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Tag 36

Dienstag, 16.05.2023 – Igelbälle 4 Life

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Anspannung, Überforderung

(Bildbeschreibung: Foto von meinem Nachttischchen. Auf diesem ist eine Flasche Wasser, ein kleiner gelber Igelball, ein grüner grosser Igelball, eine Pflaume, eine Birne, Tattoo-Creme und ein grosses Buch zu sehen, auf dem ein kleineres Sudoku-Rätselbuch liegt.)

Gestern hat mir mein Zimmernachbar erzählt, dass er nächste Woche schon wieder abhaut und, dass der Arschlochtyp heute gehen muss. Kann nicht sagen, dass ich mich besonders darüber freue, aber leid tut mir das auch nicht. Wer weiss, wie der Ersatz wird?

6.00 Uhr Der Wecker klingelt. Und welches Lied läuft gerade? Caught out there von Kelis: „I hate you so much right now!“ Passt!

7.00 Uhr Ich bin sehr schlecht aus dem Bett gekommen. Die Nacht war auch wieder sehr unruhig und mit Albträumen bestückt. Ich sitze jetzt im Gemeinschaftsraum, schreibe meinen Tagesplan und trinke Kaffee. Als ich fertig damit bin, kommt Arschlochtyp rrin und setzt sich mir gegenüber. Ich frage ihn, wie er sich fühlt und wir quatschen ein wenig. Ich glaube, er ist nicht rechts, ist verzweifelt und hat einiges zu kompensieren. Mit unpassenden Sprüchen scheint er zudem die Aufmerksam zu bekommen, die er braucht. Das soll nichts entschuldigen, aber erklären. Ich spreche es aber auch nicht an und wünsche ihm alles Gute. Danach verpisse ich mich erst einmal in mein Zimmer. Bin froh und stolz auf mich. Das war natürlich nicht perfekt von mir, aber früher hätte ich ihm noch einige Seitenhiebe mitgegeben und wäre eklig geworden. Das hat gerade oberste Priorität. Ich werde nicht aufhören, mich gegen Diskriminierung und Gewalt generell einzusetzen, aber jetzt arbeite ich daran, dass ich es so ansprechen kann, wie ich mir mein Verhalten wünsche. Ruhig, sachlich, auf Augenhöhe (bis zu einem gewissen Grad), klar und eindeutig.

9.20 Uhr Ich hatte heute gar keine Lust auf Musik. Musik bringt mir so viel, das Musik machen kostet aber auch einiges. Heute war allerdings in den drei Runden, Xylophon, Klavier und Hang Drum, zwischendurch leicht, nicht zu denken und einfach zu machen. Das war echt super. Trotzdem fühle ich mich danach immer sehr geschafft. Bin froh, dass ich dort war und es trotzdem durchgezogen habe. Als ich auf mein Zimmer komme, gönne ich mir erst einmal eine Pause mit Schach im Bett.

11.45 Uhr Stabübung und der innere Druck steigt kontinuierlich seit Stunden an. Und mit wem darf ich das heute machen? Mit meiner Freundin, die mich am Donnerstag zum heulen gebracht hat. Uah! Eigentlich genau das Richtige. Ich muss mit ihr zurecht kommen und wer weiss, wie die Stabübung mit ihr läuft. Ich war immernoch sehr überfordert und wusste nicht so ganz, was ich machen soll, aber in der Mitte der Übung lief’s ganz gut. Glaube ich zumindest. Ich bin so froh, dass ich das jetzt hinter mir habe. Ich will’s ja weiter versuchen, aber es kostet auch immer wieder ordentlich Überwindung.

12.30 Uhr Nach dem Mittag schnell ins Bett. Ich bin echt fertig.

13.20 Uhr Ich gehe zum Pflegezimmer und frag nach, wo die medizinische Sprechstunde stattfindet. „Eigentlich hier, aber ich rufe die Frau Doktor mal an und frage nach, ob sie jetzt gerade überhaupt Zeit hat.“ Natürlich hat sie gerade keine Zeit und kommt Nachmittags auf mich zu. Also wird das nichts, weil ich nicht stundenlang auf Abruf bleibe. S. will mich am Nachmittag auch spontan besuchen und wir wollen mit Kind und Hunde eine kleine Runde durch den Wald. Gut, dann kann ich jetzt erst einmal weiterpennen. Das macht mich schon wieder fertig. Werken fällt diese Woche wegen Urlaub aus, der Feiertag kommt dazu und jetzt wird mir mein heutiger sehr voller Tagesplan wieder einmal kaputt gemacht. Dann schlafe ich halt.

14.30 Uhr Jetzt fängt Depri-Logik an. Ich quäle mich mal wieder aus dem Bett und gehe in Richtung Gemeinschaftsraum. Als ich unterwegs auf meinen Terminplan schaue, lese ich „fällt aus“. Echt jetzt? Bett!

16.00 Uhr Jetzt habe ich das Pflegegespräch. Meine Bezugspflege habe ich schon gesehen. Das wird also wohl stattfinden. Wenn nicht, könnte ich mich eigentlich ins Bett verziehen. Schon lange nicht mehr gepennt… Nein! Es findet statt. Wow! Wir gehen nochmal alles durch und schauen, ob wir etwas verändern müssen oder wollen. Alles super. Ich fühle mich gerade etwas zurückgeworfen, weil wir erst letzten Donnerstag eine neue, sehr tiefsitzende Baustelle geöffnet haben und diese Woche nicht ist, wie die letzten zuvor. Das macht mir gerade ordentlich zu schaffen, aber ich weiss ja, woher es kommt und versuche es so anzunehmen. Auch die (Ent-)Spannungskurve zeigt, dass es gerade etwas turbulent bei mir zugeht.

