Tag Archives: fanpolitik

Tag 32

Freitag, 12 05.2023 Ironie des winzigen Lebens

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, trans* Feindlichkeit, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit, Privilegien, Rassismus

(Beitragsbild: Screenshot aus der ISS Live Now – App; links ein Fenster mit einer Karte der Erde, die anzeigt, wo sich die ISS gerade befindet; rechts ein Fenster mit einem Livebild der Erde aus Sicht der ISS)

Meine Nacht war, wie zu befürchten, sehr unruhig und ich lag um 3.00 Uhr kurzzeitig wach. Als ich da so lag, dachte ich darüber nach, ob ich den Blog, nachdem ich wieder in freier Natur bin, löschen soll. Es ist irgendwie jammern auf hohem Niveau. Eine privilegierte, weisse, männlich gelesene Person, die jederzeit stealth fliegen kann, mit privilegierten Problemen, geht an den Ungerechtigkeiten dieser Welt psychisch kaputt. Das ist doch Ironie! Schliesslich profitiere ich selbst sehr von diesen Ungerechtigkeiten. Ich werde darüber noch nachdenken und mich im Nachhinein entscheiden, ob ich den Blog lösche oder nicht. Gute Na… Äh, ne. Da stimmt etwas nicht so ganz!

7.13 Uhr Ich sitze im Gemeinschaftsraum, bin fertig mit meinem Tagesplan, habe meine Medis abgeholt, trinke Kaffe und habe die „ISS Live Now“-App auf meinem Handy wiederentdeckt. Diese kann ich allen mit Smartphone empfehlen. Es gibt bestimmt auch eine PC- oder Browser-Version. Für mich habe ich jetzt einen neuen Skill entdeckt, welchen ich jetzt in Anspannungszeiten ausprobiere. Ich liebe die Live-Bilder von der Erde und gerade die Zeitraffer-Videos sind einfach genial. Wir sind so winzig und nehmen uns so ernst.

10.15 Uhr Meine Musiktherapeutin kommt mal wieder zu spät. Es ist ihr sichtlich unangenehm, weil wir so schon gestartet sind und ich eigentlich immer auf sie warte. Ich habe mir allerdings angewöhnt, auf mich zu achten. Für mich ist’s meistens super, wenn ich pünktlich bin. Dies habe ich überwiedgend selbst in der Hand. Was andere machen, ist mir bis zu einen gewissen Punkt relativ egal. (So hätte ich das generell gerne, gerade bei Arschloch-Alarm!) Sie sagte mir, dass ich das Recht habe, sauer auf sie zu sein. Es kam mir ja auch gerade recht, allerdings war ich zu feige, das anzusprechen. Musik machen ist unglaublich befreiend und gleichzeitig sehr harte Arbeit für mich. Wenn die Stunde verkürzt wird, habe ich damit auch kein Problem. 🙂

11.00 Uhr Schnell zurück auf die Station und gucken, ob ich gleich schon in die Visite kann. Jau, eine Person ist gerade drin und dann darf ich. 5 Leutchens sind heutchens, die dich anschauen. „Sie wissen ja mittlerweile, wie’s hier läuft?!“ „Äääh, wer bist du nochmal?“ Ich kann mir Namen und oft auch Gesichter nicht gut merken. Besonders in solch stressigen Situationen. „Jau. Ich benutze fleissig die (Ent-)Spannungskurve und schaue mir in der Gefühlsliste an, welche positiven Gefühle zu der Zeit im Vordergrund liegen. Ich weiss nicht, ob die Situationen von geestern schon bei Ihnen angekommen ist?“ „Ich weiss bescheid, das besprechen wir gleich im Einzel. Passt 14.00 Uhr?“ „Ey! Wofür mache ich eigentlich meinen kack Tagesplan?“ Um zu üben… Bah!(Anm. der Redaktion: Nicht wortwörtlich aus der Erinnerung aufgeschrieben!)

