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Tag 31

Donnerstag, 11.05.2023 überfahrene Leichtigkeit

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Schlaganfall, Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, missgendern, Gewalt in der Sprache, Rassismus, Angespanntheit

Meine Nacht war dieses Mal nicht ganz so unruhig, aber dafür hatte ich wieder ordentlich Albträume. Keine Ahnung, was mir lieber ist. Egal, ich fühle mich fit und ich halte mich daran fest.

6.33 Uhr Ich sitze wieder im Gemeinschaftsraum, trinke Kaffee und schaue mir die Gefühlsliste an. Diese kann ich auch echt gut gebrauchen, wenn ich Abends den Tag nochmal durchgehe. Dies möchte ich jetzt regelmässig machen und mir die schönen Dinge des Tages in meinen Tagesplan schreiben. Kacke! So eine Depression und/oder anderweitige psychische Erkrankungen können ganz schön aufwendig sein.

9.30 Uhr Nach dem Werken gehen wir vor die Tür und rauchen eine. Das ist das Ritual, welches wahrscheinlich schon seit Generationen weitergegeben wird. Plötzlich kommt eine Person dazu, die mir schon länger mit Sprüchen auf den Sack geht. Ein junger Typ, der zu allem etwas zu sagen hat. Immer ganz charmant, freundlich und einen lockeren Spruch auf den Lippen. Folgendes Gespräch: Typ:“ Die neue ist schon mit ihrem Mann da und wartet darauf, dass ihr Zimmer frei wird.“ „Wie alt ist sie?“ „Konnte ich nicht erkennen. Sie trägt einen Turban. Ha! War nur Spass blablablabla“ (Anm. der Readktion: Sie trägt ein Kopftuch!) Ich habe keine Ahnung, wie lange ich diesen Typen noch aushalte? Ich will hier gesunden und mich nicht auf politische Diskussionen einlassen. Ich kann das gerade echt nicht. Alle anderen anscheinend auch nicht. Ich muss dahingehend etwas machen. Es dauert nicht mehr lange und er bringt mich zum explodieren. Das soll hier doch mein Safespace sein.

10.30 Uhr Schnell duschen und ab ins Pflegegespräch. R. hat mich die letzte Woche darin bestärkt meine Probleme mit der Gewalt in der Sprache meiner Mitpatient*innen anzu sprechen. Dies wollte ich eigentlich gestern im Einzelgespräch mit meinem Therapeuten machen, nutze aber jetzt meine echt liebe und auch professionelle Bezugspflege. Das ist verdammt schwer, aber ich spreche es an. Sie ist auch sofort bei mir und versteht, warum ich mir das hier nicht erlauben will, gewaltvolle Sprache generell anzusprechen. Wo sollte ich da die Grenze ziehen? Kann und will ich nicht. Auch das versteht sie. Wir wollen jetzt genauer drauf schauen und dafür sorgen, dass ich mir einen Schutzschild aufbaue. Die erste Stufe ist dieser, dass ich mich nicht selbst betreffende Diskriminierung besser wegstecke und danach folgt die Stufe mit mich direkt betreffender Diskriminierung. Ich bin so stolz auf mich, dass ich das jetzt angesprochen habe. Vielen dank R.! Du bist jemand ganz besonderes!

14.30 Uhr J., eine Regisseurin aus Berlin ruft mich an. Es geht um ein Vorgespräch für einen 3-Minuten-Film, der nochmal in drei 1-Minüter aufgeteilt und für Social Media aufbereitet wird. Es geht um trans*- und nichtbinäre Fussball-Fans und was wir im und um das Stadion so erleben. Das Gespräch lief super und ich werde bald nach Berlin fahren. Vielen Dank an die KoFaS (http://www.kofas-ggmbh.de/), die Ihre Pfoten da im Spiel hat. Ich freue mich schon sehr darauf.