18.00 Uhr Vorm Spaziergang bin ich noch schnell in das kleine Lädchen und habe mir einen kleinen und einen mittleren Igelball geholt. Mal schauen, wie und wann ich diese einsetzen kann. Nach dem Spaziergang gibt’s Abendessen. Endlich ein festes Ritual, welches mir Halt und Sicherheit gibt. Fast! Meine Mitpatient*innen haben Tomate-Mozarella-Häppchen gemacht und einen Teller extra vegan gehalten. Aus Höflichkeit nehme ich mir zwei und integriere sie in mein Essen. Dabei ist mir aufgefallen, dass es gar kein Desinteresse an neuem ist, sondern auch beim Essen bei mit so bestimmte Abläufe existieren, die mir Sicherheit geben, solange sie nicht durchbrochen werden. Es gibt Abends drei Scheiben Brot und drei kleine Schälchen mit Aufstrich. Diese esse ich zuerst. Also zuerst deftig, dann das Süsse Zeugs. Dann kommt der wechselnde Salat und zum Schluss der Eiersalat. Als mir das Aufgefallen ist und der Druck schon wieder gestiegen ist, weil noch einige Häppchen übrig waren, habe ich das so kommuniziert, dass ich das gar nicht unlecker fand, aber mein Programm durchziehen möchte. Das wurde dann auch von allen verstanden und die Häppchen anderweitig verteilt. Das lief gut. Ich habe das nicht nur erkannt, ich habe es kommuniziert.

18.45 Uhr Ich sitze auf meinem Bett und denke so:“ Ach, du warst doch vorhin spazieren, dann kannste dich jetzt auch schon hinlegen.“ Boah, hau aaab! Ich ziehe das jetzt durch und mache meinen allabendlichen Spaziergang. 4 km in 42 Minuten. Geht doch. So, jetzt noch mit R. telefonieren, ab ins Bett und noch ein wenig Schachten. Oh, die ISS-App habe ich heute ganz vergessen. Einmal am Tag will ich dort reinschauen, also mache ich das noch. Gute Nacht!

Anny’s Ohrwurm des Tages:

Ashnikko – Clitoris! The Musical

Tag 35

Montag, 15.05.2023 – Ich bin so Wissenschaftsaffin, ich höre sogar Mathcore

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Tierausbeutung, Rassismus

(Beitragsbild: eine Fotonahaufnahme eines Teils von einem Bandshirt der Mathcore-Band IWrestledABearOnce, auf dem Yoda aus Star Wars zu sehen ist und der Bandname in Yodas Sprache abgebildet ist: A Bear Once I Wrestled)

Meine Nacht war gar nicht gut. Sehr unruhig, oft wach geworden, lange gebraucht, um wieder einzuschlafen, zweimal aufs Klo gemusst und Sodbrennen. BAH! Gestern Abend erzählt mir mein Bettnachbar, dass er gerne Angeln geht und, dass er kein Rassist sei, aber mit bestimmten Arten von Ausländern nichts zu tun haben möchte. „Ist so’n persönliches Ding.“ Dat kannste dir nicht ausdenken. Also schon, aber das ist so passiert. Schwör!

7.23 Uhr Ich sitze alleine im Gemeinschaftsraum und warte auf die Morgenrunde. Heute kam ich echt schwer aus’m Bett. Gut, dass diese Woche Werken ausfällt. Das bedeutet Morgens weniger Stress, aber auch 4 Tage, in denen der Hocker nicht weiterbearbeitet wird.
G. meine Sitznachbarin beim Essen kommt rein und fragt nach einer Zeitung. „Die aktuelle Tageszeitung kommt immer mit dem Frühstück zusammen.“ sag ich. Daraufhin kramt sie in der Zeitungsablage und holt sich eine „Rute und Rolle“. Eine Angelzeitung. Wer die wohl dort abgelegt hat? Ich könnte wahrscheinlich auch Anglerzeitung schreiben, das weiss ich aber nicht. Vielleicht schaue ich mir den Scheiss mal an. Jetzt liegt hier schon Tierqual-Propaganda rum. Ich könnte ja auch mal eine Tierbefreiung, Graswurzel Revolution oder ein Antifaschistisches Infoblatt auslegen? Für den Skeptiker mache ich keine Werbung, nachdem in der GWUP so viel Kacke passiert ( #GWUPGate #NoABA #GegenTransfeindlichkeit )¹. Keine Ahnung, ob ich zum zweiten Mal dort austrete. Ich warte jetzt die Mitgliedsversammlung am 20.05.2023 ab, weil ich weiss, dass dort einige coole Leute hinfahren. Ich habe gerade keine Kraft dazu. Solidarische Grüsse an die coolen GWUPler*innen!

8.10 Uhr Beim Frühstück geht’s um den SodaStream und, dass die ein neues Anschlusssystem für die Gasflaschen haben, damit mensch keine Alternativen dort anschliessen kann und ob sich wohl bald die ersten kleinen Firmen an diesen Verschluss austoben. „Da machen die sich dann aber strafbar, wenn das patentiert ist!“ ArschlochTyp:“ Das ist den Chinesen egal!“ Puh! Ich habe mich innerlich auf eine Ansprache vorbereitet, seitdem er mit am Tisch sitzt. Aber während ich „schnell“ nochmal darüber nachdenke, wie ich das nochmal anspreche und was er zuvor noch alles von sich gelassen hat, haben die schon lange ein neues Thema. Ich musste auch noch drüber nachdenken, ob das Thema nicht zu „grauzonig“ für meine Ansprache beim ArschlochTypen ist. Nein, ist’s nicht, aber ich habe zu lange darüber nachgedacht. Verdammt! Das nächste Mal kommt bestimmt. Leider!