14.00 Uhr Ich will nicht zu der Fremden! Ich will mit meinem Bezugstherapeuten sprechen, mit dem ich sogar schon zusammen geweint habe. Also, ich habe geheult und er konnte und wollte seine Tränen nicht verbergen. Egal. Die obergrosse Baustelle ist ausgesprochen. Jetzt kann alles hilfreich sein. Ich will offen bleiben und jede Hilfe annehmen, die ich bekommen kann. Frau B. ist sehr nett und empathisch. Sie will mir helfen und mir die Chance geben, hier im sicheren Raum zu üben. Ich hab’s befürchtet. Ich soll üben! :-O Warum ka ann sie mich nicht einfach hypnotisieren und/oder mir einen MMS-Einlauf verabreichen und alles ist super, kleiner Puper!?! AH! Weil’s fürn Arsch ist und nichts bringt. Verzeihung! Ich will mich nicht über Schwurbler*innen lustig machen und mich schon gar nicht über sie stellen. MMS ist eine Angst-Wirtschaft und sehr gefährlich! Kindern wird der Scheiss verabreicht und die Darmwand dadurch angegriffen. Das ist nicht lustig und die meisten Menschen, die auf so etwas zurückgreifen sind mit diesem komplexen Leben überfordert und haben Angst. Zurück zum Angebot! Ich werde ab jetzt versuchen, in Ich-Botschaften Scheisse anzusprechen. Davor habe ich Angst. 1. Mache ich mich noch angreifbarer und 2. habe ich Angst zu explodieren und beleidigend zu werden. Das will ich nicht. Jetzt erst einmal pennen. Das Ganze hier kostet so viel Kraft, aber ich bin auf einen guten Weg.

18.00 Uhr Freitags ist Kochgruppe. Es gibt Linsen-Mango-Curry. Lecker. Beim Essen gucke ich auf die Uhr und sage mit einem Schmunzeln zum Schalker:“Oh, wir haben 19.09 Uhr!“, und denke mir so:“ Kacke! Ich habe mich um 19.00 Uhr fürs Gespräch über die (Ent-)Spannungskurve eingetragen.“ Scheiss drauf! Die Person weiss, dass das Freitag-Abend-Essen immer später kredenzt werden kann. (Kredenzen musste ich nicht nachgoogeln. Schwör auf alles! Ausser auf Tiernahrung!) Dadurch, dass die Pflegegespräche oft eng getacktet sind, musste ich mich auf 20.00 Uhr umtragen. Kein Problem. Mein Tagesplan ist eh schon lange im Arsch! Ausserdem ist das Gespräch bei meiner Bezugspflege und die mag ich. Und, wer schreit beim Essen rum:“ Oh du hast braun gesagt! Das ist rassistisch! Hahaha!“ Warum kann ich dem nicht einfach aufs Maul hauen? Das wäre theoretisch einfacher, wenn ich dahingehend Erfahrung hätte. Ich habe das Gefühl, dass er immer lauter wird, weil niemand drauf eingeht. Jetzt, wo ich die Rückendeckung von Seiten der Klinik habe und ich unbedingt etwas an mein Verhalten ändern will, ist’s trotzdem nicht einfacher… Es muss nicht beim allerersten Mal klappen. Es muss noch nicht einmal bei dieser Person klappen. R. sagte mir am Telefon, dass derTyp die Königsdisziplin ist. Vielleicht versuch ich’s erst einmal bei jemand anderes. Draussen hätte ich in seinem Fall kein Problem, mein Maul aufzumachen und rumzumackern, aber rummackern will ich ja gar nicht mehr! Wollte ich nie. In der Tierbewegung habe ich mir damals dahingehend einen Namen gemacht. Ich bin echt froh, dass das vorbei ist. Nicht falsch verstehen. Diese Zeit hat mich geprägt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin. Ich kann jetzt mit Sicherheit sagen, dass dieses sich gegenseitige Zerfleischen innerhalb der Tierbewegung nichts für Mutters Kindchen ist.

21.00 Uhr Nach dem Spaziegang noch das Bundesliga-Spiel zwischen Köln und Herta anmachen. Was für ein Tag! Was für eine Woche. Ungefähr so, wie das Spiel. Also ungefähr. Oder auch doch ganz anders. Keine Ahnung. Kann nicht mehr denken. Gute Nacht!

PS: Danke schonmal an S04, dass ihr uns morgen zur Meisterschaft verhelft. Schade, dass ihr trotzdem absteigt. Ne! Das tut mir nicht leid! Noch nicht einmal ein klein wenig. Sorry. Ne! Auch das nehme ich wieder zurück!