17.23 Uhr Ich bin auf dem Weg zur Skillsgruppe. Ab in den Fahrstuhl, hoch in den 09ten Stock. Geil! Unterwegs steigt noch eine Person mit Kind ein. Als der Fahrstuhl im 09ten anhält sagt die Person zum Kind:“ Wir steigen hier nicht aus, aber der Herr.“ Ich dachte jetzt Jahre, ich bin nichtbinär. Vielen Dank für die Klarstellung! Genau das habe ich gebraucht.

20.21 Uhr Ich liege überfahren im Bett und frage mich, was da soeben passiert ist. Die Skillsgruppe um 17.30 Uhr war sehr informativ und hilfreich, aber wir haben überzogen. Eigentlich gibt’s um 18.00 Uhr Abendessen. Gut, Donnerstags halt nicht. Habe ich mich schon dran gewöhnt, aber nicht, dass wir erst um kurz vor 19.00 Uhr im Speisesaal ankommen. Während ich mir meine zweite Kniffte schmiere fällt mir ein, dass ich um 19.00 Uhr noch meinen Spannungsbogen mit der Pflege durchgehen muss. Ich dachte dann:“ Ach schnell mal eben durchhauen und dann wieder futtern.“ Ich habe aber nicht mit der Pflegerin gerechnet. Sie ist echt nett und herzlich, aber wenn ihr etwas nicht passt, kann sie knallhart sein. Und, als wir spannungsbogenmässig beim Werken ankamen, dachte ich noch so:“ Soll ich die Rassismusbegegnung jetzt bei ihr auch nochmal ansprechen?“, und dachte dann, dass es ja zur Spannung beigetragen und den restlichen Tag dahingehend beeinflusst hat. Ich spreche das also an und sie wird sofort ganz komisch, von wegen „Das ist doch ihre Pflicht, das anzusprechen!“ und “ Warum haben Sie denn Angst vor eventuellen Konsequenzen?“, „Draussen gibt’s auch keinen Safespace!“ und so etwas. Ich war am brodeln. Irgendwann sagte ich dann nur noch:“ Nö!“ Und, als sie fragte, ob noch was war, habe ich gesagt:“ Das können Sie hier ja lesen.“ Ich wollte einfach nur noch weg. Hab dann auch irgendwann angefangen zu heulen. Im Nachhinein haben wir dann nochmal drüber geredet, dass das eh mein grosses Ding ist und dass ich mir Leichtigkeit wünsche und ein Schutzschild benötige. Ich glaub, das war ganz gut, muss das aber noch sacken lassen. Damit habe ich nicht gerechnet. Bin ein wenig überfahren, fühle mich aber leichter. Aber eine Frage werde ich nie vergessen:“ Warum müssen Sie sich denn rechtfertigen, wenn sie Scheisse ansprechen?“ (Anm. der Redaktion: Dies ist nicht der genaue Wortlaut der Pflegerin!) Ich glaube , sie hat’s echt drauf und ich hasse sie nicht, muss darüber aber noch 1, 2 Jahre schlafen…

Gute Nacht!

Tag 10

Donnerstag, 20.04.2023 – Fugendruck und Fankultur

Inhaltsangabe: psychische Erkrankungen (Ängste, Depressionen, Zwänge, Borderline), Klinikaufenthalte, Tabakkonsum, Essen, Sodbrennen, Schlafprobleme, Angespanntheit

In der Nacht hatte ich mal wieder Sodbrennen, weil ich Abends die Pfoten einfach nicht von den Süssigkeiten lassen kann. Aber ich bereue nichts! Also das Sodbrennen schon, aber nicht die Süssigkeiten. „Merkste selber, ne?“ Ja, ist schon gut…

7.30 Uhr Heute hab ich’s mir verkniffen, vorher rauchen zu gehen. Allein mein Magen freut sich darüber. Dafür gab’s zwei Tassen Kaffee auf nüchternen Ma… lassen wir das! In der Morgenrunde bin ich wieder total verballert und muss stark überlegen, was gestern so war. Das ist gerade sehr erschreckend, wie schnell ich gerade Erlebtes vergesse. Ist ja aber auch viel und noch relativ neu.