12.00 Uhr In der Gesprächsgruppe ging’s heute um Zwänge. Ich hätte da einiges zu beitragen können, aber jedesmal, wenn ich sagen wollte, dass ich für mich Ticks/Schrulligkeiten erst Zwänge nenne, wenn sie mich negativ beeinflussen, einschränken oder ähnliches, war jemand anderes schneller oder ich musste drüber nachdenken, ob ich mit diesem Satz anderen etwas abspreche. Ich will auch gar nicht so viel Platz einnehmen. Ich bin mir nicht sicher, was ich von der Runde halten soll. Sie war auf jeden Fall sehr aufwühlend. Nach dem Essen erst einmal eine Runde pennen mit lauten Bohrgeräuschen im Hintergrund. Die Klinik ist ja schon länger eine Baustelle. Beim Tinnitus ist der Vorteil, dass er durchgehend ist, das Bohrgeräusch macht mir zu viele Pausen und ist ja auch nachmittags fertig…

15.18 Uhr Ich warte in der Küche auf meinen Therapeuten, trinke einen Kaffee und spiele Schach auf dem Handy. Wir hatten uns für ab 15.00 verabredet und ich weiss nicht, in welchem Zimmer er gerade sitzt. Als er um die Ecke kommt, grinst er mich an und nickt mit dem Kopf. Ich mag ihn. Cooler und sympathischer Typ. Es geht um eine Verlängerung um 2 Wochen und um Migräne-Medis. Kurz und knapp: Wir denken beide, dass anhand der neu eröffneten Baustelle mit den Mikroaggressionen eine Verlängerung richtig wäre. Bezüglich der Medikation trage ich mich im Anschluss auf die Liste für die medizinische Sprechstunde an der grossen Orgatafel ein. Läuft…

17.55 Uhr Ich habe mich nach dem Gespräch aufs Bett gelegt und einfach nur Musik gehört. Ich hätte auch nichts gegen Schlafen gehabt, aber das war mal eine ganz neue Erfahrung. Ab 18.00 Uhr gibt’s Abendbrot.

18.30 Uhr Während ich auf die anderen warte, blättere ich die Anglerzeitung durch. Keine einzige weiblich gelesene Person. Eine Urmenschen-Zeitung, richtig schön oldschool. Harter Männersport für harte Männer! Angeln ist kein Sport, Angeln ist Tierquälerei und Mord. Ich bin dahingehend sehr extrem, aber ich kann und will mir nicht vorstellen, dass es den Lebewesen gut tut, mit einem Haken im Maul am eigenen Gewicht hochgezogen zu werden. Sorry! Bin da doch sehr voreingenommen. Ach so, und Mord ist’s ja auch noch. Selbst, wenn die Fische aus dem Wasser getragen würden. Auch dahingehend bin ich sehr voreingenommen…

18.50 Uhr Gerade ist die Stationsversammlung, bei der die Wochenjobs vergeben werden, vorbei und im Anschluss wird nochmal nachgefragt, ob es allgemeine Anmerkungen oder Wünsche gibt. Ich bin so stolz auf mich, dass ich einen kleinen Anfang geschafft habe, indem ich angesprochen habe, dass ich ständig in den Gemeinschaftsräumen die Lichter ausmache, wenn sich dort niemand aufhält und darum gebeten, dass alle mal darauf achten. Es gab entweder Zustimmung oder Enthaltungen. Naja, ist ja auch ein polarisierendes Thema. Ich habe den ersten Schritt geschafft. Apropos Schitte: Ich zwinge mich jetzt zu einem Spaziergang im Wald. Auch das habe ich ab Donnerstag schleifen lassen.

20.45 Uhr 40 Minuten gelatscht, mit R. telefoniert, noch eine gequalmt und jetzt ab ins Bett. Gute Nacht! :-*

Anny’s Ohrwurm des Tages:
Iwrestledabearonce – Danger in the Manger
https://youtu.be/o_6lI1t0qMM (Der keyboardspielende Hund ist der coolste!)
Wikipedia:
„Iwrestledabearonce (abgekürzt IWABO) war eine 2007 gegründete Mathcore-Band aus Shreveport, Louisiana, die beim deutschen Label Century Media unter Vertrag stand. Ihre Musik ist eine Mischung aus Jazz, Swing, Electronic und Deathcore. In ihrer Karriere veröffentlichte die Band eine EP und vier Alben. Iwrestledabearonce trennten sich im Jahr 2016.“

¹ GWUP-mässig kann hier nachgelesen werden, was da so los ist: https://mela.de/blog/2022/12/16/transfeindlichkeit-und-die-gwup/ (mit weiterführenden Links zum Thema ABA.)

Wochenende Nr. 5

Samstag und Sonntag, 13. + 14.05.2023 – 666 That’s the Number of my Chess-Points

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Schlafprobleme, Angespanntheit

(Beitragsbild: Screenshot aus der Chess.com-App – auf der unteren Hälfte sind die obersten 2 Reihen eines Schachbretts mit mehreren weissen Schachfiguren zu sehen, in der oberen ist ein fast voller Ladebalken und dort drüber die Zahl 666 zu sehen)

Ker, wat ein produktives Wochenende, ey. Gestern viel in der neuen Wohnung geschafft und heute in der alten. Wir haben gestern sogar zum ersten Mal in der neuen Wohnung geschlafen. Schön, im Bett Fussball geguckt, bzw. während dessen eingeschlafen. Dortmund habe ich halbwegs noch mitbekommen, St. Pauli leider gar nicht mehr. Meine Nacht war auch wieder einmal sehr unruhig und R. hatte dadurch eine sehr kurze. Ich war heute Morgen allerdings nicht ganz so gerädert.