Tag 31

Donnerstag, 11.05.2023 überfahrene Leichtigkeit

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, Gewalt in der Sprache, Rassismus, Angespanntheit

Meine Nacht war dieses Mal nicht ganz so unruhig, aber dafür hatte ich wieder ordentlich Albträume. Keine Ahnung, was mir lieber ist. Egal, ich fühle mich fit und ich halte mich daran fest.

6.33 Uhr Ich sitze wieder im Gemeinschaftsraum, trinke Kaffee und schaue mir die Gefühlsliste an. Diese kann ich auch echt gut gebrauchen, wenn ich Abends den Tag nochmal durchgehe. Dies möchte ich jetzt regelmässig machen und mir die schönen Dinge des Tages in meinen Tagesplan schreiben. Kacke! So eine Depression und/oder anderweitige psychische Erkrankungen können ganz schön aufwendig sein.

9.30 Uhr Nach dem Werken gehen wir vor die Tür und rauchen eine. Das ist das Ritual, welches wahrscheinlich schon seit Generationen weitergegeben wird. Plötzlich kommt eine Person dazu, die mir schon länger mit Sprüchen auf den Sack geht. Ein junger Typ, der zu allem etwas zu sagen hat. Immer ganz charmant, freundlich und einen lockeren Spruch auf den Lippen. Folgendes Gespräch: Typ:“ Die neue ist schon mit ihrem Mann da und wartet darauf, dass ihr Zimmer frei wird.“ „Wie alt ist sie?“ „Konnte ich nicht erkennen. Sie trägt einen Turban. Ha! War nur Spass blablablabla“ (Anm. der Readktion: Sie trägt ein Kopftuch!) Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diesen Typen noch aushalte? Ich will hier gesunden und mich nicht auf politische Diskussionen einlassen. Ich kann das gerade echt nicht. Alle anderen anscheinend auch nicht. Ich muss dahingehend etwas machen. Es dauert nicht mehr lange und er bringt mich zum explodieren. Das soll hier doch mein Safespace sein.

10.30 Uhr Schnell duschen und ab ins Pflegegespräch. R. hat mich die letzte Woche darin bestärkt meine Probleme mit der Gewalt in der Sprache meiner Mitpatient*innen anzu sprechen. Dies wollte ich eigentlich gestern im Einzelgespräch mit meinem Therapeuten machen, nutze aber jetzt meine echt liebe und auch professionelle Bezugspflege. Das ist verdammt schwer, aber ich spreche es an. Sie ist auch sofort bei mir und versteht, warum ich mir das hier nicht erlauben will, gewaltvolle Sprache generell anzusprechen. Wo sollte ich da die Grenze ziehen? Kann und will ich nicht. Auch das versteht sie. Wir wollen jetzt genauer drauf schauen und dafür sorgen, dass ich mir einen Schutzschild aufbaue. Die erste Stufe ist dieser, dass ich mich nicht selbst betreffende Diskriminierung besser wegstecke und danach folgt die Stufe mit mich direkt betreffender Diskriminierung. Ich bin so stolz auf mich, dass ich das jetzt angesprochen habe. Vielen dank R.! Du bist jemand ganz besonderes!

14.30 Uhr J., eine Regisseurin aus Berlin ruft mich an. Es geht um ein Vorgespräch für einen 3-Minuten-Film, der nochmal in drei 1-Minüter aufgeteilt und für Social Media aufbereitet wird. Es geht um trans*- und nichtbinäre Fussball-Fans und was wir im und um das Stadion so erleben. Das Gespräch lief super und ich werde bald nach Berlin fahren. Vielen Dank an die KoFaS (http://www.kofas-ggmbh.de/), die Ihre Pfoten da im Spiel hat. Ich freue mich schon sehr darauf.

17.23 Uhr Ich bin auf dem Weg zur Skillsgruppe. Ab in den Fahrstuhl, hoch in den 09ten Stock. Geil! Unterwegs steigt noch eine Person mit Kind ein. Als der Fahrstuhl im 09ten anhält sagt die Person zum Kind:“ Wir steigen hier nicht aus, aber der Herr.“ Ich dachte jetzt Jahre, ich bin nichtbinär. Vielen Dank für die Klarstellung! Genau das habe ich gebraucht.

