Dienstag, 11.04.2023 Erst einmal eine ins Gesicht stecken
Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Depressionen, Zwänge, Borderline, Ängste), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, Corona
8.30 Uhr: An der Eingangstür hängt ein Schild mit der Bitte das Krankenhaus ausschliesslich mit Maske zu betreten. Hält sich niemand dran. Naja, vereinzelte, an einem Finger abzählbare Personen schon. Ich will wieder weg!
8.30 Uhr: Ich stehe vor der Patient*innenaufnahme und warte auf Einlass. Es hat sich nur eine Person (unwissentlich) vorgedrängelt, da ich bei Tür 2 gewartet habe, wie es auf dem Aushang steht. Dass Mensch trotzdem auch Tür 1 benutzen sollte, da Tür 2 wohl gar nicht besetzt ist, war nirgends zu lesen. Ich will rauchen! Und weglaufen!
9.00 Uhr und ich sitze auf der Station, warte auf Ansprechpersonen und wurde innerhalb von 30 Minuten nur einmal als „junger Mann“ betitelt. In der Theorie und bei der Aufnahme gibt sich die Klinik Mühe, was das Gendern angeht, aber in der Praxis hapert es an vielen einzelnen Personen, die damit (noch) keine Berührung hatten. Ich will quartzen! Und weglaufen! Und schlafen!
9.25 Uhr: Eine Ansprechperson kommt vorbei und fragt mich, wie ich angesprochen werden möchte. Ich weiss, es ist nicht leicht, mich einfach nur mit meinen Vor- und Nachnamen anzusprechen, aber es ist Gewohnheit und das ist auch nicht zu viel verlangt. Mein Zimmer ist noch nicht fertig. Ich will auch gar nicht in das Männerzimmer, aber was soll ich machen? Keine Hilfe ist gerade keine Option. Ich habe wahnsinnig Durst konnte aber nur ein „Nein, Danke“ rausquetschen, als mir von einer Mitpatientin Wasser und Kaffee angeboten wurde. Was würde ich jetzt für etwas zu Trinken geben. Keine Wörter auf jeden Fall! Soviel weiss ich. Schon lange keine mehr im Gesicht stecken gehabt… Während ich wenigstens alleine im sogenannten Wohnzimmer sitze, habe ich ordentlich Zeit zum Nachdenken. Mit wie vielen Typen muss ich mir wohl mein Zimmer teilen? Wie viele Macker innerhalb der Klinik werden sich von mir in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen? Werden TERFs anwesend sein? Werde ich anthroposophische „Behandlungen“ ausprobieren müssen? Und, wenn ich diese verweigere, werde ich dann sofort als engstirnig, voreingenommen oder sonstiges abgestempelt? Ich mache es ja allen schon eh schwer genug, weil ich nichtbinär bin. Und, wie mache ich das mit dem Maske tragen? Ich bin ja auch noch risikogruppenangehörig und habe keine Böcke auf Covid-19. Ach Anny, du bist so tapfer! Am Arsch, ey! Ich will rauchen! Und jemanden anschreien! Am besten, ich hau ab!
9.50 Uhr: Jetzt kommense langsam alle hervor. So, wie es aussieht, werde ich mit einer weiteren Person auf dem Zimmer sein. Diese wirkt nett. Hier bin ich jetzt aber auch die einzige Person mit Maske. Fast jede Person, die mit mir quatscht, sagt mir, dass ich die Maske abnehmen kann. Nur, wenn ich möchte natürlich. Sollte ich vielleicht auch machen. Spätestens auf meinem Zimmer, beim gemeinsamen Essen oder beim Sport werde ich eh keine mehr aufhaben. Hau ab! Allein aus Prinzip lasse ich den Scheiss jetzt auf! Nur noch 6 Wochen…
10.00 Uhr: Es ist mir zwar total unangenehm, meine Kopfhörer aufzusetzen, aber Musik hilft mir fast immer. Das tut gut. Um in letzter Zeit nach draussen und unter Menschen gehen zu können, habe ich nicht nur Musik auffe Ohren, sondern auch zwei Apps im Hintergrund geöffnet. In der einen geht es um Stresstraining und Methodenkoffer, in der anderen ist eine SOS- Meditation geöffnet und stehts griffbereit. Ich möchte niemanden anschreien. Auch Arschlöcher nicht!