Samstag

7.00 Uhr Warum sollte ich heute um 6.30 Uhr oder so aufstehen? Da bleib ich lieber noch ein wenig liegen. Mein Bettnachbar bleibt mir aber zu lange liegen, weswegen ich dann doch eher als er aufstehe. 7 reicht aber völlig. Wir haben’s ja abgemacht, dass ich das Licht in der Waschbeckenecke anmachen kann. Ganz gemütlich Zähne putzen und danach duschen gehen. Danach habe ich dann noch genügend Zeit, meinen Wochenendplan zu kontrollieren und auszufüllen. Einen gemütlichen Kaffee kann ich auch noch dazu trinken.

7.45 Uhr Der Wagen mit den Frühstücktabletts steht schon bereit. Cool! Dann verteile ich mal das Zeugs. Ich bin schon bal in meiner sechsten Woche und kann mir immernoch nicht alle Namen und die Sitzplätze merken. Und das, obwohl ich jeden Morgen das Essen verteile. Egal, gibt wichtigeres! Zum Beispiel futtern. Während ich die Tabletts verteile, fällt mir auf, dass es sein kann, dass sich am Wochenende alle selbst die Tabletts aus dem Wagen nehmen, weil nicht alle bis zum Frühstück hier sind. Verdammt! Was mache ich denn jetzt? Ich habe die Verantwortung für das Zeugs übernommen, als ich’s verteilt habe! Noch hat mich niemand gesehen. Ich könnte sie wieder zurückstellen, aber, wenn mich dann jemand damit sieht, dann wird’s peinlich. Ich könnte auch einfach nachfragen, aber, wenn mir dann gesagt wird, dass die Tabletts nicht verteilt werden, kann ich die eine hälfte nicht einfach so stehen lassen und es gibt Zeugen. Einfach weglaufen wäre das einfachste, aber ich will frühstücken! Puh. Einfach jetzt hinsetzen und so tun, als wenn ich den halben Tisch nicht gedeckt habe? Was ist, wenn das aber schon jemand mitbekommen hat? Dann muss ich nachher Rede und Antwort stehen. Ich ziehe das jetzt durch und mache den Tisch fertig.

7.50 Uhr Ich sitze am fertiggedeckten Tisch und esse in Ruhe. Was ist, wenn das doch jemand mitbekommen hat? Das lässt mich nicht in Ruhe. Mal schauen, was die Leute sagen, wenn sie hier reinkommen, dann kann ich immernoch spontan darauf reagieren. Vielleicht tue ich doch einfach so, als hätte ich den Tisch schon so vorgefunden… Die sind alle noch so verballert, dass es den meisten gar nicht auffällt, was hier passiert ist. Dann kann ich ja beruhigt weiterfuttern. Oder? Ich mach einfach. Keine Ahnung, wie ich nächstes Wochenende damit umgehe. Muss ich mir auch jetzt noch keine Gedanken drüber machen. Das ist das Problem des*der zukünftigen Anny’s.

8.30 Uhr Und Tschüss!

Sonntag

17.50 Uhr Ich laufe schnellen Schrittes und voller Angst davor, doch zu spät zu sein zum Pflegebüro. „Hallo, ich wollte mich zurückmelden!“ „Hallo, Anny Nachname, schön Sie zu sehen.“ „Danke, dito!“ Puh, alles gut. 18.00 Uhr ist richtig und ich bin nicht zu spät. Jedesmal die gleiche Scheisse. Aber, was ist, wenn es einmal anders läuft und ich bekomme das nicht mit? Das macht mich fertig. R. hat mir im Auto auch schon gesagt, dass ich nicht zu spät dran bin, aber, wenn das so einfach wäre, wäre ich nicht öfter mal in der Klappse. Vielleicht kann ich auch da mal dran arbeiten, aber bei den ganzen Baustellen, bin ich froh, wenn wir irgendwas abgearbeitet bekommen. Gefühlt ist andauernd etwas Anderes im Vordergrund und benötigt aufmerksamkeit. Ich bin aber sehr froh, dass wir hier und jetzt den inneren Druck und mein Problem mit den Ansprechen von Scheisse, ohne, dass ich in die Luft gehe, anschauen. Das scheint es auf jeden Fall schon sehr nötig zu haben. Oder ich. Oder wir. Also, das Problem und ich. Also, du weisst schon…

18.30 Uhr Alle Taschen sind aus- und Schrank ist eingeräumt. Ich liege aufm Bett und schachte ne Runde. Plötzlich geht der Gong. Kacke! Beinahe zu spät zur Wochenendrunde gekommen. Ich war aber nicht die einzige und letzte Person, weswegen der Gong wohl auch benutzt wurde. Die Runde ist kurz und schmerzlos, da wir 1, 2 positive Sachen vom Wochenende erzählen und kurz unsere Nacht ansprechen sollen. Jetzt erst einmal eine Abschluss-Kippe ins Gesicht stecken. Ich gehe extra hinten raus, weil dort immer weniger los ist. Nur nicht heute. Egal, das erste Häuschen ist meistens besetzt, gehe ich halt zum zweiten um die Ecke. Alter*! Verarschen? Gehe ich halt… Okay hinten ist’s gerade einfach voll. Dann drehe ich mir eine im Gehen und schlendere halt zum Haupteingang. Hier kann ich mich wenigsten an einen Aschenbecher stellen und in Ruhe ein paar Züge geniessen. Am schlimmsten sind allerdings die Fugen am Haupteingang. Das ist immer unangenehm. Egal. Im Innenhof kann ich mich mittlerweile fallen lassen und nur die heilen Steine betreten, ohne die Fugen zu berühren. Das nimmt ordentlich Druck raus. Überall sind zwar Fenster, aber wo sollte ich das denn sonst ausleben, wenn nicht hier? Gute Nacht! <3

PS: Schlake, vielen Dank für nichts! 🙂

Tag 31

Donnerstag, 11.05.2023 überfahrene Leichtigkeit

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, Gewalt in der Sprache, Rassismus, Angespanntheit

Meine Nacht war dieses Mal nicht ganz so unruhig, aber dafür hatte ich wieder ordentlich Albträume. Keine Ahnung, was mir lieber ist. Egal, ich fühle mich fit und ich halte mich daran fest.