20.21 Uhr Ich liege überfahren im Bett und frage mich, was da soeben passiert ist. Die Skillsgruppe um 17.30 Uhr war sehr informativ und hilfreich, aber wir haben überzogen. Eigentlich gibt’s um 18.00 Uhr Abendessen. Gut, Donnerstags halt nicht. Habe ich mich schon dran gewöhnt, aber nicht, dass wir erst um kurz vor 19.00 Uhr im Speisesaal ankommen. Während ich mir meine zweite Kniffte schmiere fällt mir ein, dass ich um 19.00 Uhr noch meinen Spannungsbogen mit der Pflege durchgehen muss. Ich dachte dann:“ Ach schnell mal eben durchhauen und dann wieder futtern.“ Ich habe aber nicht mit der Pflegerin gerechnet. Sie ist echt nett und herzlich, aber wenn ihr etwas nicht passt, kann sie knallhart sein. Und, als wir spannungsbogenmässig beim Werken ankamen, dachte ich noch so:“ Soll ich die Rassismusbegegnung jetzt bei ihr auch nochmal ansprechen?“, und dachte dann, dass es ja zur Spannung beigetragen und den restlichen Tag dahingehend beeinflusst hat. Ich spreche das also an und sie wird sofort ganz komisch, von wegen „Das ist doch ihre Pflicht, das anzusprechen!“ und “ Warum haben Sie denn Angst vor eventuellen Konsequenzen?“, „Draussen gibt’s auch keinen Safespace!“ und so etwas. Ich war am brodeln. Irgendwann sagte ich dann nur noch:“ Nö!“ Und, als sie fragte, ob noch was war, habe ich gesagt:“ Das können Sie hier ja lesen.“ Ich wollte einfach nur noch weg. Hab dann auch irgendwann angefangen zu heulen. Im Nachhinein haben wir dann nochmal drüber geredet, dass das eh mein grosses Ding ist und dass ich mir Leichtigkeit wünsche und ein Schutzschild benötige. Ich glaub, das war ganz gut, muss das aber noch sacken lassen. Damit habe ich nicht gerechnet. Bin ein wenig überfahren, fühle mich aber leichter. Aber eine Frage werde ich nie vergessen:“ Warum müssen Sie sich denn rechtfertigen, wenn sie Scheisse ansprechen?“ (Anm. der Redaktion: Dies ist nicht der genaue Wortlaut der Pflegerin!) Ich glaube , sie hat’s echt drauf und ich hasse sie nicht, muss darüber aber noch 1, 2 Jahre schlafen…

Gute Nacht!

Tag 10

Donnerstag, 20.04.2023 – Fugendruck und Fankultur

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

In der Nacht hatte ich mal wieder Sodbrennen, weil ich Abends die Pfoten einfach nicht von den Süssigkeiten lassen kann. Aber ich bereue nichts! Also das Sodbrennen schon, aber nicht die Süssigkeiten. „Merkste selber, ne?“ Ja, ist schon gut…

7.30 Uhr Heute hab ich’s mir verkniffen, vorher rauchen zu gehen. Allein mein Magen freut sich darüber. Dafür gab’s zwei Tassen Kaffee auf nüchternen Ma… lassen wir das! In der Morgenrunde bin ich wieder total verballert und muss stark überlegen, was gestern so war. Das ist gerade sehr erschreckend, wie schnell ich gerade Erlebtes vergesse. Ist ja aber auch viel und noch relativ neu.

8.30 Uhr Heute ist nicht mein Tag. Ich habe noch nicht einmal Lust aufs Werken. Das ist halt manchmal so. Als ich erst einmal an meinem Hocker weiterarbeite, kommt der Spass schon kurz vorbei gehuscht und die Stunde ist dann auch schon wieder vorbei. Morgen kann ich die Hockerbeine anfangen und es gibt wohl das erste Mal auch Muskelkater dazu.

9.00 Uhr Ab zu den Hühnern, Achtsamkeit üben. Jetzt habe ich ein wenig Zeit, kann auf dem Weg R. anrufen und wir können ein wenig quatschen. Die Bank, auf der ich immer sitze ist nass. Das bemerke ich natürlich erst, als ich darauf sitze. Und direkt gegenüber ist ein kleiner Vorbau unter dem trockene Stühle stehen. Erst einmal zuende telefonieren und danach die Hühner mit Gras füttern. Die alten Geier!

Unter dem Vorbau ist’s nicht das Gleiche. Ich kamaber auch nicht auf die Idee, den Stuhl neben die Bank zu stellen. Naturbetrachtung war heute nichts, aber ich hab’s ein wenig versucht und habe die Hühner beobachtet.