8.30 Uhr Heute ist nicht mein Tag. Ich habe noch nicht einmal Lust aufs Werken. Das ist halt manchmal so. Als ich erst einmal an meinem Hocker weiterarbeite, kommt der Spass schon kurz vorbei gehuscht und die Stunde ist dann auch schon wieder vorbei. Morgen kann ich die Hockerbeine anfangen und es gibt wohl das erste Mal auch Muskelkater dazu.

9.00 Uhr Ab zu den Hühnern, Achtsamkeit üben. Jetzt habe ich ein wenig Zeit, kann auf dem Weg R. anrufen und wir können ein wenig quatschen. Die Bank, auf der ich immer sitze ist nass. Das bemerke ich natürlich erst, als ich darauf sitze. Und direkt gegenüber ist ein kleiner Vorbau unter dem trockene Stühle stehen. Erst einmal zuende telefonieren und danach die Hühner mit Gras füttern. Die alten Geier!

Unter dem Vorbau ist’s nicht das Gleiche. Ich kamaber auch nicht auf die Idee, den Stuhl neben die Bank zu stellen. Naturbetrachtung war heute nichts, aber ich hab’s ein wenig versucht und habe die Hühner beobachtet.

Auf dem Rückweg merke ich, dass es mir ganz gut tut, wenn ich die Fugensache ein wenig auslebe und doch ein wenig mehr darauf achte, die Fugen in meinem System, also entweder gar nicht oder die Fugen mit der Fussmitte zu treffen. Das nimmt ein wenig Druck raus, macht mir aber Angst, dass das Ganze dann total aus dem Ruder läuft. Auf jeden Fall werde ich das morgen in der Visite ansprechen.

10.45 Uhr Das erste Mal „Vorblick“. Verstehe nur nicht, warum das erst so spät ist. Das kann ja dann eigentlich nur für den kommenden Tag sein?

Ups! Falsch verstanden. Ich soll noch vor dem Frühstück zum Vorblick kommen und dann auch schon meine Liste fertig haben. Das ärgert mich sehr, dass ich da nicht alleine drauf gekommen bin. Irgendwas ist halt immer…

Für Freitag sieht’s so bei mir aus

  • 06.00 – Wecker
  • 07.00 – Medikamente + Tagestermine
  • 07.30 – Morgenrunde
  • 07.45 – Vorblick
  • 08.00 – Frühstück
  • 08.15 – Werken (bis 9.30 Uhr)
  • 10.00 – Musik
  • 11.00 – Visite
  • 12.00 – Mittag
  • 12.45 – Einkaufen
  • 16.00 – Kochen
  • 18.00 – Abendessen
  • 19.00 – Naturbeobachtung

Auf dem ersten Blick erschlägt mich das ganze Gebilde, aber der Plan tut mir unglaublich gut.

12.00 Uhr Mittagessen Ich kann mich kein bisschen übers Essen beschweren. Alles super und auch lecker. Klar, in den ersten Tagen ging häufiger etwas schief, aber das kenne ich nicht anders. Ich habe ja auch Sonderwünsche. Keine Ahnung, wie viele Menschen in dieser Klinik vegan leben. Auf meiner Station bin ich die einzige veganlebende Person und wir sind momentan 13 Leute. Uh, geile Zahl. Block 13 auf der Südtribüne. Und ich habe meine Dauerkarte einem Arschloch gegeben…

Jetzt erst einmal ein Stündchen (Haha!) schlafen.