6.33 Uhr Ich sitze wieder im Gemeinschaftsraum, trinke Kaffee und schaue mir die Gefühlsliste an. Diese kann ich auch echt gut gebrauchen, wenn ich Abends den Tag nochmal durchgehe. Dies möchte ich jetzt regelmässig machen und mir die schönen Dinge des Tages in meinen Tagesplan schreiben. Kacke! So eine Depression und/oder anderweitige psychische Erkrankungen können ganz schön aufwendig sein.

9.30 Uhr Nach dem Werken gehen wir vor die Tür und rauchen eine. Das ist das Ritual, welches wahrscheinlich schon seit Generationen weitergegeben wird. Plötzlich kommt eine Person dazu, die mir schon länger mit Sprüchen auf den Sack geht. Ein junger Typ, der zu allem etwas zu sagen hat. Immer ganz charmant, freundlich und einen lockeren Spruch auf den Lippen. Folgendes Gespräch: Typ:“ Die neue ist schon mit ihrem Mann da und wartet darauf, dass ihr Zimmer frei wird.“ „Wie alt ist sie?“ „Konnte ich nicht erkennen. Sie trägt einen Turban. Ha! War nur Spass blablablabla“ (Anm. der Readktion: Sie trägt ein Kopftuch!) Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diesen Typen noch aushalte? Ich will hier gesunden und mich nicht auf politische Diskussionen einlassen. Ich kann das gerade echt nicht. Alle anderen anscheinend auch nicht. Ich muss dahingehend etwas machen. Es dauert nicht mehr lange und er bringt mich zum explodieren. Das soll hier doch mein Safespace sein.

10.30 Uhr Schnell duschen und ab ins Pflegegespräch. R. hat mich die letzte Woche darin bestärkt meine Probleme mit der Gewalt in der Sprache meiner Mitpatient*innen anzu sprechen. Dies wollte ich eigentlich gestern im Einzelgespräch mit meinem Therapeuten machen, nutze aber jetzt meine echt liebe und auch professionelle Bezugspflege. Das ist verdammt schwer, aber ich spreche es an. Sie ist auch sofort bei mir und versteht, warum ich mir das hier nicht erlauben will, gewaltvolle Sprache generell anzusprechen. Wo sollte ich da die Grenze ziehen? Kann und will ich nicht. Auch das versteht sie. Wir wollen jetzt genauer drauf schauen und dafür sorgen, dass ich mir einen Schutzschild aufbaue. Die erste Stufe ist dieser, dass ich mich nicht selbst betreffende Diskriminierung besser wegstecke und danach folgt die Stufe mit mich direkt betreffender Diskriminierung. Ich bin so stolz auf mich, dass ich das jetzt angesprochen habe. Vielen dank R.! Du bist jemand ganz besonderes!

14.30 Uhr J., eine Regisseurin aus Berlin ruft mich an. Es geht um ein Vorgespräch für einen 3-Minuten-Film, der nochmal in drei 1-Minüter aufgeteilt und für Social Media aufbereitet wird. Es geht um trans*- und nichtbinäre Fussball-Fans und was wir im und um das Stadion so erleben. Das Gespräch lief super und ich werde bald nach Berlin fahren. Vielen Dank an die KoFaS (http://www.kofas-ggmbh.de/), die Ihre Pfoten da im Spiel hat. Ich freue mich schon sehr darauf.

17.23 Uhr Ich bin auf dem Weg zur Skillsgruppe. Ab in den Fahrstuhl, hoch in den 09ten Stock. Geil! Unterwegs steigt noch eine Person mit Kind ein. Als der Fahrstuhl im 09ten anhält sagt die Person zum Kind:“ Wir steigen hier nicht aus, aber der Herr.“ Ich dachte jetzt Jahre, ich bin nichtbinär. Vielen Dank für die Klarstellung! Genau das habe ich gebraucht.