Auf dem Rückweg merke ich, dass es mir ganz gut tut, wenn ich die Fugensache ein wenig auslebe und doch ein wenig mehr darauf achte, die Fugen in meinem System, also entweder gar nicht oder die Fugen mit der Fussmitte zu treffen. Das nimmt ein wenig Druck raus, macht mir aber Angst, dass das Ganze dann total aus dem Ruder läuft. Auf jeden Fall werde ich das morgen in der Visite ansprechen.

10.45 Uhr Das erste Mal „Vorblick“. Verstehe nur nicht, warum das erst so spät ist. Das kann ja dann eigentlich nur für den kommenden Tag sein?

Ups! Falsch verstanden. Ich soll noch vor dem Frühstück zum Vorblick kommen und dann auch schon meine Liste fertig haben. Das ärgert mich sehr, dass ich da nicht alleine drauf gekommen bin. Irgendwas ist halt immer…

Für Freitag sieht’s so bei mir aus

  • 06.00 – Wecker
  • 07.00 – Medikamente + Tagestermine
  • 07.30 – Morgenrunde
  • 07.45 – Vorblick
  • 08.00 – Frühstück
  • 08.15 – Werken (bis 9.30 Uhr)
  • 10.00 – Musik
  • 11.00 – Visite
  • 12.00 – Mittag
  • 12.45 – Einkaufen
  • 16.00 – Kochen
  • 18.00 – Abendessen
  • 19.00 – Naturbeobachtung

Auf dem ersten Blick erschlägt mich das ganze Gebilde, aber der Plan tut mir unglaublich gut.

12.00 Uhr Mittagessen Ich kann mich kein bisschen übers Essen beschweren. Alles super und auch lecker. Klar, in den ersten Tagen ging häufiger etwas schief, aber das kenne ich nicht anders. Ich habe ja auch Sonderwünsche. Keine Ahnung, wie viele Menschen in dieser Klinik vegan leben. Auf meiner Station bin ich die einzige veganlebende Person und wir sind momentan 13 Leute. Uh, geile Zahl. Block 13 auf der Südtribüne. Und ich habe meine Dauerkarte einem Arschloch gegeben…

Jetzt erst einmal ein Stündchen (Haha!) schlafen.

15.15 Uhr Pflegegespräch – Zuerst quatschen wir darüber, wie meine Achtsamkeitsübung Namens Naturbeobachtung verlief und haben das einfach mal so stehen lassen. Heute ist einfach nicht mein Tag und ich habe das Beste daraus gemacht. Dann wird mir vorgeschlagen, dass ich mit der Naturbeobachtung aufhöre, da meine Bezugspflegerin und mein Therapeut glauben, dass es für mich gerade wichtiger ist, dass ich einmal Atem- und einmal Körperübungen mache, damit es mir einfacher fällt, unter Menschen zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich beim Einkaufen schon ein grundsätzlich hohes Anspannungslevel, bevor ich aus der Wohnungstür bin. Dass ich auf offener Strasse als „Scheiss Schwuchtel“ beschimpft wurde, ist noch gar nicht so lange her und sitzt tief. Ich will so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle und in der Masse verschwinden. Das geht aber nicht. Ich bin halt ein bunter Vogel ganz in schwarz gekleidet. Ich will beim Einkaufen Abstand haben, besonders an der Kasse. Dies ist in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Alle hetzen von Termin zu Termin, sind im Kopf schon ganz woanders oder haben anderen Stress. Ich versuche das so anzunehmen, aber, wenn ich die Person hinter mir schon Huckepack nehmen kann und dann noch ein “ Können Sie bitte abstand halten?“ rausquetsche, diese dann aber pampig reagiert, platze ich. Und werde beleidigend. Ich möchte dieser Person weh tun. Sie verbal zerstören. Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt. Blablabla.

Und hinterher? Ärgere ich mich bis zum geht nicht mehr, dass ich mal wieder mein Maul nicht halten konnte. Jedesmal das Gleiche.

Aber es gibt für mich momentan nur zwei Wege:

  1. Entweder, ich sag nichts und ärgere mich über die andere Person und mich, weil ich nichts gesagt habe.
  2. Oder ich ärgere mich über die Person, weil sie kacke reagiert und über mich, weil ich ausfallend und laut geworden bin.