10.35 Uhr: Ich habe mich in meinem Zimmer eingerichtet, mir wurde die Station gezeigt und Blut abgenommen. Als nächstes kommt das Vorgespräch und das war es dann auch für heute. Jetzt könnte ich rauchen, aber ich habe Angst, dass die Ärztin genau dann bereit ist. Wenigstens habe ich jetzt was getrunken. Das Essen wird auch lustig. Auch da verlange ich eine Extrawurst. Eine vegane. Ich will hier für Veganismus genauso wenig Werbung machen, wie fürs Rauchen oder Anthroposophie, aber das ist (gerade) mein Leben, diese Klinik ist für mich zuständig und länger warten für eine andere Klinik ist gerade keine Option. Zurück zum Veganismus. Ich bezeichne mich als antivegan eingestellte*r Veganer*in. Dieses „Veganismus ist die Antwort auf alles böse!“ geht mir auf den Zeiger. Ausserdem ist Veganismus Privilegierte Kackscheisse. Das musst du dir erst einmal leisten können und dabei geht es nicht ausschliesslich um die Geldfrage. Es gibt Menschen mit Essstörungen oder andere Erkrankungen, die das Mahl bestimmen. Oder, wenn du genug mit irgendwelchen Diskriminierungen zu tun hast, kannst du dich vielleicht nicht mit (nichtmenschlichem) Tierleid beschäftigen. Blablabla…
11.00 Uhr: medizinische Untersuchung, nette Person
12.00 Uhr: Mittagessen, 7 warme Salzkartoffeln, Damit habe ich schon gerechnet. Viele solcher Grossküchen sind am ersten Tag überfordert. Wenigstens habe ich jetzt etwas im Magen und kann meine Tabletten nehmen, die ich mir eigentlich nachm Frühstück reinpfeife.
12.30 Uhr: Eine kurze Aufnahme vom Pflegepersonal und danach kommt noch die psychologische Aufnahme und dazwischen immer wieder warten und auf Abruf bleiben. Gut, dass ich mittlerweile ein kleines Buch für die ambulante Therapie habe, in dem ich sämtliche Auffälligkeiten, aufgeteilt in Depressionen und Zwänge, aufschreibe. Wenn ich bei Erstgesprächen erklären soll, wie sich die Depris und die Zwänge bemerkbar machen, fällt mir nichts ein. Das ist so peinlich und ärgerlich. Dass ich alles ablese und meine Sammlung präsentiere fühlt sich zwar auch komisch an, aber irgendwas ist halt immer.
13.00 Uhr: Hab noch Mittagessen nachbekommen, Graupen mit Gemüse und Sosse. War lecker. Mein Bettnachbar hatte mir nach dem Mittagessen zwei Hanuta ans Bett gelegt. Netter Typ. Wir haben uns auch schon ein wenig beschnuppert. Passt.
14.00 Uhr Die Psychologin musste unser Gespräch nach Punkt 1 von 3 abbrechen und meldet sich später nochmal. Ich hätte nachfragen und es mir aufschreiben sollen, aber ich war zu feige nochmal nachzufragen, ob es heute noch was wird. Also wieder auf Abruf bleiben und sich Gedanken machen, ob ich etwas falsch verstanden habe.
18.00 Uhr Abendbrot, nette und leckere Zusammenstellung, die auch noch satt macht. Die Psychologin wird wohl erst am Donnerstag wieder auf mich zukommen, weil sie morgen nicht da ist. Rauchen? Kein Bock!
18.52 Uhr Gute Nacht! :-*