20.21 Uhr Ich liege überfahren im Bett und frage mich, was da soeben passiert ist. Die Skillsgruppe um 17.30 Uhr war sehr informativ und hilfreich, aber wir haben überzogen. Eigentlich gibt’s um 18.00 Uhr Abendessen. Gut, Donnerstags halt nicht. Habe ich mich schon dran gewöhnt, aber nicht, dass wir erst um kurz vor 19.00 Uhr im Speisesaal ankommen. Während ich mir meine zweite Kniffte schmiere fällt mir ein, dass ich um 19.00 Uhr noch meinen Spannungsbogen mit der Pflege durchgehen muss. Ich dachte dann:“ Ach schnell mal eben durchhauen und dann wieder futtern.“ Ich habe aber nicht mit der Pflegerin gerechnet. Sie ist echt nett und herzlich, aber wenn ihr etwas nicht passt, kann sie knallhart sein. Und, als wir spannungsbogenmässig beim Werken ankamen, dachte ich noch so:“ Soll ich die Rassismusbegegnung jetzt bei ihr auch nochmal ansprechen?“, und dachte dann, dass es ja zur Spannung beigetragen und den restlichen Tag dahingehend beeinflusst hat. Ich spreche das also an und sie wird sofort ganz komisch, von wegen „Das ist doch ihre Pflicht, das anzusprechen!“ und “ Warum haben Sie denn Angst vor eventuellen Konsequenzen?“, „Draussen gibt’s auch keinen Safespace!“ und so etwas. Ich war am brodeln. Irgendwann sagte ich dann nur noch:“ Nö!“ Und, als sie fragte, ob noch was war, habe ich gesagt:“ Das können Sie hier ja lesen.“ Ich wollte einfach nur noch weg. Hab dann auch irgendwann angefangen zu heulen. Im Nachhinein haben wir dann nochmal drüber geredet, dass das eh mein grosses Ding ist und dass ich mir Leichtigkeit wünsche und ein Schutzschild benötige. Ich glaub, das war ganz gut, muss das aber noch sacken lassen. Damit habe ich nicht gerechnet. Bin ein wenig überfahren, fühle mich aber leichter. Aber eine Frage werde ich nie vergessen:“ Warum müssen Sie sich denn rechtfertigen, wenn sie Scheisse ansprechen?“ (Anm. der Redaktion: Dies ist nicht der genaue Wortlaut der Pflegerin!) Ich glaube , sie hat’s echt drauf und ich hasse sie nicht, muss darüber aber noch 1, 2 Jahre schlafen…

Gute Nacht!

Tag 14

Montag, 24.04.2023 – Spannungskurven und Spaziergänge

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung / innerer Druck

Meine Nacht war wie immer unruhig, aber ich hatte kein Sodbrennen. Die Musik auf den Ohren hilft aber. Gerade ist alles wieder sehr schwierig. Heute geht mein Bettnachbar und ich weiss nicht, wer ihn ersetzt. Wäre ja cool, wenn wir hier jetzt ein Enby¹-Zimmer hier hätten oder ich zumindest ein paar Tage für mich alleine hier habe.

7.30 Uhr In der Morgenrunde werden wieder Dehnübungen auf dem Gang gemacht. Das tut mir so gut. Warum bekomme ich das alleine nicht hin? Das ist so einfach und macht wach. Zeit dafür wäre auch im „normalem“ Alltag genug vorhanden. So einfach ist’s dann wohl doch nicht.

8.00 Uhr Die meisten meiner Mitpatient*innen beschweren sich über das Essen. Überwiegend ist das Mittagessen gemeint. Ich kann’s nicht nachvollziehen. Liegt das daran, dass die zu verwöhnt sind oder ich zu anspruchslos? Oder sind die veganen Varianten einfach besser? Egal. Mir schmeckt’s und ich bin froh, dass ich nicht „nur“ trockene Nudeln oder Kartoffeln bekomme.

8.30 Uhr Werken. Gerade der von Morgens bis Mittags ist mein Terminkalender voll und es gibt wenig Verschnaufpausen. Das erhöht den Druck sofort auf mindestens 40%. Da braucht nicht viel hinzuzu kommen, damit meine Spannungskurve im roten Bereich landet. Lasse ich mich mal überraschen, wohin die Kurve gejagt wird. Ich bin auf Fall froh, dass sich das jetzt mal genauer angeschaut wird. Innerer Druck ist schon sehr lange ein zentrales Thema bei mir. Aber gut, ich habe halt einige Baustellen und es muss erst einmal ausgesiebt werden.

11.00 Uhr Frisch geht’s ins Gruppengespräch. Nach dem Werken erst einmal die freie Zeit nutzen, mich rasieren und duschen. Das habe ich im Tagesplan gestern gar nicht beachtet, dass ich das ja auch gerne mal mache. In der heutigen Gruppe gibt’s kein akutes Thema, zumindest meldet sich niemand dafür. Jetzt dürfen alle mal etwas beschreiben, was sie gerade beschäftigt. Ich habe dann mal mein momentanes Fugenproblem erläutert. Jetzt ist der Knoten geplatzt! Nicht nur, dass ich meine Kontrolle eh schon schleifen lasse und doch ein paar Fugen „perfekt“ mitnehme, jetzt weiss es auch die Gruppe. Das macht mir enorme Angst. Was ist, wenn jetzt alle Masken fallen und es mir auch äusserlich ansehbar ist, dass ich nicht auf Fugen treten kann? Der Kontrollzwang hält die anderen Zwänge in Schach. Kacke!

13.00 Uhr Das Mittagessen war wieder gut. Jetzt erst einmal eine Runde spazieren gehen. Ab heute mache ich keinen Mittagsschlaf. Wow! Was für eine Quälerei. Egal. Ich versuch’s einfach. Einen Schritt vor, keinen zurück. Im Wald nebenan 10 Minuten in die eine Richtung und dann wieder zurück. Zum ersten Mal und dann schon 20 Minuten unterwegs gewesen. Und nicht gepennt! Und das ganz ohne Ziel. Ich bin sehr stolz auf mich. Ohne Grund und/oder Anleitung kann ich nichts. Ich möchte frei sein und dann bekomme ich noch nicht einmal das hin…

17.00 Uhr Nachdem ich spazieren war, war ich so mutig und habe mich aufs Bett gesetzt oder eher halb hingelegt und habe ein paar Seiten im 100 Jahre FC St. Pauli gelesen. Sehr interessant. Jetzt wird aber die Spannungskurve angeschaut. „Ihre Anspannung ist sofort so weit oben!?!“ „Japp!“ „Okay. Das behalten wir mal im Auge.“ In den ersten zwei Wochen war sie grundsätzlich noch Höher. Ich habe mich aber mittlerweile ein wenig eingewöhnt. Jetzt erst einmal wat ins Gesicht stecken. Und zwar etwas essbares.