Bei 1. ist die Gefahr, dass sich der innere Druck immer weiter anstaut und die Explosion die Menschen trifft, die damit gar nichts zu tun haben. Vor allem R. ist davon betroffen. Bei 2. ist der Druck wieder etwas runter, aber immernoch höher, als vor der auslösenden Situation. Eine weitere Situation kann dann schon ausreichen. Was soll ich schreiben? Es ist sehr anstrengend. Ich will Leichtigkeit. Ich will über diese Dinge oder Situationen stehen und auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber agieren. Wir versuchen hier alle „nur“ zu (über)leben.

15.39 Uhr C. von der KoFaS, ‚Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit’, und ich haben seit Montag versucht, bzgl. einer Anfrage für eine Zusammenarbeit miteinander zu telefonieren, aber es hat nicht sollen sein. Also hat mir C. jetzt eine fast vierminütige Sprachnachricht mit einer kleinen Beschreibung geschickt. Es geht um trans*-Fussballfans. Yeahi. Ich bin dabei! Läuft bei mir!

15.45 Uhr Ein Zettel für mich klebt an der Tür. Die morgige Musiktherapie muss verschoben werden. Entweder auf 11.00 Uhr oder auf Montag. AAAAH! Ich habe doch gerade erst alles geplant. Und die Zeit für die Visite ist eh schon wenig planbar, da nunmal viele Menschen nacheinander abgearbeitet werden. Ausserdem müssen wir uns ab Snfang der Woche in den Zeitplan der Visite eintragen und somit gibt es heute noch kaum freie Stellen. Ich habe mich extra für 11.00 Uhr eingetragen, damit das alles passt. Es könnte natürlich auch ein therapeutischer Test sein, aber wahrscheinlich ist der Therapeutin einfach etwas dazwischen gekommen. Ich habe dafür aber keine Energie. Dann muss Musik halt auf Montag „verschoben“ werden, bzw. morgen ausfallen. Hab mich so sehr darauf gefreut!

16.10 Uhr Nicht nur meine Eltern und mein Opa kommen zu besuch, sondern auch R. kommt kurz rum. Sie hat Unterlagen für die Kaution der neuen Wohnung, die ich unterschreiben muss. Was für ein Stress. Danke, dass du das alles managed. :-*

Ein wenig im Krankenhaus-Cafè zusammensitzen, Kaffee trinken und quatschen. Das ist schön.

20.47 Uhr Ich liege im Bett und schreibe diese Zeilen. Gute Nacht.

über mich

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Behinderung, trans* Feindlichkeit

Ich heisse Anny, bin Anfang der 1980er geboren, trans/nichtbinär und benutze keine Pronomen. Im Ruhrpott bin ich zu Hause. 2020 habe ich eine Personenstandänderung vorgenommen, meinen Namen Anny angenommen und mich als „divers“ eintragen lassen.

Durch mehrere Schlaganfälle, chronische Depressionen, Zwänge und einer Persönlichkeitsstörung des Borderlinetypus bin ich seit 2018 berentet und habe einen GdB von 50. Ausserdem habe ich mir die ICD10-Diagnose mit dem Schlüssel F64.0 – Transsexualismus erarbeitet. Laut dem aktuellen ICD10 ist trans * Identität immernoch eine psychische Erkrankung. Es gibt schon ein ICD11, der an die heutige Zeit angepasst ist. In einigen Ländern wird dieser schon angewendet, in Kaltland dauerts noch ein klein wenig.

Ich befasse mich seit Jahren mit Ableismus, Gewalt in der Sprache, Privilegien, (Self)Care, Verschwörungsdenken und anderem.

Seit dem Wintersemester 2022 studiere ich B.A. Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Soziologie an der Fernuni in Hagen.

Ich war viele Jahre in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung aktiv und bin anarchistisch, über die Anarchistische Föderation Rhein Ruhr und der Freien Arbeiter*innen Union organisiert, aber nicht demokratiefeindlich eingestellt. Wer sich mit Politik auskennt, sollte heutzutage wissen, dass Anarchismus nicht gleich Chaos bedeutet.

