendienst. Müll entsorgen, Tische abwischen und so. Das ist easy.

Und dann kommt’s. Die allseitsbeliebte Kochgruppe, die am Freitag für alle kocht. Ich will nicht, aber die anderen auch nicht. Nachdem sich partout keine vierte Person finden lassen wollte, wurde ich weich. Ich habe klar gemacht, dass ich nichts unveganes anfasse oder zubereite. Damit sind die Leute einverstanden und ich bin dann nächste Woche erst einmal raus da und kann das nächste Mal Kochgruppe dann ein paar mal hinauszögern. Toll ey. Danke Merkel!

19.30 Uhr Oh! Hab ganz vergessen, dass ich heute noch nicht duschen war. So bin ich dann noch ein wenig länger aus’m Bett. Das kann nicht schaden.

21.00 Uhr Mein Bettnachbar macht noch Birds of Prey auf seinem iPad an und stellt es zwischen unsere Betten auf ein Nachtschränkchen. Gute Nacht.

Tag 6

Sonntag, 16.04.2023 – 2,3

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Behinderung, trans* Feindlichkeit, Tabakkonsum

Letzte Nacht konnte ich ganz schwer einschlafen. Das lag nicht nur am Umstand, dass ich mich verspätet habe. Jemand hat wieder geweint und zusätzlich hat mich der Tag total aufgewühlt. Es war so schön, gleichzeitig ist so viel los. Bevorstehender Umzug ab nächsten Monat und das Gefühl, dass ich R. alleine in diesem Chaos lasse. Ich werde 6 Wochen vom aktuellen Semester verlieren. Meine Rente läuft Oktober diesen Jahres ab und ich weiss nicht, ob ich wieder zum Amtsarzt muss.

Das war die Hölle für mich. Als ich 2018 die Rente beantragt habe, wurde diese abgelehnt, woraufhin ich Einspruch erhoben habe. Deswegen musste ich zum Amtsarzt. Dieser hat mich auseinander genommen, mich klein gemacht und ich habe mich auch noch total unterworfen. Danach war ich erst einmal nicht mehr zu gebrauchen. Deswegen habe ich einen Betreuer vom betreuten Wohnen beantragt. Ich gehe dort nie wieder alleine hin. Nie! Und was ist generell, wenn ich jetzt auf einmal keine Rente mehr bekomme? Das wäre echt uncool. Ich kann noch nicht wieder arbeiten gehen. Ich kann ja kaum einkaufen gehen, ohne , dass ich rumschreie oder beleidigend werde, bzw. jederzeit kurz vorm Explodieren bin. Ich hab Angst, das macht mich fertig. Kippchen? Jau! Und danach Mucke. Und rasieren. Und frühstücken. 2,3 Yeahi!

8.40 Uhr Musik beruhigt ungemein! R. schreibt mich gerade an, als ich fertig bin mit dem Frühstück. Dann mal eben abmelden… Im Fenster des Pflegepersonalraumes hängt wieder der Zettel „Bin gleich wieder da!“. Im Nebenraum wird umgeräumt, also ab zur Tür nebenan. An der hängt der Zettel „Bitte nicht stören, Gespräch (oder Therapie oder so ähnlich)“. Es hört sich nicht nach einer Unterredung an und wenn dies tatsächlich eins ist, fliegen dort ordentlich die Fetzen. Was mache ich jetzt? Ich kann da nicht anklopfen und hoffe, dass die Person zwischendurch mal um die Ecke schaut. Nach ca. 10 Minuten warterei, in denen sich immer mehr Druck aufbaut, kommt die Pflegerin rum: Warum klopfen Sie den nicht?“ Weil ich das respektieren möchte und muss, dass Sie nicht gestört werden will. Es ist so angezeigt. Natürlich habe ich mich gefragt, ob das Schild an der Tür vom letzten Gespräch dort noch hängt, aber ich bin gestern schon negativ aufgefallen. Wenn ich da jetzt etwas falsch mache, baut sich da zu viel auf einmal auf und ich werde noch unsicherer. Dann warte ich lieber. Damit kann ich erst etwas kaputt machen, wenn R. schon auf mich wartet, aber solange ich die Zeit habe, investiere ich diese dann halt und überlege bei Bedarf neu. Das Ende vom Lied ist, dass ich abhauen darf. Natürlich habe ich mich nochmal für gestern entschuldigt. „Wenn Sie das jetzt nicht erwähnt hätten, wäre es gar nicht aufgefallen!“ Das ist nicht Sinn der Sache und ausserdem werde ich das auch in der ersten Therapiesitzung ansprechen, dass mich so etwas Tage verfolgt und ich die nächsten Beurlaubungen wahnsinnig unter Druck stehen werde. Ausserdem will ich das geklärt haben.

9.30 Uhr noch eine ins Gesicht stecken und auf R. warten. Dieses Mal bin ich vom Frühstück so satt, dass ich kein zweites Frühstück zelebriere, aber Kaffee trinke, während R. frühstückt.

12.00 Uhr Wir haben’s tatsächlich geschafft, ein wenig für den Umzug umzuräumen und Kisten zu packen. Mein Kleiderschrank ist jetzt schon leer, dafür habe ich ja jetzt einen in der Klinik.

13.30 Uhr Zusammen mit anderen Punks St. Pauli in einer Cafè-Bar in Dortmund gucken. Puh! Ich dachte echt, das Spiel wird besser als das gestrige vom BVB. Fussballtechnisch kein gutes Wochenende.

16.30 Uhr Schön noch ein wenig kuscheln, Nussecken und Kuchen futtern und dabei in das Spiel Bremen gegen Freiburg reinschauen. Vielen Dank für dieses schöne Wochenende, liebe R.! :-*

18.30 Uhr Wenn mein Bettnachbar mir nicht Bescheid gesagt hätte, hätte ich beinahe auch noch die Stationsversammlung verpasst. Die Therapeutin ist sauer, weil mindestens 3 Leute zu spät zurückkamen. Das gab vor versammelter Mannschaft nochmal ’ne Ermahnung für alle. Und wegen gestern wurde ich extra erwähnt und angesprochen. Vielen Dank. Das habe ich gebraucht. Als wenn ich mir so nicht schon genug Vorwürfe machen würde. Natürlich kann sie nicht wissen, wie’s in meiner Birne aussieht, aber das ist doch schon längst geklärt gewesen. Ich habe es doch schon angesprochen. Gut, ich hätte den Ernst der Lage genauer ansprechen sollen. Dies habe ich dann in der Runde gemacht, in der wir kurz unser Wochenende zusammenfassen sollten. Sie hat mir dann mehrmals gesagt, dass ich mir keinen Kopp machen soll, da das ja auch meine erste Woche ist. Das weiss ich auch. Habe ich ja selbst auch so gesagt.

19.30 Uhr Draussen machen zwei Menschen lärm. Sie schreien beide mit krächzenden Stimmen unverständliches Kauderwelsch und werden immer lauter, unverständlicher und aggressiver. Ich will doch einfach nur pennen… Gut, dass ich meine Kopfhörer eingepackt habe und jetzt auch zum schlafen Mucke hören kann.