18.30 Uhr Stationsversammlung und hey, ich brauche mich in nächster Zeit nicht fürs Kochen melden. Sehr gut! Dafür bin ich am Freitag im Spültrupp. Das ist aber okay für mich. Und das ich mithelfe, den Mittagstisch zu decken ist auch okay. Das wird eine gute Woche.

19.30 Uhr Ich gehe noch einmel eine kleine Runde in den Wald. Frische Luft schnappen und danach kann ich dann ruhigen Gewissens pennen. Wurde auch Zeit, ey!

¹“Enby“ ist eine Abkürzung für nichtbinär und wird so geschrieben, weil es sich so anhört, als sage Mensch die englischen buchstaben N und B. „nb“ als abkürzung kommt aus der black community und bedeutet „nonblack“.

Tage 12 + 13

Samstag + Sonntag,  22. + 23.04.2023 – Wochenende, 3 Punkte, Aufstiegskandidat und Spitzenreiter

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Anspannung, innerer Druck

Samstag
Meine Nacht war wie immer. Unruhig mit einen Hauch von Sodbrennen. Das war aber auch ein sehr aufregender Tag.

6.40 Uhr Aber worauf ich keinen Bock habe, ist das Aufwachen mit leichtem Druck auf der Birne. Soll ich jetzt Ibus erfragen oder wird’s nicht schlimmer?

7.00 Uhr Schnell den Wochenendplan geschrieben und die Medis abholen.

8.30 Uhr Schnell gefrühstückt und R. wartet auch schon vor der Klinik auf mich.

Und weg bin ich.

Sonntag
17.00 Uhr Wir fahren los, damit ich nicht kurz vor knapp in der Klinik ankomme. Schnell anmelden und dann raus, mit R. noch eine rauchen.

18.00 Uhr Abendbrot. Jetzt fängt wieder der „andere Alltag“ so langsam an. Das fühlt sich gut und sicher an. Mein Wochenende war sehr sureal, da wir 1. im Umzug sind und 2. bei Freund*innen, die seit Samstag im Urlaub sind, Katzensitting machen. Alleine der Kontrast vom Safe Space der Klinik zum „normalen“ Alltag würde ausreichen, um das Wochenende zu verwirren, aber das setzt noch zwei obendrauf. Durch die Umzugsvorbereitungen ist unsere alte Wohnung schon vollgestellt mit gepackten Umzugskartons.

18.30 Uhr kurze Wochenendrunde

19.00 Uhr Zeit, die Wochenenplanung auszufüllen und mich mit dem Spannungsbogen auseinander zu setzen. Dann trage ich mal ein paar Stündchen nach. Der innere Druck fing erst ab 14.00 Uhr an langsam zu steigen. Kurz vor 18.00 Uhr war er dann beim heutigen Höchststand von 60%. Kurz vorm roten Bereich.

20.00 Uhr Mein Bettnachbar M. verlässt uns morgen und lädt zum Kuchen und Kaltgetränk ein. M. hat sogar extra für uns sogar Partyhüte besorgt. War lustig. 🙂

21.00 Uhr Die Tagesplanung für morgen will noch soweit wie möglich ausgefüllt werden. Diese spontanen Pflegetermin-Übungen stressen mich. Den Tag so richtig planen kann ich erst morgens. Das nervt. Aber damit kann ich Gelassenheit üben. Sollte ich auch.

21.34 Uhr Gute Nacht! <3

Tag 11

Freitag, 21.04.2023 – Stress und Maissuppe

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Kopfschmerzen

Meine Nacht war wieder sehr unruhig, mit Sodbrennen, aber ich bin jedesmal mit Musik in den Ohren aufgewacht und auch wieder eingeschlafen. Ich habe heute schon wieder so überhaupt keine Böcke. Auf nichts.

7.05 Uhr Ich warte im Wohnzimmer, bis die Pflegekraft kommt, den Tagesplan auslegt, ich meine Medis abholen kann und wir meine Tagesplanung durchgehen können. Mein Tagesplan macht vielleicht mehr Druck, als er nimmt. Mal schauen, wie sich das entwickelt… Zusätzlich läuft hier eine Mitpatientin nervös durch die Gänge, weil sie auch wartet. Das ist alles so anstrengend. Ich will wieder ins Bett!

7.15 Uhr Die ersten to do’s kann ich abhaken und es hat ja nur ein paar Nerven gekostet.

7.30 Uhr kurze Morgenrunde, schnell die Frühstück-Tabletts verteilen. Keine Zeit verlieren.

9.30 Uhr Werken lief wieder super. Die Sitzfläche ist erst einmal fertig und jetzt kommen die Beine dran. Natürlich sollen diese 70 cm lang sein und müssen dann mit querbalken gehalten werden. Ist noch ein wenig mehr Arbeit, aber ich habe ja auch noch mindestens 4 Wochen. Im Anschluss will die Musiktherapeutin mit mir quatschen und schauen, ob wir uns heute noch zusammensetzen. Ich hab so einen Bock auf die Therapie, aber nicht, wenn meine Planung durcheinander wirft. Das macht nicht nur den Plan sondern auch den Tag für mich zu nichte. Ich wollte/musste einfach absagen, aber die Therapeutin ist flexibel und sagt mir, dass ich einfach nach der Visite vorbeikommen soll und wir bis12.00 Uhr dann musizieren. Natürlich sage ich ja. Ich bin viel zu feige, es zumindest anzusprechen, dass sie mir den Tag kaputt macht.

10.30 Uhr noch eine Person vor mir in der Visite. Kacke! Ich schaffe es sogar noch pünktlich. Das wirft den kaputten Plan nochmal durcheinander. Ich kann das nicht. Echt. Das schlägt mir ordentlich auf den Magen.