Vereinsmitgliedschaften: ballspiel.vereint! (b.v!) Bund demokratischer Wissenschaftler*innen (BdWi), Borussia Dortmund (BVB), Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti), Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), digitalcourage, Freie Arbeiter*innen Union Düsseldorf (FAUD), FC St. Pauli, FC St. Pauli-Fanclub FC Rilrec Youth (FCST FCRRY), Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP)

Vorträge/Workshops, die ich geleitet oder gegeben habe: „TIN-Feindlichkeit(en)“, „Privilegien“, „Total Liberation – Eine Einführung“, „Wie schreibe ich (politisch) Gefangenen“, „Kritik innerhalb der Tierbewegung“, „Straight Edge und Beziehungsanarchie“

Seit Mitte 2023 biete ich Peer-TINA*-Beratung im Namen der dgti an. (TINA* steht dabei für trans*, inter, nicht- und abinär und der * für alle ähnlichen Geschlechter)

Seit Anfang 2024 habe ich mir meinen langjährigen Traum erfüllt und habe angefangen ein Online-Lexikon über Verschwörungsmythen zu erstellen. Gut Ding braucht…
https://verschwoerungsmythen-lexikon.net/

Zu meinen Aktivitäten innerhalb der Fanszene(en):
seit 2006 BVB-Fan, spätestens seit 2011 St. Pauli-Fan, 2008 – 2014 Dauerkarte Block 13, Südtribüne, ca 2008 – 2011 aktiv in der BVB Fan- und Förderabteilung, 2015 – 2017 kein Fussball, viel politisches Engagement, seit 2018 wieder Fussballfan

2021 Interview und zweitägige Arbeitsgruppe fürs Forschungsprojekt „Vielfalt im Stadion – Zugang, Schutz und Teilhabe“ der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sportbezogene soziale Arbeit (KoFaS),
2022 Interview für das Fanprojekt Dortmund zum 25ten Jubiläum von „Kick Racism Out“,
seit 2022 aktiv bei ballspiel.vereint!,
2022 Mitglied im Orgateam und zweimal am BVB-Aktionstag den Workshop „TIN-Feindlichkeit(en)“ geleitet/gegeben seit Anfang,
2023 Mitglied im Orgateam von Football 4 all Gender und Interview mit Debbie von Female St. Pauli Stories vom Millernton-Podcast
seit Anfang 2024 Mitglied des St. Pauli Fanclubs FC Rilrec Youth (FCST FCRRY)

Hier das Interview zum Jubiläum von „Kick Rasicm Out“:

Hier ist das Interview mit Debbie von Female St. Pauli Stories:

Female St. Pauli Stories #17: Anny

Und hier geht’s noch zum Film „queere Fans im Stadion“ von Vielfalt im Stadion, in dem ich mitgewirkt habe:
https://www.instagram.com/reel/CzaokesPMtx/?igsh=enBvenNrN2thMGV3

Tag 4

Freitag, 14.04.2023 MillernTon

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, trans* Feindlichkeit, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

6.00 Uhr Sehr unruhige Nacht gehabt. Und Sodbrennen. Keine Ahnung, warum. Die Drittel Tüte Flips kann es ja nicht gewesen sein…

7.30 Uhr Wieder eine kurze Morgenrunde. „Mein gestriges Highlight war das Cappuccino-trinken mit R. und das ich meine Schlappen endlich habe. Meine Nacht war wie immer unruhig und anstrengend. Ich freue mich heute tatsächlich auf die Visite, weil dann ein paar Fragen beantwortet werden.“ Frage mich, warum es wichtig ist, dass wir den Sprecher*innen-Ball zuwerfen und nicht geben sollen. Ich hasse das!

8.00 Uhr wieder verspätetes Frühstück und ich steh sofort unter Druck, weil wir um 8.15 Uhr losgehen zum Werken. Mir ist bewusst, dass die Küche nicht nur uns beliefert, aber diese Situation macht mir den Tag nicht einfacher. Ausserdem ärgere ich mich immernoch sehr über meinen Tablett-Fopaux. Das wegbringen des Tabletts hat mir so schon genug Stress bereitet, aber jetzt ist es um einiges schlimmer.

10.00 Uhr Das Werken war wieder super. Der Betreuer ist auch voll Sympathisch. Ich habe mich zwischendurch auch schon gefragt, wie teuer wohl so ein gebrauchter Werktisch ist. Meine Mitpatientin hatte schonmal geschaut. Ab 79,-€. Hoa! Interessant!