15.15 Uhr Pflegegespräch – Zuerst quatschen wir darüber, wie meine Achtsamkeitsübung Namens Naturbeobachtung verlief und haben das einfach mal so stehen lassen. Heute ist einfach nicht mein Tag und ich habe das Beste daraus gemacht. Dann wird mir vorgeschlagen, dass ich mit der Naturbeobachtung aufhöre, da meine Bezugspflegerin und mein Therapeut glauben, dass es für mich gerade wichtiger ist, dass ich einmal Atem- und einmal Körperübungen mache, damit es mir einfacher fällt, unter Menschen zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich beim Einkaufen schon ein grundsätzlich hohes Anspannungslevel, bevor ich aus der Wohnungstür bin. Dass ich auf offener Strasse als „Scheiss Schwuchtel“ beschimpft wurde, ist noch gar nicht so lange her und sitzt tief. Ich will so rumlaufen, wie ich mich wohl fühle und in der Masse verschwinden. Das geht aber nicht. Ich bin halt ein bunter Vogel ganz in schwarz gekleidet. Ich will beim Einkaufen Abstand haben, besonders an der Kasse. Dies ist in dieser schnelllebigen Zeit nicht möglich. Alle hetzen von Termin zu Termin, sind im Kopf schon ganz woanders oder haben anderen Stress. Ich versuche das so anzunehmen, aber, wenn ich die Person hinter mir schon Huckepack nehmen kann und dann noch ein “ Können Sie bitte abstand halten?“ rausquetsche, diese dann aber pampig reagiert, platze ich. Und werde beleidigend. Ich möchte dieser Person weh tun. Sie verbal zerstören. Freiheit hört dort auf, wo sie andere einschränkt. Blablabla.

Und hinterher? Ärgere ich mich bis zum geht nicht mehr, dass ich mal wieder mein Maul nicht halten konnte. Jedesmal das Gleiche.

Aber es gibt für mich momentan nur zwei Wege:

  1. Entweder, ich sag nichts und ärgere mich über die andere Person und mich, weil ich nichts gesagt habe.
  2. Oder ich ärgere mich über die Person, weil sie kacke reagiert und über mich, weil ich ausfallend und laut geworden bin.

Bei 1. ist die Gefahr, dass sich der innere Druck immer weiter anstaut und die Explosion die Menschen trifft, die damit gar nichts zu tun haben. Vor allem R. ist davon betroffen. Bei 2. ist der Druck wieder etwas runter, aber immernoch höher, als vor der auslösenden Situation. Eine weitere Situation kann dann schon ausreichen. Was soll ich schreiben? Es ist sehr anstrengend. Ich will Leichtigkeit. Ich will über diese Dinge oder Situationen stehen und auf Augenhöhe mit meinem Gegenüber agieren. Wir versuchen hier alle „nur“ zu (über)leben.

15.39 Uhr C. von der KoFaS, ‚Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit’, und ich haben seit Montag versucht, bzgl. einer Anfrage für eine Zusammenarbeit miteinander zu telefonieren, aber es hat nicht sollen sein. Also hat mir C. jetzt eine fast vierminütige Sprachnachricht mit einer kleinen Beschreibung geschickt. Es geht um trans*-Fussballfans. Yeahi. Ich bin dabei! Läuft bei mir!

15.45 Uhr Ein Zettel für mich klebt an der Tür. Die morgige Musiktherapie muss verschoben werden. Entweder auf 11.00 Uhr oder auf Montag. AAAAH! Ich habe doch gerade erst alles geplant. Und die Zeit für die Visite ist eh schon wenig planbar, da nunmal viele Menschen nacheinander abgearbeitet werden. Ausserdem müssen wir uns ab Snfang der Woche in den Zeitplan der Visite eintragen und somit gibt es heute noch kaum freie Stellen. Ich habe mich extra für 11.00 Uhr eingetragen, damit das alles passt. Es könnte natürlich auch ein therapeutischer Test sein, aber wahrscheinlich ist der Therapeutin einfach etwas dazwischen gekommen. Ich habe dafür aber keine Energie. Dann muss Musik halt auf Montag „verschoben“ werden, bzw. morgen ausfallen. Hab mich so sehr darauf gefreut!

16.10 Uhr Nicht nur meine Eltern und mein Opa kommen zu besuch, sondern auch R. kommt kurz rum. Sie hat Unterlagen für die Kaution der neuen Wohnung, die ich unterschreiben muss. Was für ein Stress. Danke, dass du das alles managed. :-*

Ein wenig im Krankenhaus-Cafè zusammensitzen, Kaffee trinken und quatschen. Das ist schön.

20.47 Uhr Ich liege im Bett und schreibe diese Zeilen. Gute Nacht.