10.50 Uhr Ich sitze in der Visite. Da es Urlaubszeit ist, schaue ich nur in 3 Gesichter, anstatt in 6. Das ist aber schon schlimm genug. Auch, wenn die 3 Sympathisch sind. Das ist eine unangenehme Situation. Ich komme sofort zur Sache:“ Wir haben gestern angefangen, einen Tagesplan zu erstellen. Das ist super! Nur nicht, wenn jemand etwas durcheinder schmeisst! Ich könnte das zu ersetzende ausradieren. Das sieht dann aber nicht mehr so perfekt aus und deswegen kann ich die allererste Seite nicht verschandeln. Ich könnte die erste Seite auch rausreissen, aber dann ist das Heft kaputt und ich muss es ganz wegschmeissen. Ich brauche eine Verschnaufpause, sonst explodiere ich.“ Das macht mich echt fertig! Der innere Druck ist grundsätzlich schon sehr hoch und dann schmeisst mir jemand meine Planung durcheinander. Das Ende vom Lied ist: Die Musiktherapeutin wird angerufen, dass ich gegen 11.15 Uhr dort ankomme, ich noch kurz in den Garten gehe und etwas gegen das Sodbrennen bekomme. Ach, nebenbei haben wir noch besprochen, dass das Fluoxetin abgesetzt wird, weil sich das nicht mit dem Anafranil verträgt. Das Anafranil ist das eigentliche Problem, hilft mir aber bei den Zwängen. Gerade jetzt kann und will ich das nicht absetzen. Wir lassen’s dann auch erst einmal dabei. Schnell auf Toilette gerannt und dann bemerken, dass ich das nicht zeitlich schaffe, mit dem Garten. Dann quarze ich mir in Ruhe eine. Das hilft ja auch. Nicht so gut, wie die Hühner, aber immerhin. Als ich gemütlich anfange zu rauchen, fällt mir auf, dass ich schonmal losgehen muss, da ich sonst zu spät komme. Alter*! Was ist hier los?

11.15 Uhr Ich bin pünktlich. Wow! Der Therapeutin ist’s unangenehm, dass wir beide so einen schlechten Start haben. Das ist so auch nicht in ihrem Sinne. Ich bin auch ehrlich zu ihr und sage ihr, wie’s mir gerade damit geht und, dass ich kurz davor bin, einfach nach Hause zu gehen. Nach einer kurzen Aussprache, darf ich mich hinter das Drum-Set setzen. Das wollte ich schon immer mal machen. Boah, war das kompliziert und schahmbehaftet für mich, da etwas zu produzieren, was sich nach Musik anhören soll. Ab ans Xylophon. Da es mein zweiter Durchgang ist, fühle ich mich da wohler. Zwischendurch sind wir beide voll im Flow. Das hört sich nicht nur nach Musik an, es hört sich sogar gut an. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, es kribbelt… und ich will weglaufen. Das war eine so positive Situation und ich war überfordert. Ich konnre damit nicht umgehen. Mit Schahm kenne ich mich aus, aber das, das war ungewohnt. Unangenehm. Nach einer Analyse durfte ich mir noch etwas aussuchen und ich habe mich für die Hang Drum entschieden. R. hat sich selbst eine und ich würde mich da gerne mal rantrauen. Gar nicht so einfach, gute Töne rauszubekommen. Macht total Spass. Nächste Woche musizieren und reden wir 30 Minuten zusammen und dann darf ich mich 20 Minuten alleine mit der Hang Drum anfreunden. Nichts lernen! Einfach nur spielen und es laufen lassen. Ich bin so steif, verkrampft und zwanghaft, dass das eine sehr grosse Herausforderung wird. Eine, auf die ich mich sehr freue.

12.00 Uhr Ab zum Mittagessen. E. fährt uns zum Rewe und will sofort nach dem Essen, spätestens 12.45 Uhr losfahren.

12.40 Uhr E. kommt gerade von ihrer Therapie und hat sich umentschieden. Stressfrei essen und erst gegen 14.00 Uhr losfahren. Heute stimmt irgend etwas nicht. Sind das alles therapeutische Tests? Das kann nicht wahr sein. Ich bleibe noch bei den anderen bis 13.15 Uhr sitzen und gehe dann doch noch auf mein Zimmer. Einfach nur mal zur Ruhe kommen und die Augen ausruhen.

13.55 Uhr Es klopft an der Tür. E. fragt, ob wir loskönnen. Jau. Ab zum Rewe.

15.00 Uhr Das gemeinsame Schnippeln macht Spass. Zwischendurch kommen wieder Jegendherbergs-Gefühle hoch und wahrscheinlich nicht nur ich vergesse zwischendurch, wo wir eigentlich sind. Als ich ein Messer in die Küche der Pfleger*innen bringe, gibt mir die Pflegerin eine Skillsliste, die ich mir ausfüllen bzw. passendes ankreuzen soll und ein Spannungsbogen, eine Art Tagebuch, in das ich mehrmals täglich den Level meiner Anspannung eintragen soll. Am Wochenende soll ich mir das anschauen und ausprobieren und ab Montag wird’s ernst. Ich find’s gut, dass wir da mal genauer hinschauen.

18.00 Die Maissuppe mit Popkorn schmeckt echt super. Alle sind begeistert. Langsam weicht der innere Druck des Tages den ankommenden Kopfschmerzen. War ein harter Tag. Jetzt kann ich mich langsam entspannen und runterkommen.

18.35 Uhr Ab ins Bett, das Hamburger Stadt-Derby hat schon angefangen. Was für ein Spiel. Ich musste mich echt zusammenreissen, hier nicht rumzuschreien.

21.49 Uhr Morgen geht’s bis Sonntag nach Hause. Gute Nacht!