10.15 Uhr Der Druck steigt erst jetzt, aber dafür ins Unermessliche. Scheiss wichtige Termine! Ganz vergessen was für einen Druck ich bei solchen Terminen immer verspüre. BAH!

12.00 Uhr Dass Mensch ein wenig warten muss, ist klar. So lange hat sich dass wohl auf dieser Station aber noch nie hingezogen. Ich war für 10.45 Uhr eingetragen. Wenigstens bin ich ab 10.30 Uhr zu den Wartenden gegangen und hatte ein paar gute Gespräche. Mit wem? Dem neuen Schlacker, der gestern angekommen ist. Langsam wird’s peinlich… Er hat sich erst gar nicht getraut, sich dahingehend zu outen, weil er schon öfters einen drauf bekommen hat. Weil er Fan eines bestimmten Vereins ist. Das ist Fussball! Typensuppe! Thesto! Riesige, enorme…

Auswärtsfahrten.Ich war von ca. 2009 bis 2012 aktiv in der Fanszene Dortmund. Dies war der Beginn, meiner politischen Karriere. Irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich soviel Zeit und Geld in ein Unternehmen investiere, welches Millionen macht. 2012 kamen dann die zwei Schlaganfälle und ich habe mich langsam vom Fussball weg hin zum Tierrecht entwickelt. Das war eine sehr gute und auch wichtige Zeit. Ich trauere doch aber auch seit Jahren meiner Dauerkarte für Block 13 auf der Südtribüne nach. Vor allem, weil sie jetzt der damalige Mann meiner Cousine hat. Pfui! Egal. Diese Entwicklung war schon gut. Seit 2 Jahren bin ich jetzt wieder aktiv und das deutschlandweit. Vor allem für trans* Menschen in den Stadien, aber auch gegen jede Art der Diskriminierung in und um den BVB und deutschlandweit. Das macht Spass. Ist aber auch mit sehr vielen Privilegien und Kontakten verbunden. Fühlt sich manchmal schon komisch elitär an. Das ist wohl auch der Reiz daran.

17.00 Uhr AAAAH! Ich wollte nur eine Stunde pennen und daraus sind dann 3 geworden.

Oh, kacke! Ich habe Debbie vom MillernTon-Podcast bzw. „Female St. Pauli Stories“-Podcast fast vergessen. Schnell einen Lebenslauf zusammenpasten (wird ausgesprochen: zusammenpäisten) und ab dafür. Dieses Jahr sind schon einige Anfragen reingekommen. Auf das Interview mit Debbie zum Thema „trans* Fussballfans“ freue ich mich ganz besonders. Langsam fühle ich mich auch in der Fanszene von St. Pauli heimisch. schwarzgelbbraunweisse Liebe halt

18.00 Uhr Jetzt gibt’s das Freitagabend-Gemeinschaftsessen. Wenn Anfang der Woche die Wochenämter vergeben werden, gibt es zwei oder mehr Menschen (Uh, schon lange nicht mehr „Meermenschen“ von Moop Mama gehört), die für alle kochen. Heute gab’s Spaghetti Bolognese. Eine normale Pfanne mit gutem Fleisch und eine vegane. Boah, war das lecker.

19.00 Uhr Eine quartzen und wieder ein sehr gutes Gespräch mit dem Schalker (Ich werde langsam weich und benutze das böse Wort mit Sch) geführt. Da ich auf meiner Jacke einen „Stay queer, stay Rebel“-Aufnäher habe, hat er gefragt, ob ich den „nur“ aus solidarität habe oder ob da mehr dahintersteckt. (HAH! Welches Statement! Ich muss immernoch darüber lachen!) Nach meinem Outing hat er sich erst einmal nach meinen Pronomen erkundigt. Das war sehr schön. Vielleicht schaffe ich es heute noch, mich bei meinem Bettnachbarn zu outen. Ich weiss, er ist cool, aber irgendwie gibt es nie einen perfekten Zeitpunkt. Als wenn es diesen überhaupt geben kann…

20.25 Uhr Post feddich machen Schoki futtern und ne Runde Schach gegen den PC, also einer App und gegen den Computer. Auf dem Handy. Ihr wisst schon. Ich schreibe „Ihr“, weil mehr als zwei Leute behaupten, dass sie mein Zeugs lesen.

20.25 Uhr und 55 Sekunden Gute Nacht! Sodbrennen verpiss dich! Äh, komm gar nicht